Clive Mantle, ENO’s Iolanthe 2023 © Craig Fuller
„Iolanthe“ ist noch vor allen anderen brillanten Werken des Librettisten/Komponisten-Duos Gilbert&Sullivan deren englischste aller Operetten: Eine beißende Satire auf das englische Klassensystem und das bis heute heftig umstrittene Oberhaus, das House of Lords in einer atemberaubend aufwendig-phantasievollen Inszenierung. Da schweben Feen – für das viktorianische England durchaus real existent – durch einen üppig-bunten Dschungel überdimensionierter Blumen (die englische Vorstellung vom legendären Arkadien), da stößt eine Dampflokomotive mit angehängtem Waggon in Originalgröße ritschratsch durch den gemalten Prospekt im Bühnenhintergrund, da verwandelt sich die üppige Feenwelt im Handumdrehen in das prunkvolle House of Lords, wo sich Feen und Lords fröhlich paaren und damit die (dann doch nicht zur Anwendung gelangte) Todesstrafe heraufbeschwören, da wandern Schafe und andere Tiere in realistischen Figuren über die Bühne: Spektakulär von Arkadien bis Westminster (Bühne: Paul Brown)! Kein Wunder ist dies die beliebteste aller Operetten im Repertoire der English National Opera!
W.S. Gilbert / Sir Arthur Sullivan, Iolanthe
English National Opera ENO, 7. Oktober 2023
Dirigent: Chris Hopkins
Regie: Cal McCrystal
Choreographie: Lizzi Gee
Bühne: Paul Brown
Iolanthe: Samantha Price
Der Lord Chancellor: John Savournin
Die Feenkönigin: Catherine Wyn-Rogers
Phyllis: Ellie Laugharne
Strephon: Marcus Farnsworth
Captain Shaw: Clive Mantle
von Dr. Charles E. Ritterband
Englischer Humor in der hierzulande so beliebten Form gnadenlos bissiger Satire und parodistisch gemeinter Riesenkitsch ziehen sich durch diese vielleicht berühmteste englische Operette – neben dem unsterblichen, urkomischen „Mikado“ und den ebenso surrealen „Pirates of Penzance“.
Clive Mantle gab mit umwerfender Komik und perfekter Kostümierung den viktorianischen Feuerwehroffizier als würdigen und doch stets augenzwinkernden Zeremonienmeister, der gelegentlich auf der Bühne einzugreifen hatte, wenn die Feen von ihrem Feuerzauber allzu waghalsig Gebrauch machten. Selbstverständlich war das Publikum im prachtvoll-überladenen „London Coliseum“ – mit 2359 Sitzplätzen das größte Theater Londons – hingerissen und kapierte natürlich sofort die Anspielungen auf die vom Arts Council lancierte Schnapsidee, die ENO von ihrem Heim im Coliseum in die entfernte nördliche Industriestadt Manchester zu transferieren: Der Feuerwehrhäuptling sprach für alle verständlich von der „geplanten Verlegung des House of Lords nach Manchester“…
Die Regiearbeit von Cal McCrystal schliff die Pointen messerscharf und sekundengenau – der Humor wirkte stets treffsicher und niemals überdreht und dümmlich wie in so manchen Produktionen, wie ich sie beispielsweise auf Wiener Bühnen (der neue „Orpheus in der Unterwelt“ an der Volksoper fällt mir da als erstes ein) zu sehen bekam.
Und England wäre nicht England, wenn da nicht täuschend realistische Kopien englischer Politiker aufgetreten wären – allen voran natürlich Ex-Premier Boris Johnson mit seinem unverkennbaren wirren, blonden Wuschelkopf und der notorisch snobistische Tory-Unterhausabgeordnete Jacob Rees-Moog, der hemmungslos auf den Bänken des ehrwürdigen Parlaments herumlümmelte.
Der Chor hatte eine doppelte Aufgabe – nämlich gesanglich sowohl als auch tänzerisch – virtuos zu bewältigen (Choreographie: Lizzi Gee) und die Mezzosopranistininnen Samantha Price als Iolanthe sowie Catherine Wyn-Rogers als Feenkönigin glänzten sängerisch mit starken, strahlenden Stimmen.
- Der Bass-Bariton John Savournin verkörperte den Lord Chancellor mit sonorer Tiefe und pointiertem Humor.
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Das Hausorchester der ENO unter der Stabführung von Chris Hopkins intonierte Sullivans süffig-eingängige Tonfolgen mit Temperament und sinnlicher Tiefe.
Dr. Charles E. Ritterband, 7. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Janine Tesori (Libretto Tazewell Thompson), “Blue” English National Opera ENO, 4. Mai 2023
Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt ENO English National Opera, 28. März 2023