Originelle Ideen, Humor und Musikalität überwiegen in dieser gelungenen Mozart- Inszenierung in London

W.A. Mozart, The Magic Flute, English National Opera ENO, London Coliseum, englische Fassung, 3. Wiederaufnahme  6. März 2024

Norman Reinhardt, Rainelle Krause © Manuel Harlan

Angsterregende Giftschlangen winden sich in Videoprojektion auf einer bühnenfüllenden Leinwand, die drei lüsternen Damen treten in militärischen Tarnuniformen auf, die greise Königin der Nacht glänzt zwar mit virtuosen Koloraturen, rollt aber im Rollstuhl über die Bühne, Papageno tritt statt im bunten Federkleid in schmuddeliger Windjacke auf und die drei vorzeitig vergreisten Knaben humpeln am Stock (und singen trotzdem wunderbar) und Sarastros sonst so prachtvoller Weisheitstempel erinnert an ein graues, tristes Lagerhaus: Alles ist – wie üblich – anders als sonst in dieser englischsprachigen ENO- Inszenierung der Zauberflöte.  

Dennoch – originelle Ideen, Humor und Musikalität überwiegen. Eine gelungene Inszenierung.

W.A. Mozart, The Magic Flute

English National Opera ENO, London Coliseum,
englische Fassung, 3. Wiederaufnahme, 6. März 2024

Coproduktion  mit Complicité (ehem. Théâtre de Complicité), Niederländische Nationaloper und Festival d’Aix-en-Provence

Dirigentin: Erina Yashima

Inszenierung: Simon McBurney
Regie der Wiederaufnahme: Rachael Hewer
Bühne: Michael Levine
Kostüme: Nicky Gillibrand

Königin der Nacht: Rainelle Krause
Sarastro: John Relyea
Pamina: Sarah Tynan
Tamino: Norman Reinhardt
Papageno: David Stout
Papagena: Alexandra Oomens                      Monostatos: Peter Hoare                                Drei Damen: Carrie-Ann Williams, Amy Holyland, Stephanie Wake-Edwards

von Dr. Charles Ritterband

In ihrer dritten Wiederaufnahme (Regie der Wiederaufnahme: Rachael Hewer) von Mozarts unsterblicher „Zauberflöte aus dem  Jahr 2013“ – wie immer gemäß Tradition der English National Opera in englischer Sprache – sprüht diese ebenso originelle wie intelligente Inszenierung von Simon McBurney mehr denn je von Spielfreude, humorvollen  Ideen und Musikalität.
Stimmliche Highlights zweifellos die herrlichen, virtuosen Koloraturen der Rainelle Krause als Königin der Nacht: Mit scheinbar müheloser Leichtigkeit erklimmt sie im Laufschritt die legendäre, steile Leiter dieser Arie, rauf und runter, diamantenhart und sprühend, unter dem Jubel des Publikums. Diese jugendliche Akrobatik kontrastiert mit ihrem Auftritt als gebrechliche Greisin, mal am Stock, schließlich im Rollstuhl. Die schwindelnden Höhen, die sie mit ihrer trittsicheren Stimme erklomm, widerspiegelten sich in der Silhouette einer zerklüfteten Berglandschaft, welche den ersten  Teil der Oper scherenschnittartig den Bühnenhintergrund beherrschte.

Norman Reinhardt, Rainelle Krause © Manuel Harlan

Weshalb, so fragt man sich? Vielleicht weil sie die alte, dunkel-nächtliche Welt der Religionen und des Aberglaubens verköpert, während ihr Gegenspieler Sarastro die Gegenwelt des Lichts, der aufgehende Sonne der Aufklärung (deren Zeitzeuge Mozart ja war) und der Freimaurer mit ihren humanistischen Idealen verkörpert.

Dieser Sarastro ist nicht nur der Gegenspieler der „sternflammenden“ Königin, sondern dieser stimmlich auch ebenbürtig – die zweite sängerische Sensation dieses Abends: Mit seinem satten, warmen Bass, harmonische Urtiefen auslotend und seiner auch körperlich überragenden, unverrückbaren Autorität und überragenden Weisheit verkörpernd war der Sarastro von John Relyea neben der Königin der Nacht der zweite stimmliche Höhepunkt dieses Abends.

John Relyea, Ossian Huskinson, Jonathan Lemalu, Gavan Ring, Sarah Tynan © Manuel Harlan

Chor und Orchester der ENO unter der sensiblen Stabführung der deutschen Dirigentin Erina Yashima legten dieser Aufführung einen wunderbar harmonischen Klangteppich in bester Mozart’scher Operntradition. Das berühmte Zauberflöten-Solo war einfach himmlisch.

Norman Reinhardt, Claire Wickes © Manuel Harlan

Zahlreiche humorvolle Einfälle garnierten diese so überaus lebendige Inszenierung: In zwei schwarzen Boxen, links und rechts der Bühne, wurden die optischen, von einer Kamera auf die Bühne live übertragenen Spezialeffekte und handgeschriebenen Zwischentitel laufend produziert, während in der Box rechts, wie einst im Stummfilm, die akustischen Effekte, glucksendes Wasser für die Wasserprobe, raschelndes Plastik als Feuer bei der Feuerprobe hergestellt wurden. Musiker und Choristen flatterten mit Notenblättern – das Flattern  von Papagenos Vögeln.

Norman Reinhardt, David Stout © Manuel Harlan

Dieser Papageno (David Stout) mit kraftvoll-sonorer Stimme verkörperte den Vogelhändler mit aller Komik des simplen Naturburschen, denn diese Figur ist ja dem Hanswurst der Volksbühne abgeschaut und kontrastiert mit dem elegant-wissbegierigen Prinzen Tamino. Dieser (Norman Reinhardt) vermochte stimmlich nicht so recht zu überzeugen und fiel zudem anfangs durch Mängel an Präzision auf. Weshalb auch er ganz am Anfang im Tarnanzug (ebenso wie die drei Damen) durch die Wildnis zu pirschen hat, ist nicht ganz klar.

Sarah Tynan, David Stout © Manuel Harlan

Seine Partnerin Sarah Tynan als Pamina hingegen überzeugte mit glattem, harmonischen Gesang. Der  Monostatos des Peter Hoare ist so herrlich unsympathisch, dass er in seiner gespielten Brutalität nur noch komisch wirkt: längst vergangen und heute in England völlig undenkbar, dass diese Figur mittels „Blackfacing“ von einem „Schwarzen“ dargestellt wird, wie dies ja auch im (entsprechend angepassten) Originaltext gestanden hatte.

Während die Gebrechlichkeit der Königin durchaus sinnvoll erscheint, ist die Greisenhaftigkeit der drei (herrlich singenden) Knaben dann doch eher rätselhaft. Ein Pendant der greisen Chefin? Wir wissen es nicht.

Ein großer Schwachpunkt der Inszenierung ist die graue Tristezza des von Plasticwänden gesäumten „Weisheitstempels“ Sarastros. Dass hier sorgsam jegliche Freimaurer-Symbolik ausgeschaltet wurde mag als Ansichtssache durchgehen, doch attraktiv ist diese triste Welt des großen, toleranten Aufklärers mitnichten.

Norman Reinhardt © Manuel Harlan

Da hält man’s doch eher mit dem pragmatischen Papageno, der gradlinig für Sex, Wein und Essen plädiert – der aber in dieser Inszenierung für seine Prahlerei gehörig zu leiden hat, denn hier wurde er  mit einem Plastsikband gefesselt und seinen Kopf steckten die drei streitbaren Damen  mindestens eine Viertelstunde lang in eine Kartonschachtel mit der Aufschrift „Vögel“…

Dr. Charles Ritterband, 10. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte Staatstheater am Gärtnerplatz, 22. Oktober 2023

Die Zauberflöte, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart Staatsoper Hamburg, 16. Dezember 2022

Die Zauberflöte Wolfgang Amadeus Mozart Semperoper Dresden, ab 29. Oktober 2022

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