Der Preis des Abends gebührt eindeutig der Newcomerin Lisette Oropesa. Sie war als Premierenbesetzung für die Lucia-Aufführung angesetzt und durfte nun zum Trost die Arie der Lucia aus dem ersten Akt singen. Dabei konnte sie unter Beweis stellen, dass sie weitaus mehr als nur eine Coloratrice mit geläufiger Gurgel ist. Ihre Stimme sitzt perfekt, hat ein ausgesprochen schönes Timbre und wird von ihr wirkungsvoll eingesetzt. Da will man dann doch bald einmal mehr hören!
Youtube alla Scala: Saisoneröffnung als Pasticcio, 7. Dezember 2020
von Peter Sommeregger
Ganz anders als gewohnt fiel diesmal die traditionell am 7. Dezember stattfindende Saisoneröffnung der Mailänder Scala aus. Die zu Ende geprobte Eröffnungspremiere „Lucia di Lammermoor“ konnte der Pandemie wegen nicht gezeigt werden.
Kurzfristig wurde ein Gala-Konzert organisiert, dessen Teilnehmerliste sich wie das who’s who der gegenwärtigen ersten Garnitur von Opernstars liest. Der Regisseur Davide Livermore entwarf zeitlose Tableaus in wunderschönen Bühnenbildern, die jeweils nur bedingt mit der Handlung der Oper zu tun hatten, aus der gerade gesungen wurde. Originell waren die Ideen allemal. Am schönsten vielleicht der Eisenbahn-Salonwagen, der durch das winterliche Sibirien fuhr, und für gleich drei Arien aus Don Carlos als Kulisse diente.
Riccardo Chailly, der musikalische Chef der Scala, stand am Pult des auf einem Podium thronenden Orchesters, ganz korrekt mit Maske, die als ständige Mahnung präsent war, wurde er immer wieder eingeblendet.
Die musikalische Ausbeute des Abends war tatsächlich außergewöhnlich reichhaltig, sowohl quantitativ, als auch qualitativ. In der Folge seien die einzelnen Leistungen nur kurz beurteilt, mehr würde jeden Rahmen sprengen.
Um mit den dunklen Stimmen zu beginnen: Luca Salsi lieferte einen schön gesungenen, kräftigen „Rigoletto“, Ildar Abdrazakov trumpfte mächtig mit Philipps Bass-Arie aus „Don Carlos“ auf, bei aller Stimmgewalt versteht er es aber auch, leisere Töne anzuschlagen. Ludovic Teizier als Posa sang tadellos, wurde aber erneut dem Ruf eines singenden Oberbuchhalters gerecht. Ausstrahlung und Charisma sind seine Sache nicht. Da hatte George Petean als unglücklicher Renato in Verdis „Maskenball“ schon viel mehr anzubieten, vor allem eine sichere, kräftige Höhe. Qualitatives Schlusslicht war Carlos Alvarez mit dem Credo aus Verdis „Otello“. Seine Stimme hat weitgehend den Fokus verloren, ein starkes Tremolo macht sich inzwischen unangenehm bemerkbar.
Den Vogel schoss aber der knapp 80-jährige Plácido Domingo mit der Arie des Gerard aus „Andrea Chenier“ ab. Der ins Baritonfach gewechselte einstige Startenor zeigt noch einmal allen Kollegen, wo der Hammer hängt und berührt mit einem anrührenden Rollenporträt. Bravo!
Auch die Creme des Tenorfachs war gut vertreten, Vittorio Grigolos Arie des Herzogs aus „Rigoletto“ zum Auftakt geriet schon einmal vielversprechend. Sehr lyrisch die „Liebestrank“-Arie von Juan Diego Flórez, der seine Position im Spitzenfeld der Tenöre nun schon erfreulich lange bei gleichbleibender Qualität hält.
Ziemlich weit vorne im ranking der Tenöre hat sich über die Jahre Piotr Beczala positioniert. Der sympathische Pole durfte sich gleich zweimal präsentieren: wie vorgesehen mit der etwas weinerlichen Arie des José aus „Carmen“, im weiteren Verlauf als Kalaf mit Nessun dorma aus „Turandot“, das er mit leuchtendem Spitzenton ausstattete. Diese Arie sollte eigentlich Jonas Kaufmann singen, der aber wegen „Indisposition“ abgesagt hatte- nachdem er am Freitag in Neapel als Turridu vor Kraft noch kaum gehen konnte (Aufzeichnung vom Dienstag).
Francesco Meli, an der Scala viel beschäftigt, verfügt über eine sehr hell timbrierte Tenorstimme, es fehlt ihm ein wenig an Volumen und Durchschlagskraft für den Riccardo im „Maskenball“. Benjamin Bernheim, noch relativ neu in der Tenor-Spitzenklasse, verzauberte mit einem gefühlvoll und trotzdem kräftig gesungenen „Werther“, die eindeutig beste (Tenor-) Leistung des Abends. Die schlechteste bot Roberto Alagna als Cavaradossi. Weinerlich und tremolierend kämpfte er sich durch dieses Paradestück, seine Ehefrau Aleksandra Kurzak konnte da mit der Arie der Liu aus „Turandot“ schon sehr viel mehr, vor allem mit schönen Piani überzeugen.
Auch Wagner gab es zu hören. Andreas Schager und die unvermeidliche Camilla Nylund waren als Siegmund und Sieglinde in der „Walküre“ zu hören. Schager, obwohl bestens disponiert, überraschte mit zahlreichen Intonationstrübungen, die mögen aber der langen Zwangspause des Sängers geschuldet sein. Nylund wie immer ohne Fehl , Tadel und Ausstrahlung. Eine beliebig einsetzbare Allzweckwaffe sozusagen. Ähnliches gilt für Elina Garancas Eboli-Arie aus „Don Carlos“. So tadellos die Lettin auch singt, transportiert wird durch ihren Gesang nichts. Der spektakuläre Schlusston der Arie, der als Krönung gedacht ist, verpufft bei ihr ohne Effekt.
Ein wenig an ihrer Rolle vorbei singt auch Marianne Crebassa als Carmen. Ihr schöner, farbenreicher Mezzosopran wird schlank geführt, aber das erotische Element dieser Rolle erschließt sich mir in ihrer Interpretation nicht.
Bleiben die Soprane: während Kristine Opolais, vor ein paar Jahren noch hoch gehypt, inzwischen deutlich hörbar auf dem Rückzug aus der Spitzenklasse ist und einen wenig überzeugenden Tod der „Butterfly“ singt, zeigt im weiteren Verlauf des Abends Marina Rebeka mit der großen Arie aus der gleichen Oper, warum sie inzwischen in der ersten Reihe der Sopranistinnen angekommen ist. Gefällig und hübsch, aber eher unerheblich singt Rosa Feola die Arie der Norina aus „Don Pasquale“. Dunkel leuchtend setzt Eleonora Buratto ihren vollen Sopran für die Amelia im „Maskenball ein. Die aus einer Babypause zurück gekehrte Sonya Yoncheva singt den Reißer „La Mamma morta“ aus „Andrea Chénier“ ein wenig zu verhalten, nach wie vor stört bei ihrer Stimmführung ein permanentes Flackern.
Der Preis des Abends gebührt eindeutig der Newcomerin Lisette Oropesa. Sie war als Premierenbesetzung für die Lucia-Aufführung angesetzt und durfte nun zum Trost die Arie der Lucia aus dem ersten Akt singen. Dabei konnte sie unter Beweis stellen, dass sie weitaus mehr als nur eine Coloratrice mit geläufiger Gurgel ist. Ihre Stimme sitzt perfekt, hat ein ausgesprochen schönes Timbre und wird von ihr wirkungsvoll eingesetzt. Da will man dann doch bald einmal mehr hören!
Die einzelnen Auftritte wurden zeitversetzt in den Tagen vor der Ausstrahlung aufgenommen, was natürlich die Illusion eines Live-Events etwas schmälert, aber letztlich fügte es sich doch zu einer eindrucksvollen Demonstration künstlerischen Potentials, das durch die Pandemie leider in weiten Teilen brach liegt. Der Abend lässt auf eine glanzvolle Renaissance nach Covid 19 hoffen.
Peter Sommeregger, 8. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jonas Kaufmann, it’s Christmas!, der Tenor singt 42 Weihnachtslieder klassik-begeistert.de
Nun ja, international war die Resonanz auf diese zusammengestoppelte „Eröffnungsgala“ eher gedämpft, in den Foren weit hinter Neapel und Rom gereiht. Hervorgehoben nur Bernheim, Oropesa, Tezier und Abdrazakov. Beczala nicht erwähnenswert – er klingt doch immer weinerlich, wenn er Gefühl in seinen dauernden mezzoforte Gesang legen will; die hohen Töne natürlich geplärrt und leider schon arg hochgepresst. Alagna wirklich schrecklich – nicht einmal in französischen Foren war man glücklich. Aber Grigolo war genauso fürchterlich – ganz sicher nicht die Crème des Tenorfachs. Schager überrascht Sie mit „Intonationstrübungen“? Aber Schager singt doch immer ziemlich falsch, also grandios daneben, weil er eben nicht singt, sondern schreit. Sein Freischütz war ein Alptraum, nie wieder live. Den undifferenzierten Kraftprotz Salsi oder auch Petean einem Tezier vorzuziehen – nun ja, wenn man Lautstärke liebt. Tezier ist doch schon sehr lange über das Stadium des singenden Buchhalters hinaus, ein Uralt-Klischee. Haben Sie ihn schon live auf der Bühne gehört? Domingo? Dazu äußere ich mich nicht. Fazit: viel Selbstbeweihräucherung der Scala und wenig Außergewöhnliches.
Simon Mortena