Stephanie Childress – eine charismatische Dirigentin führt das Publikum in Mozarts Zauberwelt

W.A. Mozart, „Die Entführung aus dem Serail“  Staatsoper Hamburg, 12. Oktober 2023 

Stephanie Childress © Kaupo Kikkas

Stephanie Childress führt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit Lebendigkeit, Leichtigkeit und Präzision. Ihre Bewegungen, die Art und Weise, wie sie sich über das Pult beugt, ihr Umgang mit der Dynamik, all das deutet auf einen hohen Grad an professioneller Reife hin. Hinzu kommt eine jugendliche Frische, die den Reiz dieses ersten Bühnenwerks von Mozart betont. Jede Phrase macht einen schönen Bogen, jede Note wiegt genau so viel, wie sie es soll.  Wie wir wissen, zum Zeitpunkt der Uraufführung von „Die Entführung aus dem Serail“ im Wiener Burgtheater – am 16. Juli 1782 – war der Komponist erst 26 Jahre alt, also nur zwei Jähre älter als diese Dirigentin.  Fast scheint es, als wenn Mozart selbst am Dirigentenpult stände…

„Die Entführung aus dem Serail“ in der Staatsoper Hamburg unter der Leitung von Stephanie Childress

Inszenierung: David Bösch (2021)

Wiederaufnahmeleiterin: Maike Schuster

Solisten: Sofia Fomina, Narea Son, Oleksiy Palchykov, Daniel Kluge, Peter Kellner, Burghart Klaußner

Ausstattung und Video: Patrick Bannwart und Falko Herold

Staatsoper Hamburg, 12. Oktober 2023 

von Jolanta Łada-Zielke

Schön, dass die Staatsoper Hamburg erfolgreiche Produktionen aus der Vergangenheit wieder aufleben lässt. „Die Entführung aus dem Serail“ von David Bösch aus dem Jahr 2021 ist im Oktober 2023 zurück auf ihrer Bühne, und zwar unter der Leitung von der hervorragenden 24-jährigen englisch-französischen Dirigentin Stephanie Childress.

Das Bühnenbild ist sehr sparsam, während alle Figuren ständig in Bewegung sind. Belmonte und Pedrillo kämpfen mit Osmin, Blonde agiert mit einem Staubsauger, Selim spaziert erhaben rum, und selbst die statischste von allen Konstanze ändert ihre Position. In der symbolischen Ebene erscheinen viele Rosen, sowohl in Sträußen als auch einzeln: die weißen bedeuten Reinheit, die roten Liebe, aber auch Martyrium.

Der Anblick einer Tafel mit dem mit Kreide geschriebenen Titel des Singspiels sieht wie in einer Schule aus. Das Serail ist jedoch keine Schule, sondern ein exklusiver Club, der Bassa Selim gehört. In dieser Rolle sehen wir den Schauspieler Burghart Klaußner. Er stellt einen hoffnungslos verliebten älteren Mann dar, der keine Abneigung, sondern eher Mitgefühl zu wecken scheint. Diesen Effekt verstärkt noch das Video in Form einer Graphic Novel. Es ergänzt nicht nur die auf der Bühne dargestellten Themen (wie Seefahrten), sondern auch die Emotionen der Helden. Selim wirkt wie ein Oberlehrer unter unerfahrenen Schülern und spricht Lebensweisheiten aus. Sein abschließender Rücktritt und die Zustimmung zur Vereinigung und Abreise der beiden verliebten Paare gleicht fast einem väterlichen Segen.

Burghart Klaußner als Bassa Selim © 2021/Jörg Landsberg

Oleksiy Palchykov als Belmonte ist lyrisch in den Liebesarien und entschlossen und dynamisch in Ensembleszenen. Bei seinem ersten Duett mit Osmin sprühen die Funken zwischen den beiden. Pedrillo (Daniel Kluge) ist ein einfacher junger Mann, der seinem Herrn und seiner Auserwählten treu ist. Diese Einfachheit drückt er in seinem Gesang aus: klar, teilweise stark, ohne Vibrato. Sofia Fomina als Konstanze ist vor allem süß und lyrisch, aber bei den Auseinandersetzungen mit Selim gewinnt ihr Gesang an Dramatik. Ihre Aussprache ist sehr deutlich, auch in den hohen Tönen. Das gleiche kann man von ihrer Kollegin Narea Son sagen, deren Sopranstimme etwas dunkler ist. Sie singt technisch perfekt, ausdrucksstark und verleiht ihrer Figur (Blonde) eine gewisse Lebhaftigkeit und Trotz.

Den farbenreichsten Charakter hat Peter Kellner geschaffen, sowohl gesanglich als auch schauspielerisch. Dieser Bass verfügt über einen breiten Stimmumfang und klingt ausgezeichnet in der hohen Lage sowie in den tiefsten Tönen der großen Oktave. Sein Osmin ist kein unzüchtiger Greis, sondern ein attraktiver Schlägertyp, mal dämonisch, dann wieder witzig. Bewundernswert ist auch die Art, wie er mit der Axt manövriert. Ich vermute, dass man dieses Requisit angemessen unscharf machte, damit niemand verletzt wird. In einigen Szenen könnte es jedoch passieren, wenn nicht Kellers Geschicklichkeit und seine hervorragende choreografische Synchronisierung mit den anderen Sängern gewesen wäre.

Stephanie Childress © Kaupo Kikkas

Stephanie Childress führt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit Lebendigkeit, Leichtigkeit und Präzision. Ihre Bewegungen, die Art und Weise, wie sie sich über das Pult beugt, ihr Umgang mit der Dynamik, all das deutet auf einen hohen Grad an professioneller Reife hin. Hinzu kommt eine jugendliche Frische, die den Reiz dieses ersten Bühnenwerks von Mozart betont. Jede Phrase macht einen schönen Bogen, jede Note wiegt genau so viel, wie sie es soll.  Wie wir wissen, zum Zeitpunkt der Uraufführung von „Die Entführung aus dem Serail“ im Wiener Burgtheater – am 16. Juli 1782 – war der Komponist erst 26 Jahre alt, also nur zwei Jähre älter als diese Dirigentin.  Fast schein es, als wenn Mozart selbst am Dirigentenpult stände…

Ich habe die „Entführung aus dem Serail“ am 11. Oktober gesehen, mitten in der Woche, in der etwas weniger Publikum die Oper besucht als am Wochenende.

Ich denke, dass es sich lohnt, für solch ein Erlebnis aus dem Alltag auszubrechen und Mozarts Musik in einer erstklassigen Aufführung zu hören.

Eine letzte Vorstellung steht am 21. Oktober 2023 auf dem Programm der Staatsoper Hamburg. Sehr empfehlenswert für alle, die es noch nicht gesehen haben.

Jolanta Łada-Zielke, 17. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview: Dirigentin Stephanie Childress im Gespräch mit Jolanta Łada-Zielke klassik-begeistert.de, 14. Oktober 2023

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