Foto: Stadttheater Klagenfurt © Helge Bauer
Analog zu Hans Sachs aus Richard Wagners „Meistersingern von Nürnberg“ propagiert das Ehepaar Schweitzer in dieser fünfteiligen Serie: „Verachtet mir die Stadt- und Landestheater nicht, und ehrt mir ihre Kunst.“ Das ist auch ihre Schlusspointe und war von Anfang an die Idee der Serie. Der Untertitel „Das Stadttheater Klagenfurt“ gibt zu verstehen, dass hier für die – unschöner Name – „Provinztheater“, die Mehrspartentheater sind, eine Lanze gebrochen wird.
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Was bewegt einen Wiener mit drei großen Opernhäusern und einigen kleinen Opernensembles (sirene Operntheater, Oper in der Krypta, Neue Oper Wien, L.E.O. = Letztes Erfreuliche Operntheater) mit ihren teils wechselnden, zum jeweiligen Stück passenden Spielräumen in das südwestlichste Bundesland zu reisen, um dort eine Oper zu hören? Dafür gibt es drei Gründe. Entweder rechnet man sich keine Chance aus in absehbarer Zeit eine spezielle Oper in der Kulturhauptstadt kennen zu lernen oder die Tagespresse schreibt eine überwältigende Kritik. Man kann auch an einer Sängerin, an einem Sänger interessiert sein und ihr/ihm nachreisen.
Vielleicht verbringt man den Nachmittag am See oder es ist gleichzeitig eine interessante Ausstellung vor Ort, so einmal über die Künstlerkolonie Worpswede, die meine Frau und ich durch die Ausstellung angeregt im September 2017 besuchten.
Am Abend stehen wir dann vor dem herrlichen Gebäude mit deutlichem Jugendstileinfluss. Es hat Anfang des 17. Jahrhunderts als Ballsaal begonnen, der dann immer mehr für italienische Gastspiele auf der Durchreise von Venedig nach Wien benutzt und im Lauf der Zeit endgültig zu einem Theater umgebaut wurde. Man kann sich jetzt nicht mehr vorstellen, dass Theater ursprünglich Holzbauten waren, die meist erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts Steinbauten wichen. Und 1910 war dann die Neueröffnung (Spatenstich 1908) des neuen Theaters aus dem Architektenbüro Fellner & Helmer als Jubiläums-Stadt-Theater anlässlich des 60. Regierungsjahres Kaiser Franz Josephs.
Das erste Mal – wir schreiben März 1983 – zog die Musik von Manuel de Falla an. Das Ballett „El amor brujo“ (Liebeszauber) mit begleitendem Mezzosopran und die Oper „La vida breve“.
Von Luchino Viscontis Film beeindruckt ging die zweite Opernreise nach Klagenfurt in der Spielzeit 1993/94. wegen Benjamin Brittens „Tod in Venedig“, bis heute in der Wiener Staatsoper noch nie gespielt. Jahre später gab es ein Wiedererleben im Gran Teatro La Fenice di Venezia.
Claude Debussy, Pelléas et Mélisande, Stadttheater Klagenfurt, 14. Februar 2019
Den Gustav von Aschenbach sang in Klagenfurt der Hamburger Ronald Pries, der als Schauspieler unter Boy Gobert im Thalia-Theater begonnen hatte. Einige Jahre später wurde er Leiter des hiesigen Opernstudios. Seinen baritonalen Gegenspieler sang der Engländer Mark Holland, den Apollo der international bekannt gewordene Countertenor Arno Raunig, wie der Name schon sagt, gebürtiger Kärntner. Trotz mehrfacher Erfahrung mit Opern von Britten („A Midsummer Night´s Dream“, „Peter Grimes“) war ein Einhören notwendig. Regie führte der Gründer Der „Neuen Oper Wien“ Olivier Tambosi, der uns als Regisseur noch oft begegnen sollte.
In keiner „Così fan tutte“ haben meine Frau und ich so lachen können wie ein Jahr später bei Tambosis „Schule der Liebenden“ (Untertitel der Oper). Zwar wirkte das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann durch den gekachelten Hintergrund etwas kühl, aber sonst war die Aufführung ein reines Vergnügen. Den bitteren Ernst der Situation bekamen wir erst bei späteren Interpretationen präsentiert. Gesanglich dominierend die Schwestern Fiordiligi (Christiane Boesiger, der wir – welche Überraschung – zum Frühstück im Hotel Porcia wieder begegneten) und Dorabella (Laura Poverelli).
Sylvia ist eine aufmerksame Leserin der Kulturseiten. Ihr verdanke ich ein selten gespieltes Juwel von Mozart kennengelernt zu haben: „Il Sogno di Scipione“. Meiner Meinung nach ist es eigentlich eine Oper für Männer, die gut verstehen, wie schwer es werden kann, des Single-Daseins müde geworden sich zwischen Frauen zu entscheiden. Das Ensemble zeigte, dass die Oper eine große, weltweite Familie ist. Die ambitionierten SängerInnen kamen aus Nordmazedonien, Dänemark, Slowenien, Schottland, Deutschland und der Ukraine.
Es sind schon fast zehn Jahre her, dass wir das letzte Mal im Stadttheater Klagenfurt saßen. Die romantische Oper „Der fliegende Holländer“ mit Integrationsfragen. Torsten Fischer führte Regie.
Wir schrieben in einem Bericht an unsre Verwandten in St. Kanzian: „Es ist die Frage, ob der Monolog des Holländers an Wirkung verliert, wenn er nicht allein auf der Bühne erscheint, sondern mit seiner Mannschaft, die üblicherweise noch im Off steht, interagiert. Vielleicht tut sich der Sänger leichter, wenn er nicht im Brennpunkt steht und mit einem Hans Hotter verglichen wird. Es hat seinen Reiz, dass der Steuermann von einem Liebchen singt, das noch ein Traum ist, welcher mit einer Dunkelhäutigen in Erfüllung gehen sollte, er jedoch immer wieder von ihr abgedrängt wird.“
Die Spinnstube in ein Büro zu verwandeln ist kein schlechter Einfall, auch im Sinn der romantischen Ironie. Statt des Schnurrens der Spinnräder das Klappern der mechanischen Schreibmaschinen.
Zwei Künstler erregten unser Interesse, die bereits in Opernzeitschriften hervorragende Kritiken erhalten hatten. Astrid Weber erarbeitete in der Oper Chemnitz die jugendlichen Wagnerpartien. Nach Chemnitz pilgern viele Wiener, weil der gute Ruf der Chemnitzer Oper in der Wagnerpflege bis nach Wien gedrungen ist. Renatus Mészár (Holländer) liefen ebenfalls Lobeshymnen voraus. Diese Vorschusslorbeeren entpuppten sich als Bürde. Wir hatten einfach zu hohe Erwartungen. An schon erlebte Ideale reichten sie nicht ganz heran.
Fazit unsrer Besuche im Stadttheater Klagenfurt: Wir haben kein einziges Mal bereut, die mehrstündige Anreise und eine notwendige Übernachtung in Kauf genommen zu haben.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 11. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“