Foto: Theater Lübeck 2021 (c) Olaf Malzahn
Werke von Humperdinck, Rheinberger, Cornelius, Vasks, Mendelssohn Bartholdy, Rossini, Strauss und Wagner
Takahiro Nagasaki Dirigent
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Theater Lübeck, 25. Dezember 2021
von Dr. Andreas Ströbl
Das kann nur Weihnachten: Die perfekte Kombination von Tradition und Überraschung. Weihnachten ist nur dann auch wirklich Weihnachten, wenn liebe Rituale entsprechend gepflegt werden und es unter dem Baum Geschenke gibt, mit denen man nicht gerechnet hat und die einem verraten, dass die oder der Schenkende sich wirklich was dabei gedacht hat.
Die Verantwortlichen im Lübecker Theater haben wieder einmal bewiesen, dass sie sich hingebungsvoll Gedanken gemacht haben, wie sie die klingende Bescherung am 1. Weihnachtsfeiertag gestalten sollten.
Im Zentrum stand Engelbert Humperdinck und mit dem kann man zu Weihnachten ohnehin nichts falsch machen. Aber es gab diesmal nicht nur „Hänsel und Gretel“, sondern gleich zu Beginn das Vorspiel aus seinem „Dornröschen“. „Märchenhaft verträumt“ sollte der Abend werden – das versprach der Dramaturg Christian Münch-Cordellier in seiner kleinen Einführung – und die romantische Stimmung aus diesem selten gespielten Werk passte programmatisch ganz hervorragend. Diese Oper, die Humperdinck selbst als „Ausstattungsstück mit allerhand Musik“ bezeichnete, orientiert sich zwar am Grimm-Märchen, aber Handlung und Personal sind deutlich erweitert. In jedem Falle „wagnert“ es, wie bei „Hänsel und Gretel“ auch in dieser Musik sehr und es werden spätromantische, rückwärtsweisende Bilder aufgebaut, die tatsächlich träumen lassen. Traumhaft spielte wieder einmal das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter der Leitung von Takahiro Nagasaki, dessen bewegtes, energiegeladenes Dirigat aus dem großen Orchester sowohl Wucht als auch Zartheit herausholte. In diesem ersten Teil vor der Pause gab es aus der Nummern-Oper „Dornröschen“ noch die „Ballade“ und die „Festklänge“ mit schönen Steigerungen, alles phantastisch gespielt, mit breitem, klaren Blechklang, darunter immer wieder die Trompete hell leuchtend. Überraschungspackerl waren auch zwei Hirtenstücke aus der Weihnachtskantate „Der Stern von Bethlehem“ von Josef Gabriel Rheinberger, ebenfalls selten gehört, aber wie gemacht für diesen Abend.
Virginia Felicitas Ferentschiks starker Sopran gab die festlich-sakrale Stimmung angemessen wieder, die feinen Cello-Pizzicati korrespondierten wunderbar mit Solistin und gemischtem Chor. Der war trotz der relativ kleinen Besetzung sehr präsent, die Damenstimmen hatten in den Höhen zuweilen eine leichte Schärfe.
Die sechs „Weihnachtslieder“ von Peter Cornelius sind von den Texten her in ihrer Kindlichkeit liebenswert naiv und spielen bereits mit der Reflexion des Erwachsenen, der sich selig an die „Träume der Vergangenheit“ erinnert und sich danach sehnt, den Kindern gleich und damit Jesus nahe zu sein. Am bekanntesten aus diesem Zyklus ist sicher das dritte Lied, „Die Könige“. Nagasaki begleitete souverän am Flügel den Bariton Johan Hyunbong Choi, mit großartigem Textverständnis und sensibler Einfühlung in die kindlichen Seelenbilder. Leider zerstörte das ständige Zwischenklatschen des Publikums die intime Stimmung.
Zum Abschluss des ersten Teils gab es – selbstverständlich! – die Ouvertüre zu „Hänsel und Gretel“ und für die glänzende Orchesterleistung ertönten bereits die ersten „Bravo“-Rufe.
Eine weitere, noch größere Überraschung erklang zu Beginn des zweiten Teils mit dem „Moderato“ aus „Musica adventus“ für Streichorchester des zeitgenössischen lettischen Komponisten Pēteris Vasks. Münch-Cordellier hatte das suchende Moment in diesem Stück angekündigt und tatsächlich entstand das Bild einer in einem dunklen Raum umhertapsenden Person mit einem Kerzenleuchter in der Hand, die immer mehr vom Licht der Weihnacht erahnt, das aus der nur anzitierten Melodie des Bach´schen „Vom Himmel hoch“ aus dem Finstern glitzert. Mit strahlenden Kaskaden ergoss sich die frohe Botschaft, vielmehr die „gute neue Mär“, sofort anschließend auf die Gläubigen im Eingangschor aus Mendelssohns gleichnamiger Choralkantate. Was für eine großartige Idee, diese beiden Stücke miteinander zu kombinieren!
„Der guten Ideen bring´ ich so viel“, dachten sich die Lübecker und setzten noch eins drauf, nämlich mit der vitalen Italianità des „Domine Deus“ aus Rossinis „Petite Messe Solennelle“, gesungen vom Tenor Owen Metsileng, unbestritten der solistische Star des Abends. Metsileng und auch die wunderbare Sopranistin Evmorfia Metaxaki im darauffolgenden „Wiegenlied“ von Richard Strauss hatten wie alle Solistinnen und Solisten dieses Konzerts ihre Glanznummern, aber keiner von ihnen musste sich oder dem Publikum etwas beweisen. Alle schenkten mit Hingabe ihren Teil des Abends und nahmen sich dann wieder bescheiden zurück. Das gilt auch für den ersten Violinisten Carlos Johnson mit seinen feinsinnig und ausdrucksvoll gespielten „Träumen“ für Violine und Orchester aus Wagners „Wesendonck-Liedern“. Der „Abendsegen“ aus „Hänsel und Gretel“ musste natürlich sein und erglänzte mit Virginia Felicitas Ferentschik und der Mezzosopranistin Milena Juhl.
Auf den begeisterten Applaus antwortete das Ensemble mit „Jauchzet, frohlocket“ aus Bachs „Weihnachtsoratorium“ als Zugabe und damit waren wirklich alle Wünsche auf dem musikalischen Wunschzettel erfüllt. Stehende Ovationen waren der Dank für die tönende, funkelnde Bescherung
Dr. Andreas Ströbl, 25. Dezember für
für Klassik-begeistert.de und Klassik-begeistert.at