Foto: Romeo Castellucci und Teodor Currentzis bei den Salzburger Festspielen © SF / Anne Zeuner
W. A. Mozart, „Don Giovanni“
Livestream auf arte aus dem Salzburger Großen Festspielhaus
7. August 2021
Gleich zu Beginn dieser lange erwarteten Premiere, noch ehe die Ouvertüre beginnt, wird von Bühnenarbeitern ein Kirchenraum von allen christlichen Symbolen leer geräumt, zurück bleibt ein neutraler weißer Raum. Damit ist klar, dass dieses Stück jenseits aller christlichen Moral und Ethik einzuordnen ist.
von Peter Sommeregger
Was der Regisseur Romeo Castellucci und der Dirigent Teodor Currentzis in den folgenden drei Stunden entfesseln, ist schwere Kost, aber in der letzten Konsequenz werden beide dieser „Oper aller Opern“ gerecht. Man könnte Seiten füllen mit der Beschreibung aller inszenatorischen Details, mit denen der Regisseur das Drama illustriert. Vieles wirkt bizarr, rätselhaft, folgt aber doch einer gewissen Logik und kann gedanklich zumeist nachvollzogen werden. Viele versteckte Botschaften finden sich in den phantasievollen Kostümen und den wenigen stilisierten Versatzstücken auf der sonst leeren weißen Bühne. Schauspielerisch fordert Castellucci den Sängern einiges ab, Rampensingen ist jedenfalls nicht angesagt.
Folgen die Einfälle des Regisseurs im ersten Akt noch der Handlung, wird der zweite Akt zunehmend abstrakt interpretiert. 150 Frauen aller Altersgruppen bilden so etwas wie einen stummen antiken griechischen Chor, was zu interessanten Tableaus, aber auch zu chronischer Überfüllung der Bühne führt, was bei den Dimensionen des großen Salzburger Festspielhauses etwas heißen will.
Das Dirigat des Teodor Currentzis ist, wie nicht anders zu erwarten, ungewöhnlich in den Tempi, atmet aber perfekt mit der Musik und erzeugt durch permanente Tempowechsel eine ganz eigene Dynamik, die sich jeder Arie perfekt anpasst. Wie Currentzis beispielsweise das abgedroschene „Là ci darem la mano“ durch extrem langsames Tempo und im Piano singende Protagonisten neu deutet, löst Erstaunen und Glücksgefühle aus. Currentzis erlaubt seinen Sängern auch nie gehörte Verzierungen und Variationen, die den Hörer verblüffen und erfreuen, kann er doch auf ein Ensemble der Luxusklasse zurückgreifen.
Eine Don-Giovanni-Aufführung kann nur glaubwürdig sein, wenn der Sänger der Titelrolle nicht nur stimmlich überzeugt, sondern auch eine erotische Ausstrahlung mitbringt. Das gelingt Davide Luciano vortrefflich, er ist nicht nur ein richtiger „Hingucker“, er strahlt auch Charme und Charisma aus, macht so seine Wirkung auf alle beteiligten Frauen glaubwürdig. Am Ende zieht er sich gar nackt aus, wälzt sich aber blitzschnell in weißer Schminke und wirkt damit wieder einigermaßen bekleidet. Seinen Diener Leporello gibt Vito Priante, mit seinem Herrn identisch kostümiert und ebenso geschmeidig singend als Alter Ego Giovannis. David Steffens ist ein brummiger, aber sicher agierender und singender Masetto, Mika Kares ein sonor wuchtiger Commendatore. Die stärkste vokale Leistung der Herren bietet Michael Spyres als Ottavio. Er macht aus dieser manchmal als langweilig empfunden Rolle eine zentrale Figur und begeistert das Publikum mit kühnen Verzierungen und Trillern in seiner zweiten Arie.
Auch die weiblichen Rollen sind ausgezeichnet besetzt. Federica Lombardi als Donna Elvira kann ihren warm und ausdrucksvoll timbrierten Sopran voll zur Geltung bringen, es gelingt ihr, diese oft als etwas säuerlich empfundene Figur mit Wärme und Emotion auszustatten. Anna Lucia Richter, die im Begriff steht, ins Mezzo-Fach zu wechseln, verleiht der Zerlina Charakter und Wohlklang.
Eine sensationelle Entdeckung ist Nadezhda Pavlova als Donna Anna. Ihr gelingt der Spagat zwischen den dramatischen Passagen und den fordernden Koloraturen der zweiten Arie ihrer Partie. Vom zartesten Piano bis zum Forte klingt ihre Stimme schlackenlos rein, sicher geführt und höhensicher. Da reift eine Mozartsängerin der Extraklasse!
Currentzis hat natürlich das von ihm gegründete Orchester musicAeterna nach Salzburg mitgebracht, aber dieses braucht den Vergleich mit den ebenfalls in Salzburg aufspielenden Orchestern nicht zu scheuen.
Sicher, ein höchst ungewöhnlicher „Don Giovanni“, der aber sowohl in der Qualität der szenischen Realisierung als auch der musikalischen Umsetzung überzeugen kann. Auch das Festspielpublikum ist angetan, vor allem die Sänger und Currentzis werden stürmisch gefeiert.
Peter Sommeregger, 8. August 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Davide Luciano (Don Giovanni)
Mika Kares (II Commendatore)
Nadezhda Pavlova (Donna Anna)
Michael Spyres (Don Ottavio)
Federica Lombardi (Donna Elvira)
Vito Priante (Leporello)
David Steffens (Masetto)
Anna Lucia Richter (Zerlina)