55 Jahre Deutsche Stiftung Musikleben
Foto: Rätzke (c)
Georg Friedrich Händel Die Ankunft der Königin von Saba aus dem Oratorium »Solomon« HWV 67
Wolfgang Rihm Parusie op. 5
Johann Sebastian Bach Jesus bleibet meine Freude / Herz und Mund und Tat und Leben BWV 147
Dmitri Schostakowitsch Sonate d-Moll op. 40 für Violoncello und Klavier
Maurice Ravel Introduction et Allegro für Flöte, Klarinette, Harfe und Streichquartett
Eugène Ysaÿe Sonate a-Moll op. 27/2 für Violine solo
Marcel Dupré Poème héroïque op. 33
Franz Liszt Sarabande und Chaconne aus dem Singspiel »Almira« von Händel S 181
Julius Klengel Hymnus für zwölf Violoncelli op. 57
Astor Piazzolla Fuga y misterio
von Sebastian Koik
Mehrere aktuelle und ehemalige Stipendiaten der wunderbaren Deutschen Stiftung Musikleben haben ihr Können im Großen Saal der Elbphilharmonie demonstriert.
Der 14 Jahre alte Cellist Lionel Jérémie Martin ist vermutlich der jüngste Musiker, der bisher in der Elbphilharmonie aufgetreten ist. Von Aufregung ist nichts zu sehen bei dem Teenager, er spielt locker und souverän neben erfahrenen Cellisten. Er hat auch schon einiges erlebt: Wenn einer unter mehr als 16.000 Teilnehmern als 13-Jähriger gleich drei erste Bundespreise – in den Kategorien Cello solo, Klaviertrio und Klavierquartett – gewinnt und auf Festivals eingeladen wird, dann lässt man sich auch vom aktuell aufregendsten Konzertsaal der Welt nicht aus der Ruhe bringen. Lionel Jérémie Martin spielt seit 2014 ein Cello aus dem Jahre 1800, das ihm die Deutsche Stiftung Musikleben zur Verfügung stellt.
Sehr gut möglich, dass er ohne diese Förderung und ohne dieses Instrument noch nicht so sagenhaft weit wäre. Denn, so sagt die Stipendiatin Veriko Tchumburidze: „Ich lerne sehr viel von meiner Geige.“ In ihrem Fall ist es ein Instrument von Giambattista Guadagnini aus dem Jahre 1756.
Der Deutschen Stiftung Musikleben hat die Welt große Künstler zu verdanken. Zu ihren ehemaligen Stipendiaten gehören beispielsweise Christoph Eschenbach, Frank Peter Zimmermann, Tabea Zimmermann, Sabine Meyer, Isabelle Faust, Julia Fischer, Nicolas Altstaedt, Julian Steckel, Alice Sara Ott, Igor Levit und das Artemis-Quartett.
Das erste Stück nach der bewegten Eröffnungsrede ist allerdings äußerst unglücklich gewählt: Parusie von Wolfgang Rihm. Als Sebastian Küchler-Blessing zum Spieltisch der Orgel schreitet, freut sich der ganze Saal darauf, das mächtige und kunstvoll in den Saal integrierte Instrument zu hören zu bekommen. Die Freude währt nur kurz. Denn das überaus expressive Stück ist wirklich harter Tobak, nicht wenige Zuhörer empfinden es als Zumutung oder gar Vergewaltigung. Kein einziges glückliches Gesicht ist im Saal zu sehen, dafür viel Kopfschütteln. Was Musik doch alles ausdrücken und auslösen kann! In diesem Fall sind es überwiegend Genervtheit, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Der Organist spielt stark und leidenschaftlich, das fast durchgängig sehr laute Stück hingegen wirkt in diesem Konzert deplatziert.
Die Musiker des Abends sind alle großartig, überzeugen und begeistern mit ihrer Kunst. Ein Highlight ist die Sonate d-Moll für Violoncello und Klavier von Dimitri Schostakowitsch, dargeboten von Andrei Ioniță und Lilit Grigoryan. Der 23 Jahre alte Rumäne Andrei Ioniță spielt ein wundervolles Violoncello von Giovanni Battista Rogeri aus dem Jahre 1671 und tritt bereits auf den ganz großen Bühnen der Welt auf. Er musiziert mit einer sensationellen Sensibilität und Tiefe, lässt sein Instrument sehnen, weinen, klagen, schreien. Lilit Grigoryan überzeugt mit herrlichem und knackigem Klavierspiel. Beide können sehr zärtlich spielen, verfügen über ein überragendes musikalisches Timing und berühren mit ihrer Kunst. Ioniță begeistert mit großem Sinn für Dramatik im ersten Satz, spielt leidenschaftlich feurig im zweiten und mit viel Gefühl und großer musikalischer Spannung im dritten. Der Auftritt der beiden ist ganz große klasse! Ioniță und Grigoryan lieben ganz offensichtlich Musik und das, was sie tun. Sie werfen sich mit ihrer ganzen Existenz hinein.
Jedem Förderer der Stiftung muss bei einem solchen Erlebnis das Herz ganz besonders aufgehen.
Ein weiteres Highlight ist Maurice Ravels Introduction et Allegro für Flöte, Klarinette, Harfe und Streichquartett. Die Besetzung des Septetts mit Streichern, Holzblasinstrumenten und Harfe ist ungewöhnlich, überzeugt jedoch sehr. Die Balance dieser Konstellation ist raffiniert und wunderbar, und die jungen Künstler bringen die lichtreiche Musik Ravels herrlich zum Leuchten! Jeder einzelne von ihnen spielt ganz stark, mit großer Sensibilität, Spannung und Tiefe – und ganz stark ist das Zusammenspiel.
Der nächste Höhepunkt ist die anfangs schon erwähnte Veriko Tchumburidze aus der Türkei mit ihrer 261 Jahre alten Violine, die damit etwa dreizehnmal so alt ist wie sie selbst. Sie spielt mit ihrem wunderbar klingenden Instrument die Sonate a-Moll von Eugène Ysaÿe. Tchumburidze kann extrem zarte Töne hervorbringen, spielt gefühlvoll und mit großer Musikalität – und sie ist mit flinken Fingern sehr souverän virtuos! Sie bildet eine Einheit mit ihrem Instrument, und man kann sehr dafür danken, dass Stiftung und Instrumentenfonds diese Violinistin und diese Instrumente zusammengebracht haben!
Das nächste große Highlight des Abends ist Mariam Batsashvili am Klavier mit der Sarabande und Chaconne aus Händels Singspiel »Almira« von Franz Liszt. Sie spielt höchst sensibel mit nahezu unglaublich perfektem Anschlag. Jedem Ton gibt sie eine vollendete Kontur. Batsashvili sprüht vor Leidenschaft, Energie und Musikalität. Ihre Virtuosität ist beeindruckend. Am Liebsten würde man ihr ewig zuhören!!! Ihr Auftritt ist es auch, der dann bei all der vielen Begeisterung an diesem Abend am meisten umjubelt wird! Auch sie konzertiert bereits in den renommiertesten Konzertsälen der Welt.
Mariam Batsashvili sagt, dass sie nur mit der Unterstützung der Stiftung so weit kommen konnte. So äußerte sie sich nach dem Gewinn des Liszt-Klavierwettbewerbs in Utrecht: „Ich war voll auf die Musik konzentriert und habe nicht an die alltäglichen Lebensprobleme denken müssen. Ich war frei im Kopf nur für Musik und das hat uns zum Gewinn des Wettbewerbs gebracht! Ihr seid meine Familie und müsst wissen, dass ich unendlich dankbar bin!!!!“
Möge es viele, viele weitere junge Menschen geben, die die Möglichkeit bekommen, sich auf die Musik zu konzentrieren und alte Instrumente mit jugendlicher Freude zum klingen zu bringen.
Sehr, sehr dankbar können Musikliebhaber sein für die 55 Jahre Arbeit der Deutsche Stiftung Musikleben und ihren edlen Spendern. Schöner kann man sein Geld nicht anlegen.
Sebastian Koik, 25. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de
MITWIRKENDE:
Matvey Demin Querflöte
Sebastian Manz Klarinette
Veriko Tchumburidze Violine
Byol Kang Violine
Kyoungmin Park Viola
Andrei Ioniță Violoncello
Isang Enders Violoncello
Andreas Mildner Harfe
Mariam Batsashvili Klavier
Danae Dörken Klavier
Lilit Grigoryan Klavier
Sebastian Küchler-Blessing Orgel
Salaputia Brass
Die 12 Cellisten der Deutschen Stiftung Musikleben:
Andrei Ioniță Violoncello
Christoph Heesch Violoncello
Katharina Schmidt Violoncello
Tony Rymer Violoncello
Simone Drescher Violoncello
Olena Guliei Violoncello
Jakob Stepp Violoncello
Stanislas Kim Violoncello
Svenja Schmidt-Rüdt Violoncello
Lionel Jérémie Martin Violoncello
Wassily Gerassimez Violoncello
Benedict Kloeckner Violoncello
Lieber Herr Schmidt!
Danke für die tolle Würdigung unseres Geburtstagskonzertes. Auch wenn ich das Orgelexperiment nicht so deplatziert fand wie Ihr Autor bin ich dennoch dankbar für seine klare Positionierung.
Und ich freue mich sehr, dass sein generelles Urteil äußerst positiv ausgefallen ist.
Schön finde ich auch die Ausführlichkeit Ihres Berichtes.
Nochmals: danke!
Irene Schulte-Hillen
Präsidentin
Deutsche Stiftung Musikleben
Stubbenhuk 7
20459 Hamburg