Foto © Tillmann Franzen
WDR Sinfonieorchester, Grieg & Mahler, Jukka-Pekka Saraste
Kölner Philharmonie, 28. Juni 2019
Boris Giltburg, Klavier
WDR Sinfonieorchester
Jukka-Pekka Saraste, Dirigent
Edvard Grieg
Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 16 (1868)
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 6 a-Moll (1903–05; rev. 1906–07) „Tragische“
Von Daniel Janz
In einem fast 3 Stunden langen Monster-Programm widmet sich das WDR Sinfonieorchester im insgesamt vorletzten Konzert des Chefdirigenten Jukka-Pekka Saraste (63) zwei Werken, die höchstes Können voraussetzen.
Als Material dienen ihnen Grieg und Mahler – zwei Komponisten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. So verlangt das Klavierkonzert von Grieg höchste Virtuosität, während Mahlers berühmte Sinfonie mit den Hammerschlägen und der ungeklärten Reihenfolge der Mittelsätze zu dem Rätselhaftesten und Brachialsten gehört, was der Komponist geschrieben hat.
Gleich zu Eingang beweist das Orchester über weite Strecken, dass das Virtuose zu dessen Stärken gehört. Dieses einzige von Edvard Grieg vollendete Konzert setzte bereits zur Uraufführung 1869 in Kopenhagen Maßstäbe. Bei der Erfüllung derselben sticht an diesem Abend der gerade einmal 34 Jahre junge israelische Pianist Boris Giltburg als Solist überragend hervor. Mit seinem sanften, fast seidigen Anschlag zeigt sich der in Moskau geborene Künstler dieser Komposition mühelos gewachsen. Ob bei den klar umrissenen Themen oder den grazil fließenden Klavierfiguren – er versteht es, bereits den ersten Satz mit so viel Potenzial aufzuladen, dass dieser als eigenständiges Werk gelten könnte.
Auch die gute Leistung des Orchesters unter seinem scheidenden Chefdirigenten kann hier hervorgehoben werden. Wenngleich es insgesamt hinter dem Niveau von Giltburg etwas zurückbleibt, so können doch einzelne Akteure, zum Beispiel in den einfühlsamen Hornsoli im zweiten Satz oder auch in den aufwühlenden Passagen im dritten Satz überzeugen.
In diesem dritten Satz kann auch Giltburg beweisen, dass er neben Feinfühligkeit am Klavier auch Feuer in seine Musik bringen kann. Besonders im Finale spielt er so grandios mit dem Orchester auf, als hätte er selbst das Dirigat übernommen. Dass er seine umjubelte Leistung dann noch einmal mit einer einfühlsamen Zugabe krönt, lädt zum Träumen ein. Besonders seine einzigartige Sensibilität dem einzelnen Klang gegenüber wird hier noch einmal offensichtlich.
Irritierenderweise überträgt sich diese Sensibilität bei Mahlers sechster Sinfonie nicht auf das Orchester. Diesem Werk wird nachgesagt, dass der Komponist sich hier seinem Aberglauben an das Schicksal stellte und bereits die 3 großen Krisen, die ihm letztendlich das Leben kosten sollten, vorwegnahm – abergläubisch bedingte Revisionen mit eingeschlossen.
Dabei dominieren im ersten Satz dieser sogenannten „tragischen“ Sinfonie markige, starke Rhythmen. Den häufig als „Schicksals“-Motiv bezeichneten Leit-Rhythmus arbeitet das Orchester hier auch gut, gelegentlich etwas zurückhaltend heraus. Gleiches gilt für die Themen, die im gesamten Orchester erklingen.
Was stattdessen überhaupt nicht passt, sind die sensiblen Passagen. Im ersten Satz schon treibt Jukka-Pekka Saraste seine Musiker so sehr durch die mittlere Ruhephase, dass sie fast unbemerkt verklingt. Auch der sensible Sehnsuchtsausdruck des Andantes, das heute an dritter Stelle gespielt wird, bricht geradezu ein. Wäre man böse, könnte man mutmaßen, dass der Dirigent seinen Abschied von diesem Orchester gar nicht schnell genug vollziehen kann. Einen Kenner des Werkes und des Orchesters kann diese ungewohnte Hetze jedenfalls schon verwundern.
Auch in anderen Details hapert es an diesem Abend übermäßig oft. Während die Soli vom ersten Horn, der ersten Trompete und Tuba alles überstrahlen, gehen diese heute von vielen Gastmusikern besetzten Instrumente als Gruppe viel zu häufig im Tutti unter – was besonders verwundert, haben Blechblasinstrumente in einem mehrstimmigen Satz normalerweise nie dieses Problem.
Auch gestaltet sich die Ausformung vieler Details schwierig, was mitunter daran liegt, dass die Klarinetten nahezu durchgängig alles in nervtötender Weise zutröten. Darunter leiden die Ausformung der Nebenstimmen und Effekte genauso, wie der Gesamtklang.
Durchgängig positiv bleibt das Schlagzeug in Erinnerung. Bereits im Scherzo – heute an zweiter Stelle und bei dieser Aufführung der am besten interpretierte Satz – kann die Gruppe überzeugen. Auch im Finale werden die schicksalhaften Hammerschläge, die nach furiosem Treiben und ausufernder Dramatik die Musik förmlich kaputtschlagen, geradezu filmreif inszeniert. Das beschert allen Schlagzeugern nach dem schreckenvollen Ende dieser Komposition einen verdienten Sonderapplaus.
Auch, wenn das Publikum die heutige Leistung mehrheitlich zu würdigen weiß, muss man dem WDR Sinfonieorchester leider attestieren, mit dieser Aufführung am Maß der Mittelmäßigkeit gekratzt zu haben. Zu oft passte es nicht im Gesamtausdruck und in der Dramaturgie. Einige Orientierung spendende Details wurden gar ganz unterschlagen, und der ein oder andere falsche Ton tat sein Übriges dazu. Nach diesem Abend muss man sich jedenfalls fragen, ob sich das Orchester mit diesem Programm nicht übernommen hat und Mahlers Sinfonie alleine nicht bereits ausgereicht hätte.
Daniel Janz, 30. Juni 2019, für
klassik-begeistert.de