Foto: Theater an der Wien © Rupert Steiner
Wiener Festwochen, 10. Mai – 16. Juni 2019
Nach einigen Jahren der selbstauferlegten Abstinenz (dank des Intendanten-Desasters) machen zwei hervorragende Produktionen wieder Hoffnung, dass die Wiener Festwochen ihr ursprüngliches Niveau zurückfinden. Da waren sowohl der gewaltige und unvergessliche Monolog der grandiosen Isabelle Huppert als auch das Tanzensemble von Anne Teresa de Keersmaeker ein deutliches Indiz dafür, dass sich das Wiener Festival wieder erholt.
„Mary Said What She Said“ mit Isabelle Huppert am 31. Mai 2019; Museumsquartier Halle E.
Die sechs Brandenburgischen Konzerte mit dem Ensemble B’Rock Orchestra, Choreographie Anne Teresa De Keersmaeker, am 4. Juni 2019 im Theater an der Wien
von Herbert Hiess
2017-2018 war ein gewisser Thomas Zier-Kin Intendant des Festivals von Weltruf; dieser Intendant war offenbar ein politisches „Liebkind“ von Alexander Mailath-Pokorny, der jetzt Rektor der MUK in Wien ist (das ehemalige Konservatorium der Stadt Wien). Und dieser Intendant hat in den zwei Jahren seiner Tätigkeit ein künstlerisches Trümmerfeld hinterlassen. Gerade das Wiener Festival konnte mit den interessantesten Theater- und Opernproduktionen aufwarten; hier gaben sich Künstler wie Bruno Ganz, Cate Blanchett, Nikolaus Harnoncourt, Claudio Abbado, Pierre Boulez ihr frühsommerliches „Stelldichein“ in Wien. Mit der zweijährigen unseligen Intendanz wurde aus dem einst so renommierten Kunstfest eine lose Aneinanderreihung von merkwürdigen Veranstaltungen, die eher der Alternativszene und der „Partykultur“ zuzuordnen waren als zu einer ernstzunehmenden kulturellen Auseinandersetzung.
Nun hat seit 2019 der Belgier Christophe Slagmuylder nach der viel zu späten Absetzung des vorigen Intendanten die Leitung des Festes über. Hinsichtlich der langen Planungsdauer konnte man für 2019 keine Wunder erwarten; doch zwei der Veranstaltungen lassen tatsächlich darauf hoffen, dass das ursprüngliche Niveau wieder erreicht wird.
Da war einmal mit Isabelle Huppert wieder eine Schauspielerin von Weltrang zu Gast in Wien, die mit einem bestürzenden und beklemmenden Monolog von fast 90 Minuten das tragische Leben der Schottischen Königin Mary Stuart erzählt hat. Der Amerikaner Darryl Pinckney verfasste ein dreiteiliges, aus 86 Absätzen bestehendes Melodram, das das unselige Leben der Schottischen Königin Revue passieren lässt. Die geniale französische Aktrice Huppert schafft es, gemeinsam mit dem Regisseur Robert Wilson den Monolog so mit Leben zu erfüllen, dass man beim Zusehen total die Zeit vergaß. Wilson machte aus dem Monolog ein ganz frugales Bild, das hauptsächlich von Lichteffekten lebt.
Trotz der manchmal chaotischen Abfolge des Textes schufen Frau Huppert und Herr Wilson ein Werk von bleibender Erinnerung. Natürlich darf man die geniale Musik Ludovico Einaudis nicht vergessen; er schuf zu jedem Satz die richtige Stimmung.
Und letztlich nochmals Chapeau vor Frau Huppert. Nicht nur die Gedächtnisleistung war mehr als bewundernswert – auch ihre Sprechkunst sucht ihresgleichen. Nicht nur, dass sie rhythmisch mit der Musik deklamieren musste (oft in rasendem Tempo); sie achtete immer auf eine klare Diktion.
Die Niederländerin Anne Teresa de Keersmaeker choreographierte Johann Sebastian Bachs „Brandenburgischen Konzerte“, die eigentlich Tanzmusik im besten Sinne des Wortes sind. Bach zeigt in den sechs Konzerten das ganze Spektrum der Instrumentalmusik; die Konzerte sind den „Concerti Grossi“ nachempfunden (Anm.: ein „Concerto Grosso“ ist ein Orchesterwerk, bei dem das Orchester gemeinsam mit einer Gruppe von Soloinstrumenten spielt) und hauptsächlich auf höfische Tanzmusik aufgebaut.
Das ist auch einer der Gründe, warum Frau De Keersmaeker diese sechs Stücke als Tanztheater umsetzte. Und mehr als genial, wie sie die Musik in die Körpersprache verwandelte. Die Tänzer waren nicht so gestylte Ballett-Menschen, wie man sie sich vorstellt – sie waren viel mehr „Alltagspersonen“, die man auch in der U-Bahn treffen kann. Da waren junge und ältere dabei und auch nicht ganz schlanke.
Trotzdem (oder gerade deswegen) konnten die Leute das Publikum begeistern. Die Choreographin hatte für jeden Tänzer ein Solo konzipiert – da gab es keinerlei Primadonnengerangel. Es war einfach nichts anderes als eine wahre Augenfreude.
Die Ohrenfreude brachte das B’Rock Orchestra unter Amandine Beyer. Hier wurde mit Begeisterung das ganze Bach’sche Spektrum ausgekostet. Phantastisch die einzelnen Solisten.
Herbert Hiess, 4. Juni 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Mary Said What She Said, 31. Mai 2019, Halle E im Museumsquartier
Monolog in drei Teilen
Regie, Bühne, Licht, Robert Wilson
Mit Isabelle Huppert
Text, Darryl Pinckney
Musik, Ludovico Einaudi
Die sechs Brandenburgischen Konzerte, 4. Juni 2019, Theater an der Wien
Musik von Johann Sebastian Bach
Choreographie, Anne Teresa De Keersmaeker
Musikalische Leitung, Amandine Beyer
Orchester, B’Rock Orchestra
div. Solisten