Gyula Rab, Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Foto: © Marie-Laure Briane
Gärtnerplatztheater, München, 14. Oktober 2021
Uraufführung der Ballettoper „Amors Fest“
von Frank Heublein
Howard Arman, erster Gastdirigent des Opernhauses am Gärtnerplatz in München, Leiter des Chors des Bayerischen Rundfunks und ausgewiesener Barockspezialist, stellt vier Barockkomponisten für vier Jahreszeiten zusammen. Daraus webt er mit Regisseur und Ballettdirektor Karl Alfred Schreiner die Ballettoper „Amors Fest“. Diese Uraufführung am heutigen Abend kündigt das Gärtnerplatztheater in München als Barockspektakel in vier Teilen mit Gesang und Tanz an.
Dieser Abend ist schon vor Beginn etwas Besonderes. Denn es ist der erste Abend seit Corona, an dem ich ob der 3G-Regel in einem fast ausverkauften Haus ohne Maske die Aufführung verfolgen darf. Das sorgt bei mir persönlich für ambivalente Gefühle. Freude über das endlich wieder normal In-die-Oper-Gehen! Zugleich: Ich treffe auf sehr viele Menschen auf sehr engem Raum. Das bin ich nicht mehr gewohnt und das löst Rückzugsgedanken aus. Mein persönlicher Distanzraum hat sich verändert in Coronazeiten und ich möchte neu erlernen, diese enge Publikumsgemeinschaft entspannt und ohne „virale“ Hintergedanken genießen zu können.
Die ersten Orchestertöne zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Kraftvoll. Konzentriert. Spannungsvoll. Differenziert. Strömend flüssig. Ich labe mich den ganzen Abend an diesem hohen musikalischen Niveau, dass mir Dirigent Howard Arman und seine Musiker aus dem Orchestergraben präsentieren. In jedem Moment der Aufführung können sich die Ausführenden auf der Bühne auf diese orchestrale außerordentlich alerte Präsenz verlassen. Dieses anfängliche Lächeln verteilt sich wohlig in meinem ganzen Körper und in alle Sinne.
Howard Arman hat diesen Abend musikalisch kreiert, indem er Werke vierer Barockkomponisten aus vier unterschiedlichen Ländern zueinander stellt. Drei der vier werden eher selten gespielt und sind weniger bekannt. André Campra aus Frankreich, Matthew Locke aus England und Sebastián Durón aus Spanien. Einzig der Italiener Claudio Monteverdi ist ein sehr bekannter Name, denn er ist einer derer, die die Kunstform des Musikdramas, der Oper aus der Taufe gehoben haben. Für mich bedeutet das, überwiegend für mich neue Barockmusik entdecken zu dürfen. Auf der Bühne verarbeitet werden die Kompositionen als jahreszeitlicher Reigen.
Der Herbst eröffnet Amors Fest. Zu den Klängen André Campras »Fêtes vénitiennes« bleibt die erste Szene durch einen speziellen Vorhang im Unscharfen. Ein wallendes Tuch, zwei nackte Körper, die auf diesem zueinander hin und wieder weggewogt werden. Ein eindrucksvolles Bild für die Wogen der Liebe. Es zeigt zugleich die Herausforderung des heutigen Abends: die musikalische Spannung, die stetig aus dem Orchestergraben pulsiert, auf der Bühne fortzusetzen, wenn die Handlung nicht durch Gesang vorangetrieben wird. Durch die musikalische Auswahl ist dies zuweilen der Fall und gelingt nicht immer ohne Längen.
Die Idee ist großartig. Das Ballett bekommt in den Momenten rein orchestraler Musik eine tragende Rolle auf der Bühne. Im Herbst sind die Tänzer und Tänzerinnen wehendes buntes Laub. Sie geben dem Stück eine neue zusätzliche gestalterische Perspektive. Doch manchmal in diesem ersten Teil entfalten die musikalischen barocken Ornamente in mir auf der Bühne den Eindruck der zeitlichen Überbrückung. Die Zeit bis zur nächsten Arie ist lang, aber nicht so lang, dass eine weitere gestalterisch neue Ballettchoreografie dazwischen passte.
Ein Fest, Vernunft und Unvernunft arbeiten gegeneinander. Der Kampf ist sehr ungleich und nur in einer kurzen Szene offensichtlich. Die Unvernunft hat größere stimmliche Soloanteile und ist schon qua Rolle exaltierter. Mária Celengs klarer reiner energiegeladener Sopran, dazu mit sehr guter schauspielerischer Leistung, gewinnt das Duell gegen die Vernunft klar. Anna-Katharina Tonauers Mezzosopran ist wärmer und zurückhaltender, ganz der Vernunft entsprechend spielt sie auch zurückhaltender. Der Chor mischt sich ein und verjagt die Spaßbremse Vernunft mit vereintem Gesang.
Der Winter wird mit Musik des Engländers Matthew Locke aus der Komödie »Cupid and Death« illustriert. Der Diener des Hauses wird sowohl von Amor als auch dem Tod sehr von oben herab als eine Art lebendige Kleiderstange behandelt. Das passt ihm gar nicht. Er vertauscht die Waffen der beiden. Mit entsprechenden Auswirkungen.
Das Ballett sorgt für steigenden Handlungsfluss, denn Tänzer und Tänzerinnen werden durch Amor dahingestreckt oder – und das ist komödiantisch heiter unterhaltsam – an Krücken gehende Alte durch den Tod aphrodisiert und zurück ins euphorisierende Leben geworfen. Die Rolle des Balletts ist wichtig, da die Ausführung der Musik durch Armans Orchesterrecken zwar exzellent ist. die Musik des Lockeschen Winters allerdings weniger abwechslungsreich ist als die Campras aus dem Herbst.
Im ersten Teil sorgt etwa eine Gavotte für musikalische Abwechslung. Der zweite Teil fließt ununterbrochen stetig. Der Chor hat nur wenig Einsatzzeit, Amor und der Tod agieren zuweilen mehr als sie singen. Das Ballett sorgt für Energie, Schwung und Aktion auf der Bühne. Einmal mehr, wenn der Tod aus dem Diener einen in die Hecke Verliebten macht. Aus dieser schälen sich zwei Heckengestalten, die den Diener umgarnen.
Sopran Mária Celeng als Amor behält das energiegeladene Niveau des ersten Teils und entspricht damit wunderbar der Rolle. Gyula Rab singt den Tod im Vergleich zu Amor-Sopran Celeng zurückhaltend und doch jederzeit souverän. Bass Levente Páll tritt als Schlossherr am Ende dieses Teils fulminant mit akzentuierter kraftvoller Stimme auf. Er sorgt dafür, dass Amor und Tod sich ihre angestammten Waffen zurückgeben und entlässt den Diener, der Chaos ausgelöst hat. Dieser bleibt zum orchestralen Ende bibbernd im Schnee zurück.
Für das Frühjahr wählt Arman aus Monteverdis Werken unter anderem das sehr bekannte Stück »Lamento della ninfa« für die Aufführung aus. Es kommt ein doppelter Vorhang zum Einsatz. Er macht aus dem Geschehen ein bewegtes Gemälde. Mit Patina. Die Gruppe um die singende Nymphe bewegt sich langsam einer durch Balletttänzer getragenen sanften Gruppendynamik folgend. Die Nymphe ist voll des Schmerzes einer Verlassenen. Sopran Ilia Staple gelingt ein mich ergreifendes Solo der Nymphe mit ihrer warmen gefühlvollen Stimme, die den empfundenen Liebesschmerz tief in mich hineinpflanzt. Dieses Solo hat eine zweite orchestrale Stimme in der wunderbar feinsinnigen akzentuierten genauso gefühlvoll wie die Stimme spielenden Sologeige.
Nymphe Ilia Staple geht mit Juan Carlos Falcón als Diener, Bariton Ludwig Mittelhammer als Nihilist und zuletzt Tenor Gyula Rab als Tod ihren Nymphengefühlen auf den Grund. Dabei erwacht der Frühling, stimmlich interpretiert durch Frühlingsnymphe Anna-Katharina Tonauer. Das Ballett sorgt für aufblühende Bewegung auf der Bühne. Der Vorhang öffnet sich, das Licht warm, mein Blick ist wieder klar. Der Chor singt mit frühlingshafter Energie, ob der die Nymphe ihre Todessehnsucht vergisst.
Sebastián Duróns »Selva encantada de Amor« ist die musikalische Grundlage des Sommers. Auch dieser Teil zieht sich wie der zweite Teil handlungstechnisch etwas in die Länge. Warum? Diesmal mimt Juan Carlos Falcón den Amor, der Gäste zum Vorsingen animiert und alle vier Stimmen aufruft. Dieses Setup dauert und hat keinerlei überraschenden Effekt. Das Orchester hält gleichwohl jederzeit die musikalische Spannung.
Mária Celeng als Sopran, Anna-Katharina Tonauer als Alt, Gyula Rab als Tenor beweisen in ihren Soli ihre gesangliche Klasse. Vibratolos, klar und souverän sind alle drei. Bass Levente Páll hat zwar kein großes Solo, sorgt aber für Energie und Schwung als burschikoser selbstüberzeugter schauspielender Bass-Sänger. Er ist ja auch ein prägnanter kraftvoller Bass! Schauspielerisch gelingt ihm die übergriffige Übernahme der Handlung perfekt. Auch Amor hat dem nichts entgegenzusetzen. Endlich darf das Fest, das große musikalische Finale beginnen. Die Bühne wird von Chor und Corps de Ballett bevölkert, es wuselt, der Chor wischt die Trägheit der Solosängervorstellungen hinweg und im fulminanten Tutti nimmt der Abend voll trunkener Weinfröhlichkeit ein jubilierendes Ende.
Barockspektakel? Genau: Barock! Spektakel! Gesang! Tanz! Alles drin! Ich verlasse beschwingt das Gärtnerplatztheater nach einem gelungenen unterhaltsamen künstlerisch prall und divers gefüllten Abend. Für mich Barockfan der besondere Leckerbissen: Howard Armans starkes Dirigat. Arman verleiht dem Spiel des Orchesters des Staatstheaters am Gärtnerplatz und natürlich auch dem des Basso continuo Transparenz, Energie und dauerhafte Spannung.
Frank Heublein, 15. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm
Ballettoper Amors Fest
Musik von André Campra, Matthew Locke, Claudio Monteverdi und Sebastián Durón
Ein Barockspektakel in vier Teilen mit Gesang und Tanz
Zusammengestellt und bearbeitet von Howard Arman
Besetzung
Musikalische Leitung Howard Arman
Regie und Choreografie Karl Alfred Schreiner
Bühne Heiko Pfützner
Kostüme Thomas Kaiser
Licht Peter Hörtner
Video Meike Ebert, Christian Gasteiger
Choreinstudierung Pietro Numico
Dramaturgie Fedora Wesseler
Bacchus / Schlossherr Levente Páll
Unvernunft / Cupido Mária Celeng
Vernunft / Frühlingsnymphe Anna-Katharina Tonauer
Tod / Tirsi Gyula Rab
Der Nihilist Ludwig Mittelhammer
Diener / Amor Juan Carlos Falcón
Nymphe / Clori Ilia Staple
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz