Die Choreographin Yolanda Morales identifiziert sich auf Kampnagel mit austrocknenden Mooren

TanzHochDrei Festival 2024, I want to be a swamp  Hamburg, Kampnagel k4, 23. März 2024

Yolanda Morales (ganz links) mit ihrem Ensemble (Foto: RW)

Assoziativ dachte ich an die evolutionäre Entwicklung des Lebens, an die Schöpfungsgeschichte. Anfangs gelangt das Leben aus dem Nebelmeer (resp. dem Moor) an Land, richtet sich auf, beginnt mit Lauten zu kommunizieren und erreicht mit dem Schöngesang der einen Tänzerin den entwicklungsgeschichtlichen Höhepunkt.

I want to be a swamp

Choreographie: Yolanda Morales
Musik: Dong Zhou, Kostümbild: Lea Theres Lahr-Thiele
K3 – Zentrum für Choreographie / Tanzplan Hamburg

TanzHochDrei Festival 2024

Hamburg, Kampnagel k4, 23. März 2023

3. Aufführung nach der Uraufführung, 20. März 2024

von Dr. Ralf Wegner

Erst kurz nach 21 Uhr wurde die Halle k4 geöffnet, und sie war mit ca. 100 Zuschauern auch voll besetzt. Allerdings gab es keine Stühle, sondern Kissen auf dem Boden und Treppenstufen, auf denen man sich niederlassen konnte. Die vier Tänzerinnen (Yolanda Morales, Sakshi Jain, Beatriz Silva Aranda, Joana Kern) und ein Tänzer (Anand Dhanakoti) waren schon beim Arbeiten. In Theater-Nebelschwaden wanden sie sich lemurenhaft auf den Hüften, später auch auf den Knien rutschend, wie in Zeitlupe, am Boden entlang, manchmal nur die Köpfe aus dem Nebel streckend. Es waren Klickgeräusche zu hören, später meinte man, auch ein Froschquaken zu vernehmen.

Das erinnerte mich an ein Bild des englischen Malers John William Waterhouse (1849-1917), welches in Manchester hängt: Hylas und die Nymphen (Hylas wird in dem Mythos von einer der Nymphen in die Tiefe gezogen).

Allmählich verzog sich der Nebel. Die Tänzerinnen und Tänzer erhoben sich, bewegten sich zunächst eher auf den Knien, danach auch in gebückter Haltung. Einzelne Laute erklangen, später auch melodiemodulierende Silben und schließlich sang eine der Tänzerinnen, mittlerweile aufrecht stehend. Immer stärker in den Vordergrund drängte sich schließlich eine monotone, später fast stakkatohafte Tonkollage, die nicht eindeutig bestimmten Umweltgeräuschen zuzuordnen war. Dachte man zunächst an Propellergeräusche eines Hubschraubers oder an den Wald abholzende Baumaschinen, verführte die zunehmende Geräuschkulisse die Tänzerinnen und den Tänzer zu zuckenden, zum Teil exaltierten Bewegungen, vermutlich um eine Überforderung in ihrem anfangs ruhigen Dasein anzuzeigen. Der Geräuschpegel ließ nach etwa 50 Minuten Spieldauer nach, und die Auftretenden näherten sich wieder dem Boden.

Unklar blieb die Kostümierung. Alle trugen glänzende, latex- oder satinartige, nicht eng anliegende Jeans in verschiedenen Farben, ebenso entsprechende Oberteile. Das wirkte weniger naturverbunden als üppig-prätentiös.

Um was handelte es sich. Assoziativ dachte ich an die evolutionäre Entwicklung des Lebens, an die Schöpfungsgeschichte. Anfangs gelangt das Leben aus dem Nebelmeer (resp. dem Moor) an Land, richtet sich auf, beginnt mit Lauten zu kommunizieren und erreicht mit dem Schöngesang der einen Tänzerin den entwicklungsgeschichtlichen Höhepunkt. Mit zunehmender äußeren Belastung, hier durch diffusen, sich steigernden Umweltlärm, bricht die Entwicklungslinie allerdings wieder zusammen.

Entsprechend dem ausliegenden Programmzettel sollte ein Naturszenario imaginiert werden, und zwar ein norddeutsches Moor, welches vom Verschwinden bedroht sei. Erinnerte Farben, Gerüche, Geräusche oder Mikroformen würden zur Choreographie, zu körperlichen, fluiden Zeugnissen des Moores.

Die Choreographin Yolanda Morales (Foto RW)

Nach der Vorstellung gab es mit den Mitwirkenden sowie zusätzlich dem Lichtdesigner, der Komponistin und der Kostümbildnerin ein Publikumsgespräch. Leider sprachen alle so leise, dass ich fast nichts verstanden habe, mit Ausnahme einer neben mir stehenden jungen Frau, die fragte, wie sich die Choreographin mit ihren intensiv erlebten Natureindrücken in einem solch funktionellen Umfeld wie der Kampnagelhalle wiederfinde. Eine schwierige Frage, die Yolanda Morales etwas ratlos zurückließ; langer Beifall vom sehr interessierten Publikum.

Dr. Ralf Wegner, 25. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm des Hamburger Balletts in der Saison 2024/25 Staatsoper Hamburg, 18. März 2024

Odyssee, Ballett von John Neumeier nach dem Epos des Homer Staatsoper Hamburg, 9. März 2024

Odyssee, Ballett von John Neumeier nach dem Epos des Homer Staatsoper Hamburg, Neueinstudierung, 24. Februar 2024

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