Nathalie Stutzmann © Stephanie Slama
Man kann mehr herausholen aus den Wiener Symphonikern. Bei der Dirigentin Nathalie Stutzmann bleibt einiges auf der Strecke: der Spannungsaufbau im letzten Satz der fünften Symphonie von Schostakowitsch; ausgeklügelte Phrasierungen über weite Strecken ebenso. Dabei präsentiert sich das verjüngte Orchester im Musikverein Wien in Hochform. Soloflöte und Streicher bringen den Beweis.
Musikverein Wien, Großer Saal, 27. Oktober 2024
Sergej Prokofjew Symphonisches Konzert für Violoncello und Orchester
e-Moll op. 125
Dmitri Schostakowitsch Symphonie Nr. 5 d-Moll op. 47
Wiener Symphoniker
Nathalie Stutzmann, Dirigentin
Edgar Moreau, Cello
von Jürgen Pathy
Bei Schostakowitsch ist es leicht, dass die Bude tobt. Überhaupt bei seiner fünften Symphonie, die mit einem Karacho endet, als gäb’s kein Morgen mehr. Den Weg dorthin meistert Nathalie Stutzmann nicht einwandfrei. „Sie ist gerne zu früh“, steckt mir jemand. Um einen Sekundenbruchteil, der einfach für Unruhe sorgt. Ein Gefühl, als wäre man ständig zu langsam, zu spät. Zumindest als Musiker, die sich auf ihre Zeichengebung verlassen müssen.
Die große Klasse der Wiener Symphoniker
Das Resultat in Wien banal heruntergebrochen: Es verliert irgendwann den Zug, dieses Teufelswerk von Schostakowitsch. Das einen mit so viel Sog in seinen Bann ziehen kann. Vier Sätze, alle in d-Moll. Das ist einmal ein Statement, das sich gewaschen hat. Dabei ist es gar nicht düster, schon gar nicht an diesem Abend. Eher dolce, süß, zum Dahinschmelzen eröffnen die Wiener Symphoniker. Mit viel Spannung, ein martialischer Sound teilweise. Einer, der sie ganz klar vom Platzhirschen in Wien unterscheidet.
Die Wiener Philharmoniker pflegen ebenso den Wiener Klang. Oboe, Pauke, Horn – alle ein wenig unterschiedlich im Klang zu den üblichen Instrumenten, die andere Orchester spielen. Doch der Duktus beider Orchester ist unterschiedlich. Wienerisch aus dem noblen 19. Gemeindebezirk, immer auf Feinheiten und astreine Aussprache getrimmt. Das zeichnet die Wiener Philharmoniker aus.
Bei den Wiener Symphoniker hingegen, da traut man sich schon mal ins Rustikale zu gleiten. Die Arbeiterbezirke gelegentlich ins Spiel zu bringen, gar das markante „Meidlinger L“ – und das ist gut so. Schostakowitsch verträgt das. Vor allem bei den ersten Geigen, die sich einer enormen Verjüngungskur unterzogen haben. 29, sei er gerade mal, Kirill Maximov, ein neuer Konzertmeister des Orchesters. Viele jungen Damen dazu, die sich mit voller Leidenschaft dieser Partitur verschreiben.
Edgar Moreau fiebert durch Prokofjews Cellokonzert
Nur irgendwann kippt das alles. A lauwarme Partie würde man in Wien dazu sagen. Am Orchester liegt’s nicht. Für den großen Bogen, der einen an der Sesselkante fesselt. Der einen in die seelischen Abgründe des gebeutelten Komponisten führt, der unter der Repression des Stalinismus gelitten hat. Von der süßesten Melancholie hinab zur bittersten Schizophrenie. Das ist die Aufgabe des Dirigenten. Nathalie Stutzmann verliert irgendwann den Zugriff. Irgendwann nach dem zweiten Satz, einem Allegretto, das noch knallt. Danach zerfällt alles ein wenig.
Zuvor hatte das Orchester sowieso eine untergeordnete Rolle gespielt. Als Edgar Moreau am Cello sich die Seele aus dem Leib gespielt hat. Prokofjews Cellokonzert op. 125. Rund vierzig Minuten, e-Moll. Wenn ein Cello einmal der hellste Punkt am Horizont ist, weiß man was geschlagen hat. Das Orchester – düsterer als bei Schostakowitsch. Solistisch eine enorme Herausforderung, der sich der junge Franzose mit Bravour gestellt hat. Fast schon eine Paganini-Caprice, nur über eine Oktave tiefer. Wie in einem Fieberwahn, den man bei Schostakowitsch gerne weiter geträumt hätte.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 29. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at