Lahav Shani zieht von Hamburg über den Venusberg nach Österreich

Wiener Symphoniker, Lahav Shani, Yefim Bronfman,  Wiener Konzerthaus, 25. Oktober 2019

Foto: Lahav Shani © Marco Borggreve

Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 25. Oktober 2019
„Konzert zum Nationalfeiertag“

Wiener Symphoniker
Yefim Bronfman, Klavier
Lahav Shani, Dirigent

von Jürgen Pathy

„Bei ihm ist es Musik pur“, schwärmt eine Orchestermusikerin. Für Rudolf Buchbinder ist er „einer der talentiertesten jungen Dirigenten unserer Zeit“. Kritik und Publikum rezitieren in ähnlich hohen Tönen. Ohne Zweifel: Lahav Shani, 30, geboren in Tel Aviv mit Wohnsitz in Berlin, zählt zu den erfolgreichsten Jungdirigenten unserer Zeit. Nach Studien in seiner Heimatstadt bei Arie Vardi und Christian Ehwald in Berlin, folgte mit dem Gewinn des ersten Preises beim Gustav Mahler Dirigentenwettbewerb 2013 der Startschuss zu einem kometenhaften Aufstieg – Einladungen der Wiener Philharmoniker, designierter Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra und seit Herbst 2017 erster Gastdirigent der Wiener Symphoniker, mit denen Lahav Shani Freitagabend auch im großen Saal des Wiener Konzerthauses gastierte.

Beim „Konzert zum Nationalfeiertag“, von dem Klassik-begeistert bereits zum dritten Mal berichtet, beweist der junge Israeli, dass all die Lorbeeren keiner Müh und Scheu zu weichen haben. Obwohl dem Brahms‘ schen Klavierkonzert in B-Dur, das Yefim Bronfman am Klavier bewältigt, teilweise der Spannungsbogen fehlt, vermag Shanis intensive Art und Weise des Dirigierens von Anbeginn beeindrucken.

1881 uraufgeführt, mit Brahms selbst als Solisten, zeigt sich Shani in diesem als „Symphonie mit Klaviersolo“ bezeichneten Mammutwerk als sensibler Vermittler zwischen den Welten – dem Klavier auf der einen Seite und den einzelnen Orchesterstimmen auf der anderen Seite, die in eine Art kammermusikalischen Dialog treten.

Bronfman, der dabei mit jugendlichem Elan durch die virtuosen Oktaven und Läufe am Klavier fliegt, vernachlässigt zwar das „dolce cantabile“, den „singenden Ton“, den Brahms verlangte, achtet jedoch feinfühlig auf seine kongenialen Dialogpartner. Das Wiener Horn, dessen anfängliches Rufen er dominant beantwortet, oder das Cello, mit dem er sich in einen herzergreifenden Flirt begibt – suchender Blick nach der Geliebten inklusive. Nur um danach in einem „Slawischen Tanz“, einer Zugabe, die das Publikum lautstark einfordert, vierhändig mit Lahav Shani auf dem Klavier zu entschweben.

Aus dem Vollen schöpft Shani jedoch erst nach der Pause. Mit welcher Inbrunst er das Orchester durch Schuberts „Unvollendete“ peitscht, gleicht einem Tsunami, der zuerst all die Energie aufsaugt und dann regelrecht explodiert. Wie im Sturm und Drang eines jungen Wilden, beinahe in Manier eines Beethoven, wirft er in regelmäßigen Intervallen Blitz und Donner und treibt die Wiener Symphoniker zur Höchstform. Aufwühlende Tremoli und dramatisches Blech, die hereinbrechen wie die Sintflut, wechseln sich ab mit dem zärtlichsten Streicherteppich, den man je gehört haben mag. Spannung und Drama pur! Selbst die sicher geglaubten Fahrwasser des Andante con moto sind zum Bersten gespannt und beruhigen sich erst in der Coda, mit der diese aufwühlende Seefahrt ein friedliches Ende nimmt.

Vereint am Venusberg ziehen letztendlich alle guten Geister des Hauses mit der Ouvertüre des „Tannhäuser“ von dannen. Egal ob Brigitte Bierlein – die österreichische Bundeskanzlerin– oder anderes honoriges Staatspersonal, das in der eingangs gespielten Bundeshymne lautstark dem „Land der Berge, Land der Äcker“ zukunftsreich gehuldigt hatte.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 26. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart
Österreichische Bundeshymne K 623a

Johannes Brahms
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 83 (1878–1881)

Zugabe:
Antonín Dvořák
Slawischer Tanz e-moll op. 72/2 (1887)

***

Franz Schubert
Symphonie Nr. 7 h-moll D 759 »Unvollendete« (1822)

Richard Wagner
Ouverture zu »Tannhäuser« (1845)

 

Ein Gedanke zu „Wiener Symphoniker, Lahav Shani, Yefim Bronfman,
Wiener Konzerthaus, 25. Oktober 2019“

  1. faszinierend, diese Kritik. offenbar hatte ich einen anderen Dirigenten, bei dem das Orchester und v.a. der Konzertmeister Schwerstarbeit geleistet haben. im ersten Satz Brahms fanden Schwimmübungen statt, der 3. Satz (Duett zwischen Cello und Piano) war wunderbar. Schade für Herrn Bronfmann, der ein wunderbarer Pianist ist. Erst im Schubert war Stimmung und bei Wagner – trotz des Gefuchtels des Dirigenten.

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