Musikverein Wien, 3. Oktober 2020
Konzert der Wiener Philharmoniker
Ludwig van Beethoven:
Ouvertüre Nr. 3 zur Oper „Leonore“ op. 72
Symphonie Nr. 3 in Es-Dur, op. 55, „Eroica“
Wiener Philharmoniker
Herbert Blomstedt
von Herbert Hiess
„Nur der Vergleich macht Sie sicher“ – das kennt man irgendwie nur von der Waschmittelwerbung; aber bei diesem Konzert ist dieser Spruch mehr als angebracht.
Denn vor ziemlich genau einem Monat, am 5. September 2020 bot Franz Welser-Möst mit dem Wiener Meisterorchester das gleiche Programm im Wolkenturm, Grafenegg, dar (https://klassik-begeistert.de/grafenegg-festival-rudolf-buchbinder-wiener-philharmoniker-gustavo-dudamel-franz-welser-moest-grafenegg-3-und-5-september-2020/).
Da die Wiener Philharmoniker im Folgemonat diese Werke spielten, macht diesen Vergleich leicht – denn ihr Doyen Herbert Blomstedt zeigte mit seinem stolzen Alter (schon über 93 Jahre!) dem 33 Jahre jüngeren Franz Welser-Möst, wie es auch anders gehen kann.
Natürlich muss man auch bewerten, dass in Grafenegg die Open-Air-Atmosphäre und die elektronischen soundtechnischen Eingriffe auch ihre Auswirkungen hatten. Und weltweit kann eigentlich nichts mit der „goldenen Akustik“ des Wiener Musikvereins konkurrieren.
Also in Grafenegg war die „Leonoren“-Ouvertüre recht schön und kompakt gespielt. Das Werk, das von all diesen Leonoren-Ouvertüren als einzige so richtig „überlebt“ hat und auch auf den diversen Konzertpodien eine fixe Institution ist, war schon zu Konzertbeginn bei Herbert Blomstedt ein Ereignis. Mit vollem Klang, jedoch nie brutal, ließ der Maestro alle Phrasen so richtig aufleben; das zweite Hauptthema im Pianissimo ließ so richtig die Gänsehaut erschauern. Mit sparsamen Bewegungen leitete der großartige Dirigent das phantastische Orchester bis zum triumphalen Abschluss dieser Ouvertüre.
Danach kam eben die „Eroica“. Das Werk, das Beethoven Napoleon widmete (und danach zornentbrannt diese Widmung durchstrich), könnte man schon fast als „abgespielt“ bezeichnen. Da die besten Dirigenten und Orchester dieses Werk sehr gern spielen, liegt die Latte für andere Aufführungen extrem hoch.
In Grafenegg lieferte Franz Welser-Möst eine mehr als hektische und zerfahrene Darbietung; schon der erste Satz war sehr problematisch. Beharrlich schlug er den Dreiertakt auf drei aus und machte sich nicht nur eine unnötige Anstrengung, sondern irritierte viel mehr noch die Musiker. Im Gegensatz ließ Blomstedt das Orchester aufs Allerschönste erklingen; der erste Satz klang wie ein leichter Walzer, wie ein Landler – großartig, wie die Musiker unter dem grandiosen Dirigenten die Phrasen auskosteten und jede Stimme deutlich hörbar machten.
Ebenso die anderen drei Sätze. Welser-Möst brachte als Vollprofi natürlich das Werk zu einem glücklichen Ende – nur die Hörer ließ er damals weniger glücklich zurück. Anders im Musikverein. Allein der zweite Satz (Trauermarsch) war unwiederbringlich traumhaft. Blomstedt ließ niemals die Tempi schleppen; die Übergänge zu den Dur-Passagen dieses Satzes klangen ganz natürlich – so konnte das Publikum im Goldklang der Musiker schwelgen.
Unter triumphalem Applaus verabschiedeten sich Orchester und Dirigent mit einer großen Portion Wehmut. Herbert Blomstedt ist ein großartiger Mensch und ein ebensolcher Musiker. Da muss man hoffen, dass der im 94. Lebensjahr stehende Musiker uns noch lange solch schöne Konzerte schenken kann.
Hut ab vor dem Wiener Musikverein (Gesellschaft der Musikfreunde in Wien) und vor den Wiener Philharmonikern, die solche Ereignisse möglich machen. Da ist offenbar Wien tatsächlich eine „Insel der Seligen“.
Herbert Hiess, 3. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Der Vergleich macht sie sicher: Wenn ich mit meiner Familie die sensationelle Aufführung von Fidelio einschliesslich der Leonoren-Ouvertüre hören durften, war das eine andere Liga als Sonntag im Musikverein. Und auch die Eroica, die meiner Erinnerung nach von Blomstedt 2014 erstmals im Abonnement dirigiert wurde, war eine andere Qualität.
Aber wenn ich innerhalb einer Woche das Mendelssohn-Programm und danach das Beethoven-Programm auswendig dirigiere, sage ich nur Hut ab vor dem Maestro.
Arnold Pregernig