Das Jeunesse-Orchester begeistert in a-moll

Wiener Jeunesse Orchester, Jonathan Stockhammer, Dirigent  Großer Saal der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, 29. April 2023

Foto © Kai Bienert

Der feierliche Posaunenchoral kurz vor dem Ende hat mich tief berührt. Nach dem düster verklingenden Schluss feierte das Publikum Orchester wie Dirigenten enthusiastisch und ausdauernd.

Großer Saal der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, 29. April 2023

Wiener Jeunesse Orchester
Jonathan Stockhammer, Dirigent

Robert Schumann, Klavierkonzert a-Moll op. 54
Gustav Mahler, 6. Symphonie a-Moll

von Dr. Rudolf Frühwirth

Am 29. April 2023 musizierte das Wiener Jeunesse Orchester im Großen Saal des Musikvereins in Wien. Das Orchester wurde 1987 von Manfred Honeck gegründet und hat sich seither als das bundesweite Jugendsymphonieorchester Österreichs etabliert. Die Mitglieder des WJO sind Studenten und Studentinnen an Musikuniversitäten und Konservatorien aller österreichischen Bundesländer im Alter von 18 bis 26 Jahren. Der künstlerische Leiter ist seit 1989 Herbert Böck.

Das Konzert am Nachmittag des 29. April stand ganz im Zeichen der Tonart a-moll. Auf dem Programm waren das Klavierkonzert von Robert Schumann und die 6. Symphonie von Gustav Mahler, unter der Leitung des amerikanischen Dirigenten Jonathan Stockhammer, der trotz seinen mehr als 50 Jahren ungemein jugendlich wirkt und das Orchester zu großartigen Leistungen anspornen kann.

Wenn die Musiker und Musikerinnen das Podium betreten, sinkt der Altersdurchschnitt im Saal um geschätzte 2-3 Jahre. Es war eine wahre Freude, so viele junge Gesichter in der gespannten Erwartung auf ein attraktives, aber wahrlich nicht leichtes Programm zu sehen. Die jungen Damen dürften in der Mehrzahl gewesen sein, mit klarem Übergewicht bei den Streichern und Holzbläsern, weniger stark beim Blech. Das Schlagwerk war hingegen fest in männlicher Hand.

Den Klavierpart in Schumanns Konzert spielte die junge, in Wien geborene Pianistin Mitra Kotte, in dieser Saison „Featured Artist“ der Jeunesse. Ihr Spiel war wie zu erwarten technisch makellos, ausdrucksvoll, ohne je pathetisch zu werden, mit sparsamem Rubato an den passenden Stellen. Stockhammer führte das Orchester zu einem gelungenen Zusammenspiel mit der Solistin. Seine Tempi fand ich ideal, lediglich das markante punktierte Thema im dritten Satz war mir etwas zu rasch. In diesem Satz konnte die Pianistin ihre Virtuosität voll zur Geltung bringen. Die Soloklarinette, die in allen Sätzen eine wichtige Rolle spielt, war hervorragend geblasen. Als Zugabe wählte Mitra Kotte eines der Lieder ohne Worte von Mendelssohn, ganz bezaubernd gespielt.

Nach der Pause folgte dann die 6. Symphonie von Gustav Mahler, komponiert in den Jahren 1903 und 1904. Sie hat den Beinamen „die Tragische“ bekommen, der zwar nicht vom Komponisten stammt, die Symphonie aber trotzdem sehr gut beschreibt. Die Reihenfolge der Mittelsätze ist ein umstrittenes Problem, da Mahler selbst hier divergierende Vorschriften machte.

Stockhammer wählte die ursprüngliche Reihenfolge, mit dem Scherzo an zweiter und dem Adagio an dritter Stelle. Die Orchesterbesetzung ist gewaltig, mit einem sehr vielfältigen Schlagwerk, darunter der berühmte Hammer, der im letzten Satz zum Einsatz kommt. Das Orchester und der Dirigent begeisterten mich auch in diesem höchst komplexen Werk. Der erste Satz ist in klassischer Sonatenform strukturiert und dadurch relativ leicht verständlich. Mit seinem beständigen Schwanken zwischen a-moll und A-Dur erweckt er schnell wechselnde Gefühle, ein Mittel, das schon Schubert in etlichen Werken mit größter Wirkung eingesetzt hat. Das folgende Scherzo, ebenfalls in a-moll, beginnt stürmisch und grotesk, findet aber dann im Trio zu einem ruhigeren Ton in F-Dur. Stockhammer leitete das Orchester sicher durch die reizvollen Taktwechsel des Trios.

Das Adagio ist dominiert von einer der unvergleichlichen Mahler’schen Kantilenen, ebenfalls geprägt von der Dur-Moll-Ambiguität, die das gesamte Werk durchzieht. Nach dieser willkommenen Periode der Ruhe durchlebt der Zuhörer im 4. Satz ein emotionales Wechselbad, das schließlich in zwei vernichtenden Hammerschlägen kulminiert. Die Besetzung ist gegenüber den vorhergehenden Sätzen unter anderem noch um zwei Trompeten ergänzt, und nicht weniger als sieben Schlagwerker hatten alle Hände voll zu tun. Die zahlreichen Solostellen für Horn, Klarinette und Oboe zeigten wieder die Qualität der Musiker und Musikerinnen.

Der feierliche Posaunenchoral kurz vor dem Ende hat mich tief berührt. Nach dem düster verklingenden Schluss feierte das Publikum Orchester wie Dirigenten enthusiastisch und ausdauernd.

Dr. Rudolf Frühwirth, 3. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

 

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