Konzerthaus Wien, 28. Februar 2020
Richard Strauss, Tod und Verklärung
Gustav Mahler, Symphonie Nr. 1 in D-Dur
SWR Symphonieorchester
Teodor Currentzis
Foto: © Anton Zavyalov
von Herbert Hiess
Nicht nur beim Corona-Virus sieht man, wie sehr die mediale Manipulationsmaschinerie funktioniert – man merkt auch deutlich bei Maestro Currentzis, wie man mittels geschicktem Umgang mit den Medien und dem Publikum sich zum absoluten Charismatiker hochstilisiert.
Offenbar ist man schon zu abgebrüht, wenn man beim Auftritt des hochgewachsenen schlanken Mannes eben nur einen hochgewachsenen schlanken Mann sieht und keine „Lichtgestalt“, keinen „Messias“ oder sonst etwas. Deswegen betrachtet man als „abgebrühter“ Zuhörer so einen Auftritt mit weit mehr Skepsis als vielleicht angebracht.
In diesem Fall und bei diesem Konzert muss man tatsächlich feststellen, dass die Skepsis unangebracht war. Es war ein großartiges und mitreißendes Konzert, das in vielen Momenten den Blick auf bisher ungehörte Facetten ermöglichte.
Currentzis ist ja von Haus aus als Analytiker mit Röntgenblick bekannt, der in jedem Takt die Kontrolle behalten will und bei dem kein Takt, keine Passage „unwichtig“ ist. Schon bei Richard Strauss „Tod und Verklärung“ hörte man fein und austariert jede Instrumentengruppe – schon die synkopenhafte Einleitung der Tondichtung war ein Ereignis für sich. Auch die vielen Stimmungswechsel und die bei Strauss so berühmten und berührenden Abschiedssequenzen gelangen außerordentlich. Toll, wie Currentzis trotz der Analytik das Schwelgerische durchklingen ließ.
Mahlers erste Symphonie kann man getrost als „Lieder-Symphonie“ bezeichnen; hier finden sich die berühmtesten Lieder aus dem „fahrenden Gesellen“. Auch hier konnte man Currentzis analytischen Zugang bestaunen – und trotzdem war man da voll im Mahler-Taumel. Hier gelang alles perfekt; und endlich, endlich ließ sich mit Currentzis ein Maestro dazu herab, den zweiten Satz als echten Landler klingen zu lassen (was er auch sein soll). Man könnte jetzt viele superb gelungene Stellen aufzählen – einer der Höhepunkte war die „Lindenbaum“-Passage aus „Die zwei blauen Augen“ aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“. So berührend hat man das noch nie vernommen.
Und Chapeau, Chapeau vor dem Orchester: Wo soll man da anfangen und wo soll man da aufhören. Das Orchester ist ja schon geprägt durch so großartige Maestri wie Michael Gielen, Sir Neville Marriner und Sir Roger Norrington. Da konnte sich Maestro Currentzis in ein ordentlich gemachtes Bett legen. Und trotzdem gelang es ihm bisher, den Musikern seinen persönlichen Stempel aufzudrücken. Egal, ob der Konzertmeister mit den kurzen, aber traumhaften Violinsoli oder der grandiose Paukist (und die ganze Schlagwerkgruppe), das hervorragende Blech und ganz besonders die junge Kontrabassistin mit dem traumhaft-sicheren „Frère Jacques“-Solo.
Man sollte Currentzis als das betrachten, was er ist. Nämlich als interessanten Einstudierer, Analytiker, hochbegabten Musiker und verbissenen Arbeiter. Und nicht als irgendeine von irgendwoher gesandte Gottheit.
Deswegen war der Schlussapplaus auch ein Zeichen zu gehen. Der hysterische Applaus mit obligatem Gekreische, die künstlichen „standing ovations“, die leuchtenden Visagen würden eher zu einem Sektenführer als zu einem Dirigenten. Deswegen musste der Rezensent fluchtartig den großen Konzerthaussaal verlassen.
Herbert Hiess, 29. Februar 2020 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at