Foto: Marina Rebeka (c)
Den ganzen Tag fragte man sich, ob die Aufführung statt findet oder nicht. Die mangelhafte Informationspolitik des Hamburger Senats führte am Nachmittag zu Falschmeldungen in der Presse, es bestehe ein Verbot für Veranstaltungen mit über 1.000 Personen in Hamburg. Zum Glück informierte die Hamburgische Staatsoper auf Ihrer Webseite, dass die Veranstaltung wie geplant stattfindet. Also fand sie statt; und das ziemlich großartig.
Die aus Lettland stammende Sopranistin Marina Rebeka ist eine Parade-Norma allererster Güte und damit ein absoluter Glücksfall für Hamburg und den Rest der Welt! Frau Rebeka verfügt über einen einzigartig klaren Sopran mit schier unendlichen Stimmreserven, so dass sie auf der einen Seite die Fortissimopassagen ihrer Partie mühelos, begeisternd und stimmakrobatisch nicht nur bewältigt, sondern geradezu vorbildlich meistert. Ihre Stimmspeere können töten! Auf der anderen Seite haucht sie betörende, überaus zarte Piani in den Saal, die benommen machen. Ihre wunderbare Erscheinung, Ihr gelungenes Schauspiel mit Blicken zwischen Liebe, Verzweiflung, Hass und Todesangst verdichten sich zu dem Rebeka-Gesamtkunstwerk, welches das Haus an diesem Ausnahmeabend vor Begeisterung rasen ließ.
Allein Ihr Gesichtsausdruck, kurz bevor sie sich in letzter Sekunde entscheidet, ihre beiden Kinder doch nicht umzubringen, warf einen um. Frau Rebeka erntete bereits nach ihrem „Casta Diva“ im ersten Akt für das Haus an der Dammtorstraße ungewöhnlich starken Applaus und Jubel für ihre nahezu makellose und sehr eindringliche Interpretation dieses höllisch schweren Belcanto-Bravourstücks, die beim Rezensenten mindestens 3 wohlige Schauer hervorrief. Und das obwohl kein Wagner zur Aufführung gelangte! Diese Sängerin ist derzeit auf dem Zenit ihres künstlerischen Schaffens und einzigartige Weltklasse! Sie hat sich an diesem Abend auf den Olymp gesungen.Auf dem Olymp ist Frau Rebeka aber nicht alleine. Denn in den Höhen wohl gerade angekommen, trifft sie dort die bereits anwesende kroatische Mezzosopranistin Diana Haller, die eine Adalgisa auf höchstem künstlerischen Niveau gab und das Haus gleichsam in Raserei versetzte. Welche Piani! Welche Legatokultur! Welche Stimmkraft bis in den tiefsten Alt! Welche Anmut! Und welch anrührendes Schauspiel!
Künstlerisch nicht zu überbieten waren deshalb die Duette bzw. der Zwiegesang zwischen Norma und Adalgisa. Die beiden Ausnahmekünstlerinnen sangen nicht gegeneinander, sondern überwältigend sensibel miteinander, so dass nicht nur ihre stimmlichen Darbietungen, sondern auch ihr Schauspiel zu einem Wunderbaren ineinander verschmolzen. Dieses Zauberstück war aufnahmereif. Und zwar nicht nur in Form einer Tonaufnahme, sondern durchaus auch in Form einer visuellen Aufzeichnung.
Was gibt es sonst noch von diesem Zauberabend zu berichten? Die Inszenierung von Yona Kim ist modern, ästhetisch ansprechend und insgesamt stimmig. Oft wird der offene Bühnenraum genutzt, was Weite schafft und deshalb gefällt. Normas Zuhause ist eine von Christian Schmidt geschaffene, mehrstöckige Blechbehausung; warum nicht? Besonderes Lob verdient Falk Bauer für die geschmackvollen Kostüme, welche die Protagonisten durchaus zierten und damit zu dem hervorragenden Gesamteindruck beitrugen. Wie oft haben affige Kostüme diesen schon zerstört? Dies war an diesem Abend nicht der Fall.
Die musikalische Leitung von Matteo Beltrami war wie auch der Oroveso von Liang Li solide. Der anfangs etwas wackelige argentinische Tenor Marcelo Puente steigerte seine Leistung im 2. Akt.
Größten Dank den Damen Rebeka und Haller für diese einzigartige Reise ins bellinische Wunderland bei Nacht!
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
….sehr erfreulich, einen Kommentar wie diesen über die beiden weiblichen Protagonisten zu lesen! Wenn Stimme und Darstellung eine derartige Symbiose eingehen, fühlt man sich (endlich) einmal wieder an historische Vorgängerinnen erinnert.
Fast schon lapidar die Umschreibung, daß es weiter an Tenor-Tribunen mangelt. MDM, FC oder JV haben als Polliones keine adäquaten Nachfolger gefunden.
Konrad Messerer