baltic opera festival 2024/bilety w sprzedazy-thumb
Einst „reichswichtige Festspielstätte“, heute kulturelle Plattform von Völkerverständigung in einem politisch prekär gewordenen Europa: Das Baltic Opera Festival im polnischen Zoppot, von 1909 bis 1944 als „Bayreuth des Nordens“ gerühmt, geht nach seiner Wiederbelebung im letzten Sommer in die zweite Runde – und setzt mit dem diesjährigen Residenzorchester, dem Ukrainian Freedom Orchestra, ein bedeutendes Zeichen für Frieden und Freiheit in Europa.
Das Festival wird vom 20. bis 25. Juli 2024 in der Waldoper in Zoppot stattfinden, Tickets sind noch ausreichend auf der Website vorhanden.
balticoperafestival.pl/en/tickets
von Willi Patzelt
Die Aufgabe des Künstlers sei es, in einer gestörten Gesellschaft Bewusstsein für das Universum zu schaffen. So formuliert es zumindest die serbische Konzeptkünstlerin Marina Abramović. Wie Recht sie doch damit hat! In einer ebensolchen, durchaus gestörten Gesellschaft leben wir in Europa. Gestört ist sie in vielerlei Hinsicht von innen, im Besonderen auch von außen. Der Angriffskrieg des russischen Diktators Wladimir Putin auf die Ukraine ist nicht nur ein Angriff auf die Sehnsucht nach Freiheit und Frieden jenes Volkes zwischen Karpaten und Schwarzmeersenke, sondern auch bedrohlich für ganz Europa.
Fremdbeherrschung – Polens leidvolle Erfahrungen
In Polen begreift man diese ukrainische Lage gut. Kaum ein Land wurde so oft von wiederholten Angriffen und Fremdherrschaften – ganze drei bzw. sogar vier Mal wurde es geteilt – heimgesucht wie das polnische. Und dies nicht nur ausgehend von deutschem Boden, sondern auch von russischem. Dass die polnisch-deutschen Beziehungen mittlerweile friedvolle sind, ist von entscheidender Wichtigkeit für ein friedliches Europa.
Die Stadt Danzig bzw. jene „Dreistadt“ aus Danzig, Zoppot sowie Gdingen, und mit ihr auch das Baltic Opera Festival, stehen symbolhaft für die so ambivalente Beziehung zwischen Deutschland und Polen. Im Mittelalter war Danzig ein bedeutendes Mitglied der Hanse, jenes mächtigen Handelsbundes nicht nur deutscher Städte, die den Ostseeraum beherrschten. Ab 1308 stand die Stadt unter der Kontrolle des im päpstlichen Auftrag im einstigen „Ostpreußen“ tätigen Deutschen Ordens, bevor sie 1454 unter die Herrschaft der polnischen Krone kam. Nach der zweiten Teilung Polens 1793 wurde Danzig Teil des Königreichs Preußen, später des Deutschen Reiches. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Stadt 1920 als Freie Stadt Danzig unter den Schutz des Völkerbundes gestellt, blieb jedoch wirtschaftlich und kulturell stark mit Deutschland verbunden.
„Bayreuth des Nordens“
1909, also noch zu Kaisers Zeiten, wurde unweit des Zoppoter Ostseebades, inmitten einer ungemein romantisch anmutenden Kulisse dichter Laubbäume, auf einer damals noch spärlich ausgestatten Waldbühne ein Opernfestival ausgetragen. Mit über 13.000 Besuchern wurde es zum Riesenerfolg. Spielte man anfangs noch Werke der deutschen Frühromantik wie von Conradin Kreutzer („Das Nachtlager von Granada“) oder Carl Maria von Weber, konzentrierten sich die Festspiele ab 1922 ganz auf das Werk Richard Wagners. Nunmehr reine „Richard-Wagner-Festspiele“ geworden, entwickelte sich Zoppot zum „Bayreuth des Nordens“ – und freilich nicht ohne mit „Original-Bayreuth“ und der dortigen Regentin Winifred Wagner immer wieder in Konflikt zu geraten. Etwa verbot die glühende Nationalsozialistin ihren Söhnen Wolfgang und Wieland sogar eine Reise zur Waldbühne im Ostseebad.
Als am 1. September 1939 dann die deutsche Marine ein polnisches Munitionslager auf der Danziger Westerplatte beschoss, war dies das Auslösesignal des zweiten Weltkriegs. Die „Dreistadt“ blieb während des Krieges von Nazi-Deutschland annektiert, und also damit gingen auch bis zum Ende des Krieges die Festspiele weiter. Als Danzig 1945 von der Roten Armee erobert und anschließend Polen zugesprochen wurde, war die Zeit Richard Wagners in Zoppot vorbei. In sozialistischen Zeiten und darüber hinaus wurde die Bühne dann für Pop-Konzerte und auch Wettbewerbe genutzt.
Opernrenaissance in der Waldbühne
Einer der auf dieser Bühne schon gespielt hat, ist der Klarinettist und Saxophonist Rafał Kokot. Einst Mitglied der bis heute bestehenden polnischen Popband Band Varius Manx, spielte er in den frühen 1990er Jahren schon auf der Waldbühne. Nicht nur deswegen war Kokot sofort von der Idee seines Jugendfreundes, des polnischen Star-Baritons Tomasz Konieczny – nunmehr künstlerischer Leiter des Festivals – begeistert, auf der Zoppoter Waldbühne wieder Opernaufführungen herauszubringen. Im letzten Sommer gelang das dem hochmotivierten Duo dann nach pandemie-bedingten Startschwierigkeiten: Das erste Baltic Opera Festival fand in Zoppot statt, und das erste Mal seit fast 70 Jahren erklang dort wieder Wagner.
Und es kam zum vollen Erfolg. Konieczny gelang es nicht nur, mit Ricarda Merbeth, Stefan Vinke und Franz Hawlata große Namen der internationalen Wagner-Szene für eine Neuproduktion des Fliegenden Holländers an die Ostsee zu holen. Sondern selbst der Opernverweigerer Marek Janowski kam und war musikalisch verantwortlich für einen von der Kritik anerkennend besprochenen Holländer in der Waldbühne.
Nochmal Holländer – aber in neuer Besetzung
Es ist sehr erfreulich, dass es den Fliegenden Holländer auch in diesem Jahr wieder geben wird – in der gleichen Inszenierung, doch mit anderer Besetzung. Thomas Konieczny wird dieses Jahr selbst die Titelrolle geben – umgeben von einem in diesem Jahr schwerpunktmäßig polnischen Solistenensemble. Einzige Ausnahme: Die großartige Litauerin Vida Miknevičiūtė wird als Senta zu erleben sein. Unter der Leitung des Musikdirektors der Danziger Oper Yaroslav Shemet, der kürzlich mit der Premiere von Carmen in Danzig hochgradig zu überzeugen wusste, verspricht dieser Holländer Großes!
Unter der Leitung Rafal Janiaks wird es eine Aufführung von Humperdincks Hänsel und Gretel geben, doch leider nicht in der Waldbühne, wo das Vorhaben aus logistischen Gründen scheiterte, obwohl es so gut dorthin gepasst hätte. Das Danziger Opernhaus ist aber gewiss keine schlechte Alternative. Und die Programmwahl hat sogar einen tieferen Sinn: Vor über hundert Jahren gehörte das „Kinderstubenweihfestspiel“ des Wagner-Schülers zu den erfolgreichsten Stücken der Waldbühne.
Man kann insofern sagen, dass das Baltic Opera Festival bewusst an seine Vergangenheit anknüpft, ohne ihr dabei gedankenlos oder und sentimental zu verfallen. Im letzten Jahr gab es ohnehin mit Karol Szymanowskis Lotterie für Ehemänner oder Verlobte Nr. 69 noch polnische Operette. Vielleicht kann man aus dieser Kombination sogar noch einen programmatischen Leitfaden für die Zukunft ablesen.
Putin und Puccini
2024 wird es freilich keine Operette geben – dafür aber Puccinis Turandot. Schließlich ist Puccini-Jahr. Unter der Regie von Waldemar Zawodziński werden unter anderen Martin Muehle als Calaf und Rafał Siwek als Timur zu erleben sein. In der Titelrolle wird man sich auf Liudmyla Monastyrska freuen dürfen. Die Ukrainerin sang die Turandot bereits 2022 an der Met – und zwar für die damals aus (durchaus nachvollziehbaren) politischen Gründen geschasste Anna Netrebko.
Passend dazu im Graben: Das Ukrainian Freedom Orchestra unter der Leitung von Keri-Lynn Wilson. Es ist ein starkes Zeichen, im Graben ein Orchester aus geflüchteten ukrainischen Orchestermusikern zu haben – und auf der Bühne den Terrorstaat der Turandot zu sehen. Es wird spannend zu sehen sein, was Waldemar Zawodziński dazu inszenatorisch einfällt.
Zeichen für Frieden und Freiheit
Es ist, gerade aus der Sicht eines Deutschen, durchaus bewegend zu sehen, wie sich in der „Dreistadt“ das polnische mit dem ukrainischen Volk solidarisiert. Obendrein steht Danzig für den Beginn jener großen „Solidarność“-Bewegung, mit deren Entstehung und Verbreitung in den 1980er Jahren der Eiserne Vorhang langsam zu reißen begann. Unter der Führung des Elektrikers und späteren Friedensnobelpreisträgers Lech Wałęsa begann die Arbeiterschaft in der Danziger Lenin-Werft, sich ab 1980 Gehör zu verschaffen und mit mehreren Streikwellen auf demokratische Mitbestimmung hinzuwirken. Später wurde Wałęsa erster Staatspräsident Polens des von sowjetischer Herrschaft befreiten Polen.
In diesem Jahr wird Wałęsa außerdem der Schirmherr eines ganz besonderen Höhepunkts des Baltic Opera Festivals sein: Am 23. Juli wird Beethovens neunte Sinfonie in der polnischen Werft Crist in Gdynia (Gdingen) gegeben. In ukrainischer Sprache erklingt dann „Freiheit, schöner Götterfunken“ – gesungen von einem polnischen Chor, mit dem Ukrainian Freedom Orchestra als Partner. Symbolträchtiger kann es kaum kommen. In jener Werft in Gdynia (Gdingen) arbeiten nämlich heute zu einem großen Teil ukrainische Flüchtlinge. Für diesen Abend wird die Produktion in der Werft für zwei Tage stillstehen. Und das Thema des Abends, der Ruf nach „Freiheit und Solidarität“, wird hoffentlich auch in Deutschland Echo finden.