Foto © Márcia Lessa
Musikverein Wien, 28. Januar 2018
Lorenzo Viotti, Dirigent
Marysol Schalit, Sopran
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Erich Wolfgang Korngold „Sursum Corda!“ Sinfonische Ouvertüre op. 13 (1919)
Gustav Mahler Symphonie Nr. 4 in G-Dur (1899 – 1901)
von Jürgen Pathy
Mit zwei Werken aus dem 20. Jahrhundert, die bei ihrer Uraufführung beide keinen Erfolg erleben durften, lud das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich zum traditionellen Sonntagnachmittags-Konzert in den Wiener Musikverein. Seit beinahe 70 Jahren verbindet diese erfolgreiche Programmreihe das österreichische Orchester und den Musikverein.
Den Anfang machten die Musiker mit Erich Wolfgang Korngolds Sinfonischer Ouvertüre op. 13. „Sursum Corda!“. Richard Strauss gewidmet, gab es nach der Uraufführung am 24. Januar 1920 harsche Kritik, das Werk sei zu „modern“ gewesen – Ort der Premiere: der ehrwürdige „Goldene Saal“ des Wiener Musikvereins.
Die opulent gestaltete Konzertouvertüre diente dem Orchester unter der Leitung des Schweizer Dirigenten Lorenzo Viotti eher dazu, sich erst einmal richtig warm zu spielen. Rund 20 Minuten dauerte Korngolds Ouvertüre – mit deren Bearbeitung er zwei Jahrzehnte später einen Oscar für die Musik zum Film „The Adventures of Robin Hood“ gewinnen sollte. –
Da stand schon die Pause vor der Tür.
Das sinfonische Werk sollte das Publikum akklimatisieren, es in Konzert-Stimmung versetzen und auf den Höhepunkt des Nachmittags vorbereiten: Gustav Mahlers 4. Sinfonie. Zwischen 1899 und 1901 in Wien, Bad Aussee und Maiernigg am Wörthersee entstanden. Die heute beliebteste Sinfonie Gustav Mahlers überraschte und überforderte das Publikum bei der Uraufführung 1901 in München. Hatte das Werk doch wenig gemein mit den vorangegangenen Sinfonien – wesentlich kürzer, klassisch in vier Sätzen und mit kleinerem Orchester.
Bevor der in Lausanne geborene Lorenzo Viotti den Einsatz gab, wartete er geduldig, bis vollkommene Stille herrschte. Mit dem einsetzenden Flötenmotiv samt dem einprägsamen Schellengeläute wurde das Publikum, darunter der österreichische Maler und Aktionskünstler Hermann Nitsch (79), in einen 50-minütigen Trancezustand versetzt.
Der zweite Satz, ein Scherzo, teilweise an der Grenze zum Atonalen, gelang im Sinne des Komponisten: „Mystisch, verworren und unheimlich, daß euch dabei die Haare zu Berge stehen werden, ist das Scherzo. Doch werdet ihr im Adagio darauf, wo alles sich auflöst, gleich sehen, daß es so bös nicht gemeint war.“
Der dritte Satz, Ruhevoll (Poco Adagio), zählt neben dem Adagietto der 5. Sinfonie zu den innigsten und erhabensten Sätzen in Mahlers Oeuvre. Die einsetzenden Streicher, untermalt mit den Pizzicati der Kontrabässe, zauberten Gänsehaut-Momente – die zweiten Geigen in Hochform mit einem bestechenden Legato-Klang.
Die ersten Geigen widerspenstig – die Harmonie zwischen ihnen und den restlichen Musikern geriet teilweise aus den Fugen. Für kurze Zeit verlor der 27-jährige Dirigent das Kommando. Auch der Tutti-Zwischenausbruch fiel zu undramatisch aus. Noch rechtzeitig vor Ende des verträumten Adagios geriet wieder alles ins Lot, um auch den folgenden Finalsatz poetisch zu gestalten.
Für die Soli wechselte der Konzertmeister die Geige.
„Die Grundstimmung“ des Werkes sei das „ununterschiedene Himmelblau“, sagte Gustav Mahler. Und so schritt die Schweizer Sängerin Marysal Schalit bedächtig und mit einem breiten Lächeln im Gesicht auf die Bühne – in einem himmelblauen Abendkleid. Ihr wundervoller, lyrischer Sopran sorgte abschließend mit dem Wunderhorn-Lied „Das himmlische Leben“ für rührende Momente, ehe das beeindruckende Werk mit brummenden Bässen sein Ende nahm. Das Publikum war spürbar ergriffen – einige Sekunden Totenstille. Gefolgt von minutenlang anhaltendem Applaus.
Atmosphärisch ein gelungener Konzert–Nachmittag. Mit dem Makel, dass die ersten Geigen sich einige Male der Zügel des jungen Schweizers entledigten.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), am 29. Januar 2018, für klassik-begeistert.at