Foto © Kirk Edwards
Wiener Konzerthaus, 31. Januar 2019
Wiener Symphoniker
Yuja Wang, Klavier
Lorenzo Viotti, Dirigent
Robert Schumann
Konzert für Klavier und Orchester a-moll op. 54
Dmitri Schostakowitsch
Symphonie Nr. 10 e-moll op. 93
Von Julia Lenart
Wenn die Wiener Symphoniker ins Konzerthaus laden, darf man einen spannenden Abend erwarten. Wenn auch noch ein junger Stardirigent und eine ebenso junge Ausnahmepianistin zu Gast sind, dann verspricht der Abend besonders zu werden. Und das war er zweifellos.
Unter der musikalischen Leitung des Schweizer Dirigenten Lorenzo Viotti bringen die Wiener Symphoniker Schumanns Klavierkonzert in a-moll und Schostakowitschs 10. Symphonie zur Aufführung. Stargast des Abends ist die Pianistin Yuja Wang, 31, aus New York. Die Erwartungen sind hoch, das Konzerthaus ist bis auf den letzten Platz gefüllt.
Nachdem sie das Publikum etwas länger als gewöhnlich warten lassen, betreten Wang und Viotti die Bühne. Es ist ein erfrischender Anblick: zwei junge Gesichter, die versprechen, neuen Schwung in die ja etwas verstaubte Klassik-Welt zu bringen. Eine willkommene Abwechslung angesichts des Überschusses an alten Herren, die die Bühnen (und vor allem die Dirigierpulte) der klassischen Konzerte lange Zeit beherrscht haben.
Der Abend beginnt mit Yuja Wangs einmaliger Interpretation von Schumanns Klavierkonzert. Der erste Satz klingt so, wie er betitelt ist: affetuoso. Wangs Spiel ist gefühlvoll und energisch zugleich. Die ansonsten so aufgeweckte, verspielte Künstlerin gibt dem Thema Zeit, sich zu entwickeln. Sie überhastet nichts, erzeugt eine unvergleichliche Spannung, die das Publikum zu verschlingen scheint. Jeden Ton, jede Phrase setzt sie mit leidenschaftlicher Andacht. Das Orchester umhüllt die Solistin mit sanften Klängen, verzaubert das Publikum mit unvergleichbar differenzierter Dynamik. Plötzlich erklingt ein Subito Forte, und sogar die erfahrensten Hörer schrecken für einen Moment auf. Die emotionale Dramatik und die zerreißende Spannung, die Wang und Viotti aufbauen, sind wahrlich meisterlich.
Wang setzt sich über das ihr anhaftende Bild, sie sei die technische Perfektionistin mit den kurzen Kleidern und hohen Schuhen, hinweg. Sie ist viel mehr! Wang ist nicht nur Technikerin, sie spielt mit feinfühliger Musikalität, vermag es, die Zuhörer mit ihren Interpretationen in andere Welten zu versetzen. Natürlich zeigt sie ihre technische Perfektion und spielt so energievoll, wie man es von ihr erwartet. Doch sie spielt ebenso zärtlich, liebevoll und vor allem fesselnd. In überzeugender Symbiose mit dem Orchester zieht Wang das Publikum in den Bann: Man kann sich ihrer Musik nicht entziehen.
Schade ist, dass die Symphoniker die Spannung nicht durchgehend halten können. Manche Stellen sind von Seiten des Orchesters platt gespielt, wirken mehr geschoben als getragen. Sich in den Vordergrund drängende Streicherklänge überlagern mancherorts das gefühlvolle Spiel Wangs. Zum Glück gibt es nur wenige solcher Stellen. Die verzaubernd affektvolle Spielweise und die Symbiose zwischen Klavier und Orchester überlagern das Konzert. Es ist ein famoser Start, den Wang und Viotti hinlegen.
Den tosenden Applaus hat sich Wang zweifellos verdient. Viotti überlässt ihr in Gentleman-Manier die Bühne und den Jubel des Publikums.
Nach der Pause steht ein monumentales Orchesterwerk auf dem Programm: die 10. Symphonie von Dmitri Schostakowitsch. Sie entstand nach dem Tod Stalins und soll in ihrer Thematik dessen diktatorische Herrschaft widerspiegeln. Es ist ein stets schwellender Streit der Musikwissenschaft, wie viel man in ein Werk hineininterpretieren kann und soll. Man sollte sich mit Spekulationen sicherlich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ganz zu negieren ist die vermeintliche Anspielung an das Stalin-Regime sicher nicht – zumal der Komponist dies selbst bestätigt hat.
Viotti leitet die Symphoniker grandios an. Energie ist oberstes Gebot – ganz in russischer Manier. Allerdings fehlt es dem Orchester ein wenig an dieser russischen Inbrunst, an der tief emotionalen Bitternis, die das Werk ausmacht. Damit sei nicht gesagt, dass die Symphonie ganz und gar lasch und energielos klingt – im Gegenteil. Doch das russische Feuer und die Dramatik des Stückes kann Viotti nicht zur Gänze aus den Symphonikern herauskitzeln. Sicherlich ist das Werk dynamisch gestaltet, aber die Spannung kann das Orchester teilweise nicht halten. Manchmal geht die Musikalität im Getöse verloren. Dieses kleine Manko soll den Abend jedoch nicht trüben. Auch im zweiten Teil des Konzertes überwiegen positive Aspekte.
Die Kontrabässe schleichen die Melodie zu Beginn des ersten Satzes in geheimnisvoller Weise ein. Sie ziehen die Hörer in Schostakowitschs Geschichte, die Viotti gefühlvoll erzählt. Generell sollte an die Solisten des Abends ein Lob ausgesprochen werden. Die tückischen Pianissimo-Einsätze meistern sie mit graziler Melodiösität. Besonders Klarinette, Fagott und Horn seien an dieser Stelle lobend hervorgehoben. Nur selten lassen es die Bläser an Präzision mangeln.
Den feinen, verführerischen Bläserklängen stehen brachiale Tutti-Stellen gegenüber. Die sowjetische Diktatur lässt grüßen. Viotti holt wirklich das Letzte an Energie aus dem Orchester heraus. Der große Saal des Konzerthauses bebt unter den fulminanten Klängen, die das Publikum in ihrer Schwere zu erdrücken suchen. Und dann kommen wieder ruhige Stellen. Vor dem inneren Auge läuft ein Film ab – Viotti erzählt eine packende Geschichte.
Das Ende ist ein fulminantes Feuerwerk, das gewiss sogar die phlegmatischsten Zuseher aus ihrer stoischen Ruhe reißt. Das Orchester harmoniert perfekt, agiert wie ein einziger zusammenarbeitender Organismus. Mit entfesseltem Elan arbeiten die Musiker auf den Schlussakkord hin, der unter dem tosenden Applaus des Publikums verhallt.
Ein würdiger Abschluss! Der nicht enden wollende Applaus spricht für sich. Viotti kann begeistern. Er beweist, dass man nicht alt sein muss, um gut dirigieren zu können. Es ist gerade der Elan, der dem 28-jährigen Dirigenten auszeichnet. Ein bravouröser Abend!
Julia Lenart, 1. Februar 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Man hat den Eindruck, dass „alte weiße Männer“, die wegen ihres Alters, ihrer Erfahrung, ihrer Aufführungsroutine auch auf den Konzertpodien bislang umjubelt wurden, so langsam abserviert werden. Übrigens ganz gegen einen anderen Trend: die Diskriminierung des Alters.
M.-R. Seeliger
Da drei Tage davor die ebenso technisch perfekte Hélène Grimaud zeigte wie emotionales Klavierspiel geht, ist Yuja Wangs Spiel nur das – technisch perfekt. Da perlt kein Klang aus dem Steinway – da wird deutlicher Anschlag zur obersten Maxime. Klar, brillante Tastenbeherrschung bei beiden und Yuja Wang hatte den Vorteil mit den etwas sensibleren Symphonikern zu spielen. Die Leipziger konnten nur Pianissimo oder Fortissimo – zu ihrer Freude aber nicht zur Freude der Zuhörenden. Und nein – der länger anhaltende Applaus ehrte Hélène Grimaud – ohne Zugaben!
Werner Weissenhofer