Oops!... he did it again: William Garfield Walker im Brahms-Saal

William Garfield Walker, Dirigent Nova Orchester Wien (NOW!)  Musikverein, Brahms-Saal, 18. Mai 2022

Foto: William Garfield Walker © Andrej Grilc

Musikverein, Brahms-Saal, 18. Mai 2022

William Garfield Walker, Dirigent
Nova Orchester Wien (NOW!)

von Jürgen Pathy

Nachdem er bereits letztes Jahr überraschen konnte, zieht sich die Erfolgsspur weiter. Damals hatte William Garfield Walker bewiesen, dass man Mahlers Vierte auch mit Kammermusikformation bis in den letzten Winkel ausleuchten kann. Letzten Mittwoch hat sich der junge afroamerikanische Dirigent an Sibelius gewagt – fast durchwegs ein Erfolg. Dass dabei nicht alle lupenrein agiert haben, lässt sich vermutlich mit dem jugendlichen Überschwang des Orchesters erklären. Immerhin setzt sich das Nova Orchester Wien teilweise aus blutjungen Musikern zusammen.

The time is NOW!

Jung, fruchtig und dynamisch. Das ist nicht der Slogan eines jungen Weißweins, auch wenn er durchaus passen würde, sondern die Attribute, die einem einfallen, wenn man das Nova Orchester Wien betrachtet. 2020 erst gegründet, bildet das Nova Orchester Wien einen Spielraum für junge Talente. Sieht man vom Konzertmeister und Ausnahmen ab, pendelt sich der Altersdurchschnitt gefühlt irgendwo bei der Generation Z ein. Einer Gruppe junger Menschen, die irgendwann rund um die Jahrtausendwende auf die Welt gekommen sind. Technologie-affin, immer online, gesundheits- und umweltbewusst. So liest sich die Definition, mit der man diese Generation gerne beschreibt. Dass da auch noch so Adjektive fallen wie ungeduldig, kann man sich bei den jungen Musikern nur bedingt vorstellen.

Geduldig, beherzt und beseelt. Das wäre schon eher die richtige Wortwahl, die beim Nova Orchester Wien auch auf Anklang treffen würde. Anders könnte es nämlich gar nicht funktionieren. Betrachtet man die Resultate, die bislang zutage liegen, scheint die Arbeit von William Garfield Walker bereits jetzt schon die ersten Früchte zu tragen. In Anbetracht der enorm kurzen Geschichte des Orchesters sicherlich ein großer Erfolg.

Im Musikverein Wien hat man sich dieses Mal der geballten Ladung Kraft verschrieben. Im bezaubernden Brahms-Saal, der eher für die besinnlichen und ruhigen Abende gedacht ist, eher ungewöhnliches Terrain. Kammermusik, Klavierabende und Liederabende, die finden hier für gewöhnlich statt. Das Nova Orchester bildet da einen Kontrast.

Ein Amerikaner in Wien

Angeführt von ihrem ebenso jungen Captain, der als Chefdirigent hier viel Raum und Platz zur Klangentfaltung disponiert, bäumen sich da trotz der kleinen Formation schon ordentliche Klangwogen auf. Niemals allerdings zu gewaltig. Auch wenn William Garfield Walker zum Wuchtigen tendiert, lässt er die Dynamiken niemals auch nur annähernd aus den Fugen gleiten. Weder bei den amerikanischen Komponisten, die er aufs Programm gesetzt hat – Aaron Copland, Jennifer Higdon, William Grant Still. Noch bei Sibelius 2. Symphonie, mit der Garfield Walker angesichts der Lage in der Ukraine vermutlich auch ein politisches Statement setzen möchte. Immerhin gilt das 1902 uraufgeführte Werk als „Freiheitssymphonie“.

Ob in diese Symphonie wirklich finnische Unabhängigkeitsbestrebungen von Russland geflossen sind, lässt sich zwar nicht mehr genau klären, vermutet wird es jedenfalls. Sie wächst organisch, von pastoral anmutenden Anfängen bis zum überwältigenden Finale. Das gestaltet Garfield Walker eindringlich, brachial. Fast schon so verrückt wie Schostakowitsch, schießt mir da nur durch den Kopf. Nicht der einzige Komponist, den der 1865 in Finnland geborene Sibelius in die Partitur einfließen lässt.

Beethoven und Wagner, um nur die Offensichtlichen zu nennen. Beide schleichen da durch diese Symphonie, die Sibelius zum ersten Mal um 1900 in einer Villa nahe der italienischen Stadt Rapallo skizzierte. Von der Eroica über das Ur-Brummen des „Rheingold“ Vorspiels bis hin zu „Siegfried“, dessen Aura eindeutig in den Fagotten und Pizzicati der Celli zu vernehmen ist. Aber auch latente Anklänge an das Hollywood des 20. Jahrhunderts sind bereits erkennbar, wo man sich offensichtlich bei den großen Romantikern des 19. Jahrhunderts bedient hat.

Auf den Spuren der großen Tradition

Beim Tonfall wählt Garfield Walker einen schweren, dichten Klang. Einen, der stark an die Tradition der großen Wiener Klangkultur anschließen möchte. Definitiv nicht zu überhören. Wenn es ihm bei Sibelius auch noch gelungen wäre, diesen eindringlichen Ton mit etwas mehr Transparenz und dynamischen Schattierungen zu marmorieren, ein Konzerterlebnis, das man definitiv als überaus gelungen kategorisieren könnte. Mahlers Vierte im Oktober 2021 hat da etwas mehr Eindruck hinterlassen.

„Viel Lärmen um nichts“ war es aber auf keinen Fall. So heißt zum Glück nur Korngolds op. 11, aus dem das Nova Orchester Wien vor der Pause die Ouvertüre gespielt hat. Dazu ist William Garfield Walker ein viel zu begnadeter Musiker, ein Versprechen für die Zukunft. Vor allem, weil der in Wien lebende US-Amerikaner ein unwiderstehliches Gespür für ausgedehnte Spannungsbögen und großes Pathos im Blut zu haben scheint.

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