Foto: Anna Netrebko und Yusif Eyvazov © Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 24. Mai 2019
Umberto Giordano, Andrea Chénier
von Kirsten Liese
Um vorzuwarnen: Diese Rezension droht eine Liebeserklärung an Anna Netrebko zu werden. Weniger, weil sie mich als Mensch oder Frau faszinieren würde, sondern weil dieser Sopranistin tatsächlich etwas gelingt, was für heutige Sängerinnen einmalig ist: Über eine lange Zeit von mittlerweile 24 Jahren seit ihrem Debüt am St. Petersburger Mariinsky-Theater hält sie ihr hohes Niveau, und das bei stets unerhört großem Erwartungsdruck. Noch dazu verfügt die 48-Jährige tatsächlich über eine der schönsten Stimmen unserer Zeit, wovon man sich soeben an der Wiener Staatsoper wieder einmal überzeugen konnte.
Solche langen Karrieren sind heute selten. Viele enden schon mit Anfang 50 (Christine Schäfer) oder früher, andere können ihre hohen Leistungen nicht halten. Namen zu nennen gäbe es hier viele, aber das wäre uncharmant. Kurzum, wie sich Netrebko hält, ist beachtlich.
Ihren Beitrag zur 150-Jahr-Feier der Wiener Staatsoper leistet die Russin nun als Maddalena in Umberto Giordanos „Andrea Chénier“ in einer bewährten, schon älteren Inszenierung von Otto Schenk, einem Regisseur, der an diesem Haus mit zahlreichen unvergessenen, herrlichen Produktionen Theatergeschichte schrieb. Unter ihnen blieb besonders der „Rosenkavalier“ in Erinnerung, ungemein prächtig und opulent ausgestattet und von selten gewordener Vornehmheit.
Seine Inszenierung der italienischen Revolutionsoper ist mit einfachen Bildern und wenig Requisiten schlichter gehalten, lenkt aber mit nichts von der Musik ab und erweist sich somit ideal für eine Aufführung mit einer Sängerin der Weltklasse.
Natürlich konzentriert sich in dieser Oper alles auf die eine große berühmte Arie: „La mamma morta“, die durch den Film „Philadelphia“, interpretiert von der Callas, populär wurde.
Wie schon 2017 an der Mailänder Scala singt Netrebko sie ungemein berührend – mit einer Schönheit, die einem die Tränen in die Augen treibt und allen großen Emotionen, die sie bestimmen: Schwermütigkeit, Leidenschaft, Zuversicht und Hoffnung! Und mit einem dunklen, goldenen Timbre, das mittlerweile in Ansätzen tatsächlich an die Primadonna Assoluta erinnert. Nicht zuletzt empfiehlt sich Netrebko als eine der letzten wenigen Größen ihrer Generation, die die für Häuser mit 1700 Sitzplätzen erforderliche stimmliche Präsenz und Tragfähigkeit aufzubieten versteht – ohne jedwede technische Verstärkung, derer sich so manche Kollegen an anderen Häusern immer mal wieder still und heimlich bedienen.
In der Titelrolle gab es ebenfalls wie in Mailand den Tenor Yusuf Eyvazov zu erleben, der inzwischen noch deutlich in der Rolle gewachsen ist und über weite Strecken sehr kultiviert und mit schlanker Stimmführung singt, so dass er es nicht verdiente, nur als Anhängsel seiner Frau betrachtet zu werden. Der Mann kann schon was!
Als Dritter im Bunde der Sängerstars glänzte in der von uns besuchten 117. Aufführung dieser Produktion Luca Salsi mit seinem profunden, mächtigen Bariton als jener Carlo Gérard , der Maddalenas Liebe als Preis für Chéniers Rettung erzwingen will, seine Einstellung ändert und sich schließlich auf Chéniers Seite schlägt, ohne ihn aber vor der Guillotine bewahren zu können.
Unter den Sängerinnen und –sängern in kleineren Partien nahm besonders die französische Mezzosopranistin Virginie Verrez als Maddalenas Dienstmädchen Bersi für sich ein, die erst vor kurzem Aufnahme ins Ensemble des Hauses fand.
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper musizierten unter Marco Armiliato mit gewohnter Präzision und Hingabe. Am Ende fehlten nur die Blumen für die mit verdienten Bravos gefeierte Primadonna.
Kirsten Liese, 27. Mai 2019, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung: Marco Armiliato
Nach einer Regie von Otto Schenk
Bühne: Rolf Glittenberg
Andrea Chénier: Yusif Eyvazov
Carlo Gérard: Luca Salsi
Maddalena di Coigny: Anna Netrebko
Bersi: Virginie Verrez
Gräfin die Coigny: Donna Ellen
Madelon: Monika Bohinec
Orchester und Chor der Wiener Staatsoper