Teatro Verdi, Pisa © it.wikipedia.org
Pisa ist untrennbar mit dem „Schiefen Turm“ (Schieflage vier Prozent für die, welche es genauer wissen wollen) verknüpft – eines der architektonischen Wahrzeichen Italiens, die jedes Kind kennt und jeder Souvenirshop als gebührend schiefe Plastiknachbildung, vorzugsweise mit Innenbeleuchtung, feilbietet.
Und wer weiß schon um das prachtvolle Opernhaus von Pisa, ursprünglich „Teatro Nuovo“ und ab 1904 nach dem Nationalkomponisten Giuseppe Verdi umbenannt – eines der herausragenden Beispiele der Theaterarchitektur Italiens im 19. Jahrhundert, neben den ungleich größeren Opernhäuser in Mailand und Neapel.
Umberto Giordano, Andrea Chénier
Libretto: Luigi Illica
Dirigent: Francesco Pasqualetti
Inszenierung: Andrea Cigni
Bühne: Dario Gessati
Kostüme: Chicca Ruocco
Orchester: Filarmonica Veneta
Chor: Arché
Chormeister: Marco Bargagna
Teatro di Pisa, 25. Oktober 2024
von Dr. Charles E. Ritterband
In diesem Bijou mit seinen nur 858 Sitzplätzen (aber einer der größten Bühnen Italiens) eine fulminante Aufführung des „Andrea Chénier“ in einer überaus dramatischen, wenngleich traditionellen Inszenierung mit erstklassigem Ensemble und einem temperamentvoll agierenden Orchester, eingeleitet von der großartigen italienischen Nationalhymne und Ehrengästen mit bunter Schärpe in der Ehrenloge zu erleben – wahrlich ein Hochgenuss.
So sehr, dass wir völlig vergaßen, jenem schiefgewachsenen weltberühmten Turm aus Carrara-Marmor unsere Aufwartung zu machen.
Am 1. Dezember 1939 gab der legendäre Beniamino Gigli in diesem Theater den Andrea Chénier – eine Vorstellung, die in die Musikgeschichte Pisas, ja ganz Italiens einging.
Der Chénier dieser Inszenierung, der hervorragende sizilianische Tenor Angelo Villari, machte seinem großen Vorgänger mit hingebungsvoller Kraft und warmem Schmelz alle Ehre. Die aus Reggio Calabria stammende hoch qualifizierte Sopranistin Maria Teresa Leva verlieh der Maddalena di Coigny frauliche Tiefe und Intensität in einer berührenden Verkörperung dieser aufopfernden Frau inmitten der blutigen Wirren der französischen Revolution. Der aus Rom stammende Bariton Angelo Veccia erntete großen Applaus mit seiner sonor-maskulinen Stimme und seinem überzeugenden Auftritt als Gérard, der frühere Diener im aristokratischen Haushalt und nunmehr Funktionär des Revolutionstribunals.
Die Filarmonica Veneta spielte unter der souveränen wie subtilen, am Ende kraftvoll-grandiosen Stabführung des aus Pisa selbst stammenden Francesco Pasqualetti – er studierte unter anderem an der Londoner Royal Academy. Pasqualetti verstand es, mit diesem Orchester die Italianità und den – dem musikalischen Realismus verpflichteten – musikalischen Einfallsreichtum Giordanos mit Verve und zugleich differenziert hervorzuheben.
Die Inszenierung des in der Toscana verwurzelten Regisseurs Andrea Cigni brachte den Verismo und die Dramatik der Handlung dieses Revolutionsdramas mit viel Einfühlungsvermögen zum Ausdruck.
Das Bühnenbild von Dario Gessati brachte den Kontrast zwischen der aristokratischen Welt im ersten Akt und den Revolutionswirren im zweiten, dem düsteren Gefängnis im dritten Akt mit adäquatem Realismus zum Ausdruck.
Dr. Charles E. Ritterband, 25. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Andrea Chénier: Angelo Villari
Maddalena di Coigny: Maria Teresa Leva
Carlo Gérard: Angelo Veccia
Bersi: Shay Bloch
Roucher: Alessandro Abis
La Contessa di Coigny: Alessandra Palomba
DVD-Rezension: Umberto Giordano, Andrea Chénier, Teatro alla Scala 2017