Wenn sonst gar nichts funktioniert, bleibt alles an den Musikern hängen

WDR Sinfonieorchester, Marek Janowski, Dirigent, Frank Peter Zimmermann  Kölner Philharmonie, 31. Oktober 2025

Marek Janowski © Felix Broede

Kölner Philharmonie, 31. Oktober 2025

WDR Sinfonieorchester
Marek Janowski, Dirigent

Frank Peter Zimmermann, Violine

Ludwig van Beethoven
– Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61
Zugabe: Adagio aus Johann Sebastian Bach – Sonate für Violine Nr. 3 in C-Dur

Max Reger
– Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart op. 132
Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 1 in C-Dur op. 21

von Daniel Janz

Ist es übertrieben, der Kölner Philharmonie eine Krise zu attestieren? Ein neues Design, das ausgekünstelte Belanglosigkeit ausdrückt… eine desaströse neue Homepage, die sich der Funktion verweigert, Übersichtlichkeit durch Anbiederung an eine klassikferne Zielgruppe opfert und den Ticketverkauf derart unnötig verkompliziert, dass aktiv das Publikum vergrault wird… und dann auch noch ein Stromausfall, der die Proben so schwer beeinträchtigt, dass ganze Programmpunkte ersetzt werden müssen. Man könnte meinen, Nichts läuft mehr im Musiktempel am Rhein. Können denn wenigstens die Musiker den Karren aus dem Dreck ziehen?

Vor diesem Hintergrund ist es fatal, dass in Köln heute auch sonst nichts geht. Halloween hat hier zwar (noch) nicht denselben Stellenwert, wie Karneval. Trotzdem tummeln sich zahllose maskierte und geschminkte Gestalten auf den Straßen – Chaos und Behinderungen im Verkehr inklusive. Allein die Ankunft im Konzertsaal – dank diverser Verspätungen und Ausfälle eine Odyssee von über 3 (!) Stunden Fahrtzeit auf der Strecke Düsseldorf-Köln – ist eine indiskutable Unzumutbarkeit. Als läge auf allem ein Fluch. Ein Wunder, dass das Publikum heute trotzdem zahlreich erscheint.

Der Abend wird vor allem durch einen gerettet

 Wie gut, dass uns mit Frank Peter Zimmermann (60) jemand daran erinnert, dass an diesem Wochenende aber auch Reformationstag und Allerheiligen gefeiert werden. Da wirkt seine Anmerkung wie eine Oase der Wohltätigkeit in der Chaosstadt am Rhein. Und auch seine Rolle in Beethovens Violinkonzert kristallisiert sich schnell zum Höhepunkt des Abends heraus. Dieses Werk ist zwar Repertoirestück. Aber wie Zimmermann es heute zu Marek Janowskis (86) Dirigat einstimmt, klingt wie von einem anderen Stern. Gemeinsam mit dem Orchester in Höchstform verschmelzen sie zu einer Einheit. Als würde da ein einziger Organismus auf der Bühne spielen.

Allein wie Zimmermann im Tutti die klaren Themen der Violinen mitspielt, unterstreicht dies. Wunderschön arbeitet Janowski auch die Celli heraus. Und Zimmermanns Soli faszinieren; so hat man Beethoven noch nicht gehört! Das begeistert so sehr, dass es bereits nach dem ersten Satz stürmischen Zwischenapplaus gibt. Und das, obwohl mitten in der Solokadenz ein Handy die Aufführung derart penetrant stört, dass Zimmermann sein Spiel sogar irritiert unterbricht. Da holt einen die Stadt wieder ein: das Kölner Publikum ist und bleibt eine Zumutung. Pfui!

Frank Peter Zimmermann © Harald Hoffmann

Für die Professionalität der Musiker spricht, dass sie diesen Affront abperlen lassen. Im zweiten Satz hackt Janowski zwar durch sein zügiges Tempo die Themen etwas ab. Zimmermann fängt das Orchester aber wieder ein und führt es im Finale zu Janowski nahezu ebenbürtig in eine Klangeruption voller Leidenschaft. Das ist Gänsehaut pur! Dafür ernten sie auch tosenden Applaus, etliche Bravorufe und Stehende Ovationen. Nach dieser Leistung wirkt Zimmermanns Zugabe wie das Sahnehäubchen zu einem bereits vollwertigen Hör-Festschmaus. Diese Sonate von Bach scheint eh sein Paradewerk zu sein, auch vor 4 Jahren brachte er sie hier – auch damals in einem Konzert mit Marek Janowski. Heute krönt sie eine fast perfekte erste Konzerthälfte.

Max Reger ohne Strom? Kann man in Köln nicht.

Die Ernüchterung des Abends ist der Austausch des Hauptwerkes. Eigentlich hätte mit Max Regers „Mozart-Variationen“ ein seltenes Konzertjuwel erklingen sollen. Aber wie schon festgestellt: In Köln läuft inzwischen ja gar nichts mehr! So sahen sich auch die Veranstalter durch die Einschränkungen nicht imstande, ein Werk solcher Tragweite aufzuführen. Für den Rezensenten eine unverständliche Entscheidung; an den 4 zusätzlichen Musikern im Vergleich zum Ersatzwerk kann es doch nicht liegen?

Stattdessen setzt man auf Beethovens erste Sinfonie. Ein Stück weit klingt dieser Teil des Abends, als würde man hier mit Routine abgespeist. Beethoven ist nun mal ein Klassiker. Viel Neues kann man da nicht entdecken. Bleibt zu hoffen, dass sich niemand betrogen fühlt, der sich auf Reger gefreut und dafür Geld bezahlt hat.

WDR Sinfonieorchester Köln (WSO), aufgenommen in der Philharmonie Köln © WDR/Clüsserath

Am besten gelingen der erste und dritte Satz. Diesen verleiht Janowskis Dirigat viel Zug und Ausdruck, im dritten Satz stellt sich gar ein tänzerisches Moment ein. Und auch Janowskis Behandlung des Streicherkörpers ist meisterhaft. Wie man es von ihm kennt, setzt er auf sensible Intonation und klares Herausarbeiten der Themen.

Allerdings wird auch in dieser Sinfonie Janowskis heutiger Hang zum schnellen Tempo deutlich. Bereits die Durchführung im ersten Satz hätte eine Spur mehr Gemächlichkeit vertragen können. Der zweite Satz wird dann in den Momenten, in denen die Pauke einsetzt, doch zu hastig, sodass kein Funke überspringen will. Immerhin rettet es das Finale dann noch in einen Achtungserfolg. Im Vergleich aber konnte das Violinkonzert mehr überzeugen. Scheint, als wären die Einschränkungen, mit denen dieses Konzert im Vorfeld zu kämpfen hatte, doch nicht spurlos geblieben.

Der Live-Stream von der Wiederholung des Konzerts am 1. November 2025 kann auf YouTube nachträglich angesehen werden. Man beachte, dass Frank Peter Zimmermann an Allerheiligen Schuberts Erlkönig zur Zugabe gespielt hat:
https://www.youtube.com/watch?v=HHnRYQu3hmk

Daniel Janz, 1. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Meinungsbeitrag: Quo vadis, Kölner Philharmonie? Kölner Philharmonie, 21. Oktober 2025

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Wiener Philharmoniker, Frank Peter Zimmermann (Violine), Daniel Harding Kölner Philharmonie, 6. Oktober 2023

2 Gedanken zu „WDR Sinfonieorchester, Marek Janowski, Dirigent, Frank Peter Zimmermann
Kölner Philharmonie, 31. Oktober 2025“

  1. Lieber Daniel,

    gestern fragte ich meinen langjährigen Abonachbarn, ob er schon das zweifelhafte Vergnügen gehabt habe, sich die neue Homepage anzusehen. Keine Sekunde später entfuhr ihm in seinem sanglichen Rheinisch diese Antwort: „Und da sind die auch noch stolz drauf!“ Er sprach ebenfalls von Anbiederung.

    Ich nahm das neue Magazin mit, „Frequenz“ heißt es, in dem offenbar ausführlich über die Neuerungen geschrieben wird. In einer starken Stunde werde ich das mal lesen. Das unpassende Titelbild könnte dennoch passender nicht sein: Ein Mensch steht kopf.

    Ebenfalls völlig bizarr: Auf den Plakaten vor dem Haus ersetzt nunmehr ein QR-Code die wichtigste Information, nämlich: was gespielt wird. Man begreift wirklich nicht, was das soll.

    Es erinnert mich an ein kleines Café, das ich letztes Jahr in Paris besuchte. Drei Menschen hinterm Tresen hatten nichts zu tun, es war nichts los. Dennoch wurde ich gebeten, meine Bestellung an einem elektronischen Terminal aufzugeben.

    Zum Thema Bahn: Drei Stunden, nicht schlecht! Ich bin im Sommer per Bahn ins Baskenland gefahren. Die nervenaufreibendste Etappe der Reise war die Strecke Bonn-Köln.

    Liebe Grüße,

    Brian

    1. Lieber Brian,

      ja, ich verstehe es auch nicht, wie man so viel Geld verbrennen, sich dafür auch noch selbst beweihräuchern und am Ende allen nur das Leben unnötig erschweren kann. Diese neue Website und das neue Branding sind doch ein Betrug am Konzertgänger. Ich krieg inzwischen Magengeschwüre, wenn ich diesen Mist nur sehe! Man kann über die Homepage nicht einmal die gespielten Titel erfahren, geschweige denn Karten bestellen. So bescheuert kann man doch nicht sein, wie die hier in Köln arbeiten! Muss man denn alles, was mal gut war, immer zerstören? Daran krankt doch inzwischen alles in diesem Land!

      Wenn das so weitergeht, müssen wir Journalisten es uns noch zur Aufgabe machen, so lange diese Homepage zu kritisieren, bis sie in Grund und Bodem gestampft wird. Ich habe offen gesagt überhaupt keine Lust darauf; würde mich lieber auf schöne Dinge konzentrieren. Aber eine der wenigen schönen Sachen hier vor Ort macht man ja gerade komplett kaputt. Und wie soll es denn jemals besser werden, wenn nicht irgendwer was sagt?

      In dem Sinne:
      Wider den „Modernisierungs“-Wahn, wider die Anbiederung und wider die digitale Ausgrenzung aller, die vor dem Jahr 2000 geboren wurden.

      Gruß,
      Daniel

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