Foto: © Alte Oper Frankfurt, Tibor-Florestan Pluto
Zum drin Versinken: Das romantische Programm mit Mendelssohn und Brahms wird zum exquisiten Ereignis.
Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) – Konzertouvertüre „Die Hebriden“ h-Moll op. 26; Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 („Schottische“)
Johannes Brahms (1833-1897) – Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73
Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann, Dirigent
Frankfurt, Alte Oper, 28. Februar 2023
von Brian Cooper, Bonn
Christian Thielemann habe ich bislang selten im Konzert erlebt. In der Oper schon gar nicht, da er viel Wagner macht und ich Wagner eher meide. Diese miserablen Texte, die literaturferner nicht sein könnten, dann die fürchterlichen Namen (Wellgunde, Schwertleite, Hunding – ich bitte Sie) und schließlich das ganze Deutschtum drumherum: not my cup of tea, bzw. de gustibus. Ich halte es da eher mit Woody Allen: Höre ich Wagner, bekomme ich Lust, Polen zu erobern.
’Tschuldigung. Beim Namen Wagner hat es mich kurz geschüttelt. Und in diesen humorlosen Zeiten reflexhaft-schneller Empörung stelle ich klar: „Niemand hat die Absicht,…“ Nein, auch das ist weiß Gott kein guter Beginn. Also: Ich beabsichtige nicht, in irgendein Land einzumarschieren. Ich gehe noch nicht mal wandern.
In bester Erinnerung sind zwei Bruckner-Abende Thielemanns in Köln vor etlichen Jahren, beide mit der Staatskapelle Dresden. Einmal eine sehr gute Neunte, und davor eine unfassbar tolle Fünfte für die Ewigkeit, die ich weder davor noch danach jemals wieder so gut serviert bekommen habe. Glaube ich.
In Frankfurt war Thielemann nun mit den Wiener Philharmonikern zu Gast, im letzten Konzert des sensationellen Alte-Oper-Abos „Orchester Premium“ bzw. „Orchester Premium Plus“, bei dem das „Plus“ (Concertgebouworkest) nur acht Tage zurücklag.
Ähnlich wie bei den Berliner Philharmonikern im vergangenen November war es der Vorabend einer USA-Tournee – die Wiener geben Anfang März je drei Programme in New York und in Berkeley.
Eben eines dieser Programme war mit Mendelssohn (Hebriden-Ouvertüre und 3. Sinfonie) und Brahms (2. Sinfonie) ein klassisches Thielemann-Programm. Und es war eine Wonne. Es wurde exquisit.
Die Ouvertüre kam wellig-bewegt daher, man war als Zuhörer gedanklich hier, wie auch später in der Schottischen, sofort in einem dieser Räume, dieser Säle, die üppig ausgestattet sind, man versinkt im (Klang-)Teppich, alles ist perfekt, man würde sich niemals selbst so einrichten, aber alles ist in sich stimmig, man fühlt sich wohl, geborgen und sicher, wie in einem herausragenden Hotel, man ist obendrein in interessanter Gesellschaft, Wein und Häppchen munden…
Nun ist’s aber gut. Die Hebriden-Ouvertüre ist schließlich kein Häppchen, sondern in düsterstem h-Moll, bewegt bis stürmisch, tosend und tief bassgrundiert (sechs Kontrabässe!), dabei immer federleicht komponiert und vor allem musiziert. Es sind halt, wie ich schon mal schrieb, die Wiener, die hier mit dichtem Streicherklang und einer unglaublich guten Holzriege um Sophie Dervaux beeindruckten und diesen unglaublich gemütlichen Teppich woben, in den das Publikum einsinken durfte.
Die Schottische, Mendelssohns Dritte, hat in meinem Konzertleben einen besonderen Stellenwert, da mein vorletztes Konzert mit Claudio Abbado eben dieses Stück auf dem Programm hatte (vorweg Beethovens 1. Klavierkonzert mit Martha Argerich). Das war im April 2013 in der Salle Pleyel, ein Dreivierteljahr vor seinem Tod. Seitdem, und seit Abbados Aufnahmen (Decca, 1968; DGG, 1985; beide LSO), liebe ich sie besonders.
Auch in Frankfurt wurde sie selbstredend grandios aufgeführt. Es ist ein wunderbarer Mendelssohn-Klang, den die Wiener da zelebrieren, groß besetzt und doch zu jeder Zeit absolut transparent und durchhörbar. Die A-Dur-Hymne zum Ende der Schottischen geriet nicht etwa pathetisch oder triumphal, sondern vielmehr würdevoll, majestätisch.
Nach der Pause folgte die Zweite von Brahms. Die Kontrabässe wurden auf acht aufgestockt, und auch hier dominierte eine frappierend klare Durchhörbarkeit. Oft gibt es ja in den Werken dieser Epoche Quatsch mit Soße, wenn sie so üppig besetzt aufgeführt werden. Mitnichten in Frankfurt. Wie im Mendelssohn: absolut präzise pizzicati, selbst die Stille atmete, die Schlüsse fein ausklingend – das können nur sehr, sehr wenige Orchester so spielen.
Und in Christian Thielemann haben sie einen, der genau das aus ihnen herauskitzelt. (Man munkelt ja, dass große Orchester ein Konzertprogramm routiniert durchzurattern imstande sind, wenn ihnen die Dirigentin oder der Dirigent nicht zusagt; hinterher kann man sagen: Er/Sie hat nicht gestört…)
Ein weiteres Beispiel dieser großen Kunst: der erste Akkord des letzten Satzes. D-Dur, und vor allem piano. Streicher, Hörner und Trompeten. Letztere, also die Blechbläser, haben allein mit diesem Ton eine höllisch schwere Aufgabe zu bewältigen. Muss man noch etwas hinzufügen, wenn man von den Wienern spricht? Irgendwas über Ansätze schreiben, mit technischen Begriffen um sich werfen? Nein. Zurücklehnen und genießen. Das Beispiel des ersten Tons sollte nur exemplarisch sein für die Vollkommenheit des Abends.
Wie immer finden sich in den Frankfurter Programmheften lesenswerte Zitate. Hier Brahms an seinen Verleger Simrock: „Die neue Sinfonie ist so melancholisch, dass Sie es nicht aushalten. Ich habe noch nie so was Trauriges, Molliges geschrieben: die Partitur muß mit Trauerrand erscheinen.“ Natürlich stimmt das nicht ganz, wie Ulrike Kienzle in ihrem Text betont. Die Zweite ist anrührend und von durchaus heiterer Grundstimmung.
Schade, dass vor mir einige Pärchen aus dem Tuscheln nicht herauskamen. Besonders penetrant die beiden vor mir. Dauernd steckten sie die Köpfe zusammen. Ich garantiere: Wären sie im Café, würden sie jeweils stumpf in ihre Endgeräte starren, nicht miteinander sprechen und, frei nach Kästner, in ihren Tassen rühren. Hier allerdings war ich es, der es – ob der großen Kunst, die nur wenige Reihen vor uns präsentiert wurde – „einfach nicht fassen“ konnte.
Als Zugabe gab’s ein hochvirtuoses wienerisches Schmankerl, man blieb in D-Dur, und jene Menschen, die die Neujahrkonzerte der Wiener Philharmoniker verfolgen, dürfen sich auf den 1. Jänner 2024 freuen. Dirigent: Christian Thielemann. Man wurde gut gelaunt in eine eisige Frankfurter Nacht entlassen.
Dr. Brian Cooper, 2. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann Musikverein Wien, Goldener Saal, 30. Mai 2022