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Wiener Philharmoniker
Klaus Mäkelä, Dirigent
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 6 a-Moll „Tragische“ (zweite Fassung)
Kölner Philharmonie, 18. Dezember 2024
von Daniel Janz
Gustav Mahlers Musik ist aus vielen Gründen bis heute berühmt. Seine sechste Sinfonie setzte Maßstäbe – damals wie heute gehört sie zu den größten Herausforderungen, denen sich ein Orchester stellen kann. Selbst Spitzenensembles geraten da schon mal ins Straucheln. Deshalb ist es eine besondere Freude, heute mit den Wiener Philharmonikern eines der weltbesten, wenn nicht sogar das beste Orchester weltweit in Köln begrüßen zu dürfen. Unter Führung von Jungstar Klaus Mäkelä (28) weckte das bereits im Vorfeld Erwartungen auf einen grandiosen Abend.
Die Vorboten kratzten am Lack
Doch Weltstars sind noch kein Garant für Weltklasse. So ließen die Rezensionen der vorherigen Konzerte bereits aufhorchen. Die Wiener Philharmoniker, mit denen der finnische Dirigent aktuell durch Deutschland tourt, hatten schon in den letzten Tagen dasselbe Werk in Wien und Hamburg gespielt. Aus der Elbphilharmonie berichteten Patrick Klein sowie Jörn Schmidt für klassik-begeistert und überraschten: Nicht etwa berichteten sie von durchschlagendem Erfolg. Nein, Makel offenbarten sich ihnen vor allem in lyrischen Stellen. Sollte sich dies in der Rheinmetropole etwa wiederholen?
Letztendlich muss man feststellen: Leider ja. Mäkelä strotzt auch in Köln vor Elan. Dem Orchester entlockt er besonders wuchtige, markante Klänge. Anfang, Scherzo, das Aufbauen im Finale hin zum erlösenden Durchbruch, nur um dann buchstäblich vom Hammer des Schicksals erschlagen zu werden – alles sehr impulsiv und energiegeladen. In Lautstärke und Dramatik macht ihnen so schnell keiner was vor.
Mahler ist aber nicht nur Tamtam. Die wahre Kunst entsteht aus den Kontrasten zwischen zerstörerischer Wucht und liebreizender Idylle. Seine sechste Sinfonie ist ideales Beispiel dafür – den tosenden Marschmotiven mit dem alles zerstampfenden „Schicksalsrhythmus“ stellen sich hier auch traumhaft schöne Ruhepunkte entgegen. Und genau da hapert es bei der Interpretation heute.
Eine Aufführung mit Höhen und Tiefen
Nun mag Manches davon geschmacksabhängig sein. Die Wahl, beispielsweise die von Mahler revidierte Version mit nur zwei Hammerschlägen aufzuführen, sowie die Reihenfolge Andante – Scherzo beizubehalten sind Wermutstropfen, die wohl mehr über die Vorliebe des Rezensenten aussagen (und Kollege Brian Cooper wird zur noch folgenden Aufführung in Essen sicher anderer Meinung sein). Aber auch davon abgesehen will an vielen Stellen keine Gänsehaut aufkommen. Was lassen die Wiener da unter Mäkelä doch für Chancen liegen, die fast himmlische Zwischenszene im ersten Satz auszufüllen oder das Andante in wehmütiger Sehnsucht auszukleiden!
Stattdessen wirkt es oft entweder interpretationsarm oder gehetzt. Das Geigenflirren im ersten Satz mit den Herdenglocken aus der Ferne, das Englischhornsolo im Andante, die zarten Motive in Bratschen und Celli, die treibenden Figuren im Finalsatz… alles irgendwie da und doch nicht genutzt, fast schon lieblos runtergerattert. Das Andante langweilt dadurch stellenweise sogar, obwohl dies einer der schönsten Mahlersätze überhaupt ist. Erst gegen dessen Ende, wo das volle Orchester einstimmt, kommt Ergriffenheit auf.
Insgesamt zeigt sich: Mäkeläs Umgang mit schwächer instrumentierten Passagen offenbart Luft nach oben. Klar, selbst wenn ein Dirigent die Wiener nur vom Blatt spielen lässt, klingt das noch irgendwie samten, melodisch und auch gut. Aber das hier ist eines der besten Orchester der Welt! Keine Wald-und-Wiesen-Kapelle.
„Noch gut“ kann nicht der Anspruch sein
Nicht nur die fehlende persönliche Akzentuierung trübt den Eindruck. Auch das Orchester erscheint im Vergleich zu seiner sonstigen Klasse matt. Das Schlagzeug beispielsweise ist solide aber unauffällig, oft scheint Becken oder Pauken die letzte Konsequenz zu fehlen. Auch vom Blech kommen einige Soli ungewohnt unsauber, gegen Ende fast schludrig. In der Schule hätte man gesagt „gerade noch gut“.
Zum Glück gibt es auch jene Akteure, die heute über alle Zweifel erhaben sind. Positiv fallen Harfen und Celesta auf mit ihren manchmal subtilen, dann perlend schönen Untermalungen. Die Streicher lassen da, wo sie sich von Mäkelä losreißen dürfen, auch durchblicken, wie viel mehr da noch gegangen wäre. Das Holz ist durch die Bank weg routiniert, wenn auch unauffällig. Und die 9 Hörner bilden mit ihrem kräftig goldenen, stellenweise fast zu lauten Gesamtklang das Herz des Orchesters.
Das hallt noch nach, als der letzte Ton verklungen ist. Überhaupt – das gibt es in Köln selten: Nachdem die Sinfonie mit ihrem letzten, verzweifelten Aufschrei geendet ist, herrscht Minuten lang Stille. Letztendlich war es doch so ergreifend, dass es dann fast flächendeckend Stehende Ovationen gibt. In solchen Momenten verflucht man als Rezensent den Umstand, so eine Aufführung immer mit anderen Ohren zu hören.
Nun soll das hier auch kein Anlass sein, eine an und für sich passable Leistung schlecht zu reden. Aber die Wiener sind nun einmal die Wiener – die können mehr, wenn man sie denn lässt. Und das darf man auch erwarten können. So bleibt das ungenutzte Potenzial an dem heutigen Abend wohl der größte Makel: Zu wissen, dass diese – im Kern solide – Aufführung noch so viel besser hätte sein können. Wir dürfen gespannt sein, wie das Fazit zur Aufführung in Essen ausfallen wird…
Daniel Janz, 19. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker Klaus Mäkelä, Dirigent Theater und Philharmonie, Essen, 19. Dezember 2024
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