Sonya Yoncheva und Riccardo Massi schwelgen in Puccinis Klangwelten

The Art of Sonya Yoncheva  Staatsoper Hamburg, 21. Dezember 2023

Sonya YONCHEVA und kb- Autor Dr. Holger Voigt 2018 © hvoigt

The Art of Sonya Yoncheva

Staatsoper Hamburg, 21. Dezember 2023

Sonya Yoncheva, Sopran
Riccardo Massi, Tenor

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Leitung: Leonardo Sini

von Dr. Holger Voigt

Lange Zeit war ich mir unschlüssig, ob ich angesichts des tosenden Unwetters tatsächlich das Risiko eingehen sollte, 50 km Anreise und 50 km Rückfahrt auf mich zu nehmen, um dieses Konzert zu besuchen. Ein Blick aus dem Fenster zeigte bei fast abendlicher Dunkelheit sich im Sturm biegende Bäume und monsunartige Regenkaskaden, die sich fast waagerecht aus den Wolken entleerten. Doch plötzlich tat sich ein Ruhefenster auf, das ich sofort nutzen konnte. Was für ein Glück!

Das Programm des Konzertabends – ein Recital mit Orchester – bekam ich das erste Mal zu Gesicht, als ich vor der Hamburgischen Staatsoper den Aushang im Glaskasten studierte. Was für eine Erleichterung festzustellen, dass keine kunterbunte Zusammenstellung diverser Opernarien vorgesehen war, sondern eine enge thematische Ausrichtung an Werken Giacomo Puccinis das Programm bestimmen sollte. Damit waren die bei derartigen Anlässen nur allzu oft vorgetragenen „Hit“-Arien und Duette eben nicht vorgesehen und – was mich sehr beruhigte – auch nicht das zugabengetriggerte Gemeinschaftsschunkeln zu den Klängen von „Libiamo ne’ lieti calici“(Brindisi) aus Giuseppe Verdis „La Traviata“. Hier war sehr bewußt die Welt des aufkommenden Puccini-Verismo ins Auge gefasst worden, was dem zweiteiligen Konzertabend sehr gut bekam.

Sonderbarerweise war das Philharmonische Staatsorchester nicht etwa im Halbkreis um Dirigent und Gesangssolisten herum platziert worden, sondern wie ein Kasten im Hintergrund des Podiums. Da die Sängerin und der Sänger sich im Vordergrund des Podiums halbszenisch bewegten, bestand kein visueller Feedback zwischen ihnen und dem Dirigenten. Alles war auf das Gehör ausgerichtet, da das Dirigat optisch lediglich an das Orchester vermittelt wurde. Das klappte zwar weitgehend fehlerfrei, doch klang das Orchester oft wie bei früheren Mono-Aufnahmen im Studio wie eingekastelt – alles an Klang ist „drin“, man weiß aber nicht, wo wer gerade was spielt. War hier die Furcht davor, orchestral die Sänger zu übertönen der Grund für diese Positionswahl? Dazu bestand bei diesen Gesangssolisten allerdings doch wirklich keine Veranlassung.

Das Konzert wurde vom Orchester unter der Leitung von Leonardo Sini mit „La tregenda“ aus Puccinis erster Oper „Le Villi“ eröffnet und klang dabei reichlich hausbacken und uninspiriert. Eher ein Höflichkeitsapplaus war die Reaktion des abwartenden Publikums, das wohl befürchtete, es würde so weitergehen.

Dann betrat Sonya Yoncheva in einem eng anliegenden schwarzen, leicht metallisch wirkenden Kleid mit symmetrisch angeordneten Paillettenbesatz im Schulterbereich das Podium. Aus derselben Oper („Le Villi“) sang sie die Romanze der Anna „Se come voi piccina“ und überzeugte durch eine Intonations- und Dynamiksichere, raumfüllende Stimme. Aber auch hier war der Applaus noch eher zurückhaltend.

Der lyrisch-dramatische Tenor Riccardo Massi kann bereits auf eine ansehnliche Gesangskarriere zurückblicken und ist mittlerweile international an allen renommierten Häusern ein nachgefragter Sänger für das italienische Fach (insbesondere Verdi und Puccini). Seine Sicherheit im Bereich von Spitzentönen, verbunden mit einem – je nach Rolle – lyrischen oder mehr dramatischen Timbre, weist ihn als einen Sänger der Weltspitze aus. Dementsprechend gelang ihm seine Arie des Roberto „Torna ai felici dì“  aus „Le Villi“ sehr überzeugend und klangschön. Glücklicherweise war hier auch der Orchesterklang ohne Abstriche von hervorragender Qualität.

Das orchestrale „Capriccio sinfonico“ leitete zu „La Bohème“ über. Erfreulicherweise schien das Philharmonische Staatsorchester nunmehr eine passende, differenzierte Aussteuerung von Klang und Klangdynamik gefunden zu haben, so dass sich die Puccinische Klangschönheit voll entfalten konnte.

Die beiden Arien aus „La Bohème“ –  „Che gelida manina“ und „Sì, chiamano Mimì“ – wurden vortrefflich und einfühlsam gesungen, doch fiel auf, dass die Stimme von Sonya Yoncheva für die Partie der Mimì heute bereits zu dramatisch klingt und deren Zerbrechlichkeit nicht mehr so glaubhaft abbilden kann, wie es für diese Rolle erforderlich wäre. Sehr schön und auch dynamisch perfekt moduliert klang das anrührende Duett „O soave fanciulla“ mit dem wunderschönen Schluss aus dem „off“. Viel Beifall und Bravi-Rufe nach dem ersten Teil des Konzertabends.

Mit einem exotisch klingenden Vorspiel zum 3. Akt der Oper „Madama Butterfly“ wurde die fernöstliche Atmosphäre, für die Giacomo Puccini ein besonderes Faible hatte, eingeführt. Cio-Cio San und Pinkerton singen ihre Arien „Un bel dì vedremo“ und „Addio, fiorito asil“.

Fraglos ist die Partie der Cio-Cio San für die Stimme Sonya Yonchevas – nunmehr in einem ausladenden weissen Kleid auftretend – derzeit sehr viel geeigneter als die der Mimì. In der Arie „Un bel dì vedremo“ kann sie geradezu suggestiv die Seelenlandschaft der Protagonistin erklingen lassen, die von sehnsüchtiger Liebe und tieftrauriger Verletzheit zerrissen wird. Das zu hören, ist ein Höhepunkt des Abends.

„Addio, fiorito asil“ ist die relativ kurze Arie des Pinkerton, die Riccardo Massi mit enormer Stimmgewalt, gleichwohl nobler Klangschönheit, vorträgt.

Ein absoluter Höhepunkt ist das Duett „Vogliatemi bene“, das zu Recht mit großem Applaus bedacht wird. Sonya Yoncheva und Riccardo Massi schwelgen geradezu im Puccini-Klangrausch, wie man es sich kaum anrührender vorstellen kann. Dafür gab es verdientermaßen sehr viel Beifall.

Im Übergang zum letzten Programmteil wurde der Wechsel zu „Manon Lescaut“ durch das„Intermezzo sinfonico“ eingeleitet.

„Tu, tu, amore? Tu?“ – das Duett von Manon Lescaut und Des Grieux –  vollzog einen Schwenk in den dramatischen Verismo Puccinis, der beiden Solisten die Möglichkeit gab, auch in diesem Bereich stimmlich zu glänzen.

Für alle Mitwirkende gab es riesigen, lang anhaltenden Beifall, z.T. auch stehend, mit vielen Bravi-Rufen. Ein sichtlich gut gelaunter Georges Delnon, Intendant der Hamburgischen Staatsoper, überreichte einen großen Blumenstrauß, den Sonya Yoncheva lange Zeit in ihren Händen behielt und als erste Zugabe „Vissi d’arte“ aus „Tosca“ in betörender Schönheit sang, was das Publikum von den Sitzen aufspringen ließ.

Riccardo Massi entschied sich bei seiner Zugabenwahl für „Nessun dorma“ aus „Turandot“ und überzeugte mit absoluter Höhensicherheit und ausdrucksstarker Phrasierung.

Der Lohn für den nicht enden wollenden Applaus war dann als zweite Zugabe Sonya Yonchevas die Arie „O mio babbino caro“ aus „Gianni Schicchi“, was einen weiteren Beifallssturm nach sich zog. Damit endete ein wunderbarer Konzertabend, der noch lange in Erinnerung verbleiben wird.

Dr. Holger Voigt, 23. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

The Art of Sonya Yoncheva Konzertabend in der Staatsoper Hamburg, 21. Dezember 2023

Klein beleuchtet kurz 10: THE ART OF Sonya Yoncheva und Riccardo Massi Staatsoper Hamburg, 21. Dezember 2023

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