Prova generale Norma © Sferisterio / PhSimoncini
Kein Zweifel – „Norma“ ist eine stimmlich überaus anspruchsvolle Oper: Maria Callas setzte in ihrer Aufnahme der legendären „Casta Diva“ aus dem Jahr 1954 mit Tullio Serafin am Dirigentenpult den zeitlosen Standard, oft von Weltklasse-Sopranistinnen angestrebt, variiert und mit musikalischen Verzierungen angereichert (jüngst: Cecilia Bartoli mit dem exzellenten Giovanni Antonini am Pult), aber nie ganz erreicht.
Vincenzo Bellini
Norma
Dirigent: Fabrizio Maria Carminati
Regie: Maria Mauti
FORM-Orchestra Filarmonica Marchigiana
Coro Lirico Marchigiano
Chorleiter: Martino Faggiani
Arena Sferisterio, Macerata Opera Festival, 9. August 2024
von Dr. Charles E. Ritterband
So ist es ein Wagnis, dieses eher selten aufgeführte und fast nie im Repertoire der großen Opernhäuser geführte Werk noch dazu in einem Open-Air-Festival auf die Bühne zu bringen und die etwas verquere Handlung einigermaßen plausibel zu präsentieren.
Das exquisite Macerata Opera Festival tat im 60. Jahr seines Bestehens eben dies und das Resultat ist stimmlich überzeugend – zumindest was die beiden Protagonistinnen, Rivalinnen und am Ende Verbündete Norma (die Sopranistin Marta Torbidoni) und Adalgisa (Mezzo Roberta Mantegna) betrifft. Weniger glanzvoll die männlichen Hauptrollen und wahrlich kein großer Wurf die Inszenierung von Maria Mauti.
Kein geringerer als Richard Wagner, der ja vor allem sich selbst zu bewundern pflegte und wenig für die italienische Oper im Allgemeinen übrighatte, war von Bellini begeistert – er bewunderte dessen Fähigkeit, Musik mit Text und Psychologie zu vereinen. Von der Schluss-Szene der „Norma“ war Wagner so begeistert, dass er sich zum Ausruf hinreißen ließ, dass diese Oper von Gott persönlich geschrieben wurde.
Und Mahler gestand, dass er „Norma“ nicht ohne Tränen in den Augen hören konnte. Liszt ließ sich zu einer Vielzahl von Transkriptionen, Paraphrasen und Fantasien verschiedener Bellini-Opern inspirieren. Als Bellini im Alter von nur 33 Jahren in Paris starb und sein Sarg unter anderem von seinem Rivalen Gioachino Rossini zur Trauerzeremonie in den Invalidendom getragen wurde, hatte Vincenzo Bellini, der Schöpfer der romantischen italienischen Oper und Vorreiter des Belcanto nur zehn Opern hinterlassen – doch es waren einige der größten Meisterwerke dieser Epoche unter ihnen, wie „La Sonnambula“, „I Capuleti e und i Montecchi“ und „I Puritani“, die Lieblingsoper der Königin Victoria und Auslöser von Begeisterungsstürmen in Paris.
Und der martialische Druidenchor „Guerra“ hatte in dem von den Österreichern beherrschten Norditalien keine geringere Symbolwirkung als Verdis „Va’, pensiero“ im „Nabucco“: Eine musikalische Manifestation des italienischen Nationalismus gegen die österreichische Fremdherrschaft.
Der Mount Everest aller Sopran-Arien
Doch die Musikwissenschaft ist sich einig: Das größte von Bellinis Meisterwerken ist „Norma“ und „Casta Diva,“ die berühmteste aller Sopran-Arien, ist zugleich die schwierigste, die größte Herausforderung für jede Sopranistin. „Die Callas“ setzte mit ihrer Interpretation die Latte so hoch, dass sich nur die namhaftesten, besten und mutigsten Sängerinnen an diesen Mount Everest von Arie heranwagen konnten.
Dass in Macerata die junge italienische Sopranistin Marta Torbidoni diese Herausforderung annahm, spricht für sie. Dass die große Arie ziemlich am Anfang dieser Oper mit ihren zahlreichen musikalischen Höhepunkten erklingt, ist zwiespältig: Das Publikum, das ja dieses Highlight mit Ungeduld und Spannung erwartet, ist am Anfang der Oper noch hellwach – doch die Sängerin steht erst so ziemlich am Anfang ihres Auftritts und vermag ihre Stimme wohl noch nicht wirklich optimal auf die akustischen Verhältnisse einer Freilichtbühne einzustellen.
So auch an diesem Abend – Torbidoni sang mit lyrischem Schmelz, melodisch, stark und hingebungsvoll, doch etwas unter ihrem Niveau, das sie dann in späteren Arien voll erreichte. Insbesondere im hinreißenden Duett mit ihrer Rivalin Adalgisa, Mezzo und Sopran in perfektem Zweiklang, eines der schönsten, ja vielleicht das schönste aller Sängerinnen-Duette im gesamten Opern-Repertoire. Die beiden Sängerinnen brachten es fantastisch, zum Niederknien schön.
Weniger angetan waren wir von den männlichen Hauptrollen: Der Tenor Antonio Poli, der als römischer Prokonsul den Exponenten der römischen Besetzung Galliens verkörpernde Pollione, der noch dazu die Druidenpriesterin Norma verführt, mit ihr zwei Kinder gezeugt hatte und sich dann von der jüngeren Adalgisa begeistern ließ, vermochte vor allem in den Höhen und im Duett mit Norma nicht vollständig zu überzeugen. Auch der Bassist Riccardo Fassi ließ in der Rolle des Oroveso bei allen stimmlichen Qualitäten den sonoren Klang vermissen, den dieser Part erfordert.
Grandios das Orchester und großartig der Chor
Grandios das Orchester des Festivals unter der souveränen Stabführung des Bellini-Spezialisten Fabrizio Maria Carminati und großartig der Sound des Festival-Chors unter der Chor-Leitung von Martino Faggiani.
Das Bühnenbild war karg – vier fahrbare Treppen-Podeste, ein großer, bisweilen die Grundfarbe wechselnder Vollmond. Die Inszenierung der Maria Mauti blieb großteils statisch und uninspiriert, abgesehen von der Merkwürdigkeit eines riesigen weißen Leintuchs, das von Statistinnen auf- und abgebläht wurde.
Unerfreulich auch die düsteren Kostüme der Druiden und die seltsame Gesichtsbemalung des Chors: Dass sie alle grünen Äste mit auf die Bühne zu nehmen hatten machte die Sache auch nicht viel besser.
Am besten war es, die Augen zu schließen und die unglückliche Inszenierung auszublenden. Das hatte zusätzlich den Vorteil, dass man die Displays der zahlreichen Handys ignorieren konnte, welche von den (offenbar am Geschehen auf der Bühne nicht sehr interessierten) Damen der besseren lokalen Gesellschaft ebenso hartnäckig wie hemmungslos konsultiert wurden. Eine italienische Unart, die selbst bei den teuren Vorstellungen der vornehmen Mailänder Scala keine Seltenheit darstellt.
Dr. Charles E. Ritterband, 11. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Norma: Marta Torbidoni
Adalgisa: Roberta Mantegna
Pollione: Antonio Poli
Oroveso: Riccardo Fassi
Clotilde: Carlotta Vichi
Flavio: Paolo Antognetti
Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor Macerata Opera Festival, 14. August 2023
Giuseppe Verdi, La Traviata Macerata Opera Festival, 13. August 2023
Macerata Opera Festival 2023, Georges Bizet, Carmen, Macerata Festival, 6. August 2023