Die Wiener Symphoniker zeigen, dass zeitgenössische Musik viel besser ist als ihr Ruf

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Foto: Wiener Konzerthaus © Lukas Beck
Wiener Symphoniker
Julian Rachlin Violine
François-Xavier Roth Dirigent
Johannes Brahms Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77
Johannes Maria Staud Stromab (EA)
Robert Schumann Symphonie Nr. 2 C-Dur op. 61
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 24. Oktober 2017

von Mirjana Plath

Dieser Abend war für den österreichischen Komponisten Johannes Maria Staud ein Heimspiel. Die Wiener Symphoniker unter Dirigent François-Xavier Roth führten sein Orchesterwerk „Stromab“ zum ersten Mal in Wien auf. Der Komponist war dafür selbst im Wiener Konzerthaus anwesend. Zuerst aber hörte das Publikum Johannes Brahms’ Konzert für Violine und Orchester in D-Dur. Dafür hatte das Orchester Julian Rachlin als Solisten eingeladen.

Der in Litauen geborene Rachlin präsentierte bei dem Konzert die Geige „ex Liebig“ von Antonio Stradivari aus dem Jahr 1704. Ganz unkompliziert gab er sich von Beginn an – er spielte schon ein paar Orchesternoten der ersten Violinen mit, bevor sein Solopart überhaupt angefangen hatte. Sein erster Soloeinsatz ließ aber leider die Süße vermissen, die man von einer Stradivari erwartet hätte. Stattdessen schabte er mit seinem Bogen metallisch auf den Saiten. Er spielte energisch und lief zielstrebig auf seine Töne zu.

Allmählich brach Rachlin seine reduzierte Spielhaltung auf. Zunächst konzentrierte er sich völlig ruhig auf seine Noten, nach und nach spielte er sich locker. Dann hüpfte er, streckte sich in die Höhe und verbog seinen Körper in alle Richtungen. Er wirkte erst nach dem ersten Satz richtig eingespielt. Im Adagio, dem zweiten Satz, zeigte Rachlin seine lyrische Seite. Nun konnte er seine Töne lieblich umschmeicheln. Vollkommene Freude zeigte er im Schlusssatz. Er agierte freier und unbeschwerter als am Anfang, schien endlich den Spaß an seinem Spiel gefunden zu haben.

Die Wiener Symphoniker präsentierten sich versiert, ihr Klang war wandelbar wie ein Kaleidoskop. Leichte und trotzdem gewichtige Pizzicati gingen in kräftige Fortissimi über, nachgefolgt von säuselnden Bläserläufen. Die Musiker waren zeitlich perfekt aufeinander abgestimmt und lösten sich fließend in ihren Spielpassagen ab. Vor allem im dritten Satz beeindruckte François-Xavier Roth mit einem luftigen Dirigat. Er erlaubte keine lang gezogenen Noten, die breit aneinander klebten. Stattdessen klang jeder Ton gestochen scharf und dennoch zart. Er ließ keine Schwere zu, was dem Werk zu einem wunderbar interpretierten Finale verhalf.

Nach der Pause ging es dann leider „Stromab“ mit Johannes Maria Staud. Die Komposition war eine Arbeit, die auch die Wiener Konzerthausgesellschaft in Auftrag gegeben hatte. Das fünfzehnminütige Orchesterwerk vertont eine Reise auf der Donau. Es beginnt mit lang ausgehaltenen Tönen.

Die Erwartungshaltung ist groß. Staud lässt sehr hohe Noten erklingen, darüber setzen gedämpfte Blechbläser Akzente. Das Stück ist sehr spannungsreich, immerwährend schwingt eine Unruhe über der Musik. Rastlos spielen die Musiker immer weiter. Neue Klänge entstehen, entwickeln sich fort, schwellen an und nehmen unerwartete, neue Wendungen. Fatale Schläge in den Pauken erhöhen die Dramatik. Zeitweise scheint man laute Hilfeschreie aus dieser Donaureise zu hören. Wie so oft bei zeitgenössischen Stücken sind vor allem die Schlagzeuger viel am Klangtüfteln und Werkeln. Das Orchester hat sichtlich Freude an dieser Musik, auch Roth springt ausgelassen auf seinem Dirigentenpodest umher. Das Stück endet mit einem Fragezeichen. Ein schriller Ton steht am Ende, der sich nicht mehr auflösen kann. Staud schien zufrieden mit den Wiener Symphonikern. Er kam beglückt auf die Bühne, das Publikum schenkte ihm einen großen Applaus.

Als abschließendes Werk an diesem Abend spielte das Orchester Robert Schumanns Symphonie Nr. 2 in C-Dur. Vielleicht war den Musikern nun ein bisschen langweilig nach Stauds zeitgenössischer Komposition. Sie spulten nett ihr Programm ab, Roth dirigierte brav wie es im Lehrbuch steht. Zum Glück fanden sie ihr Herz im zweiten Satz wieder. Dann spielten sie feurig und schnell, sie stellten ein Scherzo im wahrsten Sinne des Wortes dar. Mustergültig tänzelten sie nun beschwingt durch die Partitur. Die Streicher liefen federleicht auf und ab. Beim Endspurt in den letzten Takten ließ sich Roth etwas zu sehr hetzen, er überschritt beinahe die Grenze zum kopflosen Rasen.

Der dritte Satz im Adagio espressivo war dennoch wieder zauberhaft schön. Zart und filigran riefen sich die Instrumentengruppen ihre Dialoge zu. Der finale Satz, ein Allegro molto vivace, zeigte die Bewegung, die im ersten Satz gefehlt hatte. Die Musiker jubilierten und brachten die Symphonie zu einem strahlenden Abschluss.

Dieses Konzert war ein lohnenswerter Abend. Die Wiener Symphoniker zeigten, dass zeitgenössische Musik viel besser ist als ihr Ruf. Diese Musik geht nicht stromab, sondern bergauf.

Mirjana Plath, 25. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.at

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