Eine musikalische Weltreise über den Atlantik und wieder zurück – Herz, was willst du mehr?

Symphoniker Hamburg, Bas Wiegers Dirigent, Thomas Beijer Klavier  Laeiszhalle, Hamburg, 21. Januar 2024

Laeiszhalle Hamburg © Thies Rätzke

Eine musikalische Weltreise in zwei Stunden, ohne Flugausfall, Sicherheitscheck, Warteschlangen und verschwundenen Koffern, nur einer kurzen Passkontrolle, wie im Privatjet – zum Nulltarif quasi – was will man an einem Sonntagabend mehr?

Symphoniker Hamburg

Bas Wiegers  Dirigent
Thomas Beijer  Klavier

Darius Milhaud (18921974) Saudades do Brasil op. 67 (Orchesterfassung, Auswahl)
Manuel de Falla (18761946) Noches en los jardines
de EspañSymphonische Impressionen für Klavier und Orchester

Charles Ives (1874–1954) Three Places in New England
George Gershwin (18981937) An American in Paris

Laeiszhalle, Hamburg, 21. Januar 2024

von Harald Nicolas Stazol

Es ist nicht so häufig – nein, recht eigentlich ist es in meiner langjährigen Karriere als Kritiker noch NIE vorgekommen, dass die soeben gehörte Lichtgestalt von Pianist, Thomas Beijer, nach seiner wundervollsten-starken Interpretation der „Noches en los jardines de España“ von Manuel de Falla nach der Pause neben einem sitzt.

Nur einen Platz weit bin ich getrennt von seiner Frau, deren Hand er während des weiteren Ablaufes hält, glücklich beide – aber vielleicht hätte ich den Braten schon riechen können, brach die Dame aus Amsterdam, die mir vorher noch ein Programmheft schenkte, „ich habe zwei“, nach der Darbietung ihres Mannes in „Juhuiijuhuii“ aus, wie sie die Laeiszhalle wohl eher seltener zu hören bekommt – und nun halten sie eben Händchen, sehr innig –, er gemahnt mit schwarzem Vollbart und vollem, schwarzen Haar, das ein wenig an den jungen Zaren Nikolaus II. erinnert.

Und als das Konzert unter enthusiastisch-enthusiasmierendem Applause ausklingt, wage ich es doch, da hat er dem anderen Holländer selbst mit silbernem Ehering schon applaudiert, ihm über zwei Sitze zuzusprechen: „You were great, too!“, und er sagt, höflich, als hätte man ihm einen Platz in der U-Bahn angeboten, „Thank you!“, sich leise freuend.

Und es verbietet sich geradezu, jetzt auch noch ihn mit Kritikerfragen zu überhäufen, den zu Recht Erschöpften, um Autogramm oder Atmosphärisches zu bitten, zu intim sind die geflüsterten Gespräche auf Französisch mit seiner Gattin, „C’était bien?“ – „Mais tu le sais, très bien!“ sodass ich, allein aus Hochachtung und wahlhanseatischer Zurückhaltung, auf ein Interview ebenso vornehm verzichte, bis auf das, „What was the encore?“ – „Albéniz.“ – genauer: „El Puert“.

Da wandelt sich in einem Moment die hellstrahlende Bühnenfigur und Lichtgestalt mit dem zurückhaltenden, geradezu bescheidenen Anschlag, in einen ruhigen, ganz normalen Mitbürger, vor dessem Talent man sich nur verneigen kann – aber auch dies behalte ich der Aufführung vor, nun soll er ganz privat bleiben. Sich offenbart hat er ja schon, und sowas von!

Thomas Beijer © Juri Hiensch

Ein kleiner Cherub aber hat eindeutig den besten Platz heute in der Laeiszhalle, in der vordersten Loge oben links, und so hängt ein kaum achtjähriger Junge fasziniert über der Brüstung, aufgestützt auf seine Ärmchen, und kann ein Konzert sehen, und hören, dass eine einzige Reise ist, wie mit einem Privatflugzeug, von Brasilien nach Spanien, dann nach New England, um dann in Paris zu landen – zweimal hin und her über den Atlantik – gar nicht schlecht für einen Dreikäsehoch, nicht wahr?

Und das mitten in Hamburg, und Lob und Preis dem Vater, der den Kleinen nicht nur mitgenommen hat, sondern auch neben ihm sorgsam darauf achtet, dass sein Sprössling vor hingerissener Begeisterung nicht gleich kopfüber in die Pauken springt – vielleicht wird er ja bald auch zu einem Dirigenten werden?

Und so entführen die Hamburger Symphoniker zunächst mit den „Souades do Brasil“ des Darius Milhaud, schon in der Ouvertüre knallscharf, an den Amazonas und an den Strand von Ipanema, und über die drei Sätze entspannen sich unter dem Dirigat des anderen Holländers, Bas Wiegers, schon Rhythmen und Klangbilder, die an sich schon faszinierend sind, aber unter dem fiebrigen Einsatz des Maestro sich voll entfalten – wie hoch er springen kann! – und das hingebungsvolle Orchester springt mit ihm geradezu mit!

Bas Wiegers © Marco Borggreve

Sprachen wir von Rhythmen? Denn nun folgen de Fallas „Nächte in spanischen Gärten“, die dem gerade händchenhaltenden Pianisten kaum 20 Minuten vorher nun wirklich ALLES abverlangen, und überaus kunst- und hingebungsvoll werden sie von Beijer gemeistert und bezwungen, die Flamencoklänge ebenso, wie die halsbrecherischen Läufe, die er mit vor Konzentration der Welt und uns allen entrückt-entrückend vorträgt, dabei in Gestus und Ausdruck überraschend sparsam, ja bescheiden, was den Melodien der drei Sätze noch mehr Strahlkraft gibt – und völlig zu Recht wird der Mann dreimal auf die Bühne zurückgebeten, und die Zugabe geradezu erfleht, und der fast vollbesetzte Saal wird nicht enttäuscht!

Nun zu Charles Ives und einem New England, das sich in der Interpretation der Symphoniker vor dem inneren Auge geradezu auftut, so sehr, bei aller Komplexität, dass man sich eine Reise dorthin – vor allem bei den gerade vorherrschenden politischen Verhältnissen – geradezu erübrigt…

Abschließend „Ein Amerikaner in Paris“, da freut sich der kleine Junge oben links besonders, Tröten doch die Taxis – George Gershwin (1898 – 1937) bringt ja die Original-Hupen zur Uraufführung 1928 von den New York Philharmonics unter Walter Damrosch mit – der abschließende Ragtime in fortissimo begeistert derart, dass sich das Orchester dreimal erheben muss, unter dem wieder aufheulenden „Huihuihui“ der Pianisten Gattin neben mir.

Eine Weltreise in zwei Stunden, ohne Flugausfall, Sicherheitscheck, Warteschlangen und verschwundenen Koffern, nur einer kurzen Passkontrolle, wie im Privatjet – zum Nulltarif quasi – was will man an einem Sonntagabend mehr?

Harald Nicolas Stazol, 23. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ludwig van Beethoven (1770–1827) Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125 Laeiszhalle, Hamburg, 1. Januar 2023

4. Symphoniekonzert, Gil Shaham, Violine Han-Na Chang, Dirigentin Symphoniker Hamburg Laeiszhalle Hamburg, 10. Dezember 2023

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