Archiv Staatsoper Hamburg/Zauberflöte © Arno Declair
Wolfgang Amadeus Mozart
„Die Zauberflöte“
Staatsoper Hamburg, 21. Dezember 2024
von Harald Nicolas Stazol
Zunächst die beste Nachricht: Morgen, Samstag, 28. Dezember 2024, gibt’s wieder Mozarts Zauberflöte!!
Mitten im Weihnachtsmarkt, in der tiefen Dunkelheit und Winterbeginn, des kürzesten Tages des Jahres, am hellerleuchteten Hamburger Rathaus vorbei, auf dem Weg in die Oper, der „Zauberflöte“ entgegen, durch Hunderte unbesorgte Glühweiner, höre ich im Vorbeieilen einen dieser jungen Elbprinzen – derer von echtem Schrot und Korn – sagen, über seine dampfende Tasse hinweg, „Überleg ma, da fährt jetzt einer in uns rein? Das GEET GAAA NICH!“ –„ Wie recht Du hast mein Junge“, rufe ich da noch, und mir wird klar: Das Land ist, an diesem 21. Dezember 24, im Schockzustand.
Und so rettet man sich, und wirft sich schnellen, und immer schnelleren Schrittes Wolferl und Tamino und Pamina entgegen, und sieht noch den Polizeibus am Glühwein-Gänsemarkt, und denkt noch, wird denn im ausverkauften Hause ein Saudi sein???
Und so hat sich über das reichbevölkerte Foyer eine schöne, erschöpfte Ruhe gelegt, eine Hoffnung auf Anderes, gerade noch grüßt höflich am rechten Eingang auf dem Trottoir der attraktive Anwalt irgendeiner Gegenseite, da kocht doch schon „der Hölle Rache in meinem Herzen!“, also ab, das Carpaccio vorbestellen, und sich ein wenig getummelt in den Staat Tragenden des Stadt-Staates?
Vorfreude allenthalben. Da die vierköpfige Familie, beide Stammhalter im Sakko, natürlich mit Hemd draußen, soviel Libertinage soll sein. Immerhin, wir sind ja in einer Oper der Freimaurer. Die muss ich sogleich ansprechen! „Es war eine Empfehlung“, die Mutter, „Die Show soll gut sein“, der Teen, „Ich hab’s bezahlt!“ der Vater, der Teen, „Oper ist langweilig!!!“ quengelt der kleine Bruder, er mag 8 Jahre alt sein, ich: „Diese Oper bestimmt nicht! Aber gräm Dich nicht, ich habe zur Oper auch erst spät gefunden!“ – „Wie alt sind Sie denn“ – „Ah, die Klingel! Viel Spaß!“ – und ich entfleuche, NIX WIE WEG! FRECHHEIT!
Dabei ist die Inszenierung der Julia Steckel selbst von 2016, zu der ein gewisser Andreas Schmidt auf diesen Seiten äußerte „Diese „Zauberflöte“ wird kein nachhaltiger Erfolg an der Hamburgischen Staatsoper werden und nicht allzu viele Jahre auf dem Spielplan verbleiben.“ „Zwei Welten, die Bühne und die Musik, trudeln und trödeln mitunter aneinander vorbei“, beobachtete der Hamburger Kritikerpapst, der äußerst schätzenswerte Joachim Mischke vom Hamburger Abendblatt damals.
Und es gibt niemanden, der da widersprechen mag – nun, ich bin dieser Niemand:
Die Zauberflöte? Sie ist die früheste Erinnerung! Stellen Sie sich eine kleine, rotlederne, mit Gold geprägte Spieluhr vor, ein vergilbt-purpurnes Zauberkästchen, mit einer Emaille Mozarts darauf, in der die Mutter ihr Kostbarstes bewahrt. Wenn man Schmuck herausnahm – vorsichtig, vorsichtig aufziehen, vorsichtig, ratsch, ratsch, ratsch, und dann spielt es, das rote Kästlein: „Dies Bildnis ist bezaubernd schön!“. Da bin ich vier. Und so komme ich, ohne es zu wissen, mitten hinein in die „Zauberflöte“.
Fragen Sie mich bloß nicht nach der Handlung. You lost me there. Completely. Ich begreife aber, dass es sich beim Libretto um eine Art Entwicklungsroman handelt, eine Geschichte der Selbstfindung, Existenzfragen, emotionaler Wellen und auch des Erwachsenwerden. Und nach Studium des Juwels von Programmheft – man muss es wirklich studieren – erfahre ich im brillanten Essay des Jochen Blum:
„…das pure Vergnügen an Mozarts Musik verhindert den Blick auf das Konstrukt – wo aber doch genauestes Hinschauen, Hinhören notwendig wäre, um das Problem von Humanität und Autokratie, Gut und Böse, Alt und Neu, Revolution und Restauration, Demokratie und Eliteherrschaft, Freiheit und Ordnung zu stellen.“ (S. 9 ff.)
Und das Bühnenbild
Stellen Sie sich Myriaden von Schneekristallen vor, die man in Vorhängen voreinander in gleichen Abständen hängt, sodass sich über tausende von Leuchtdioden ganze Räume strahlend umraumen lassen können.
Das „ah-hA-Ha-HA-Ha- ha-haaaaa! – nochmal wiederholt – der Königin der Nacht hört man quasi aus der Versenkung. Denn dahin, mittig, in den Orchestergraben, sind sie alle verbannt, selbst Sarastro, in weißem Schieber Anzug (Kostüme: Pauline Hüners) aber bis ich das erst checke, völlig abgelenkt von der Tennisplatz-großen Video-Projektion, – das darf ich Ihnen gar nicht sagen. Kann ich ahnen, dass aus dem Bunker gesungen wird?
Einmal sollen wir alle singen, im ersten Aufzug, und ich höre altehrwürdige Hanseaten in „la-laah-lalala-Lah-la“ ausbrechen, angepeitscht dabei von einem Jungen in Skater Kluft, der gerade einen Tamino gibt, ach was, abliefert – Aaron Godfrey-Mayes. Nein wirklich – diese Phrase wollte ich mir schon des Längstens abgewöhnt haben – nein WIRKLICH, im Sinne des Wortes weiterhin wirkend, der Mann hat Sex-Appeal, beherrscht die Bühne, und der Saal jauchzt und juchzt ihm geradezu zu.
Blond, mit Beanie-Hairstyle, nach oben gewickeltem Haarschopf, trällert er und tänzelt er, in Teenie-Skateboard Gear, einmal mit heruntergelassenen Jeans, dass es eine wahre Freude ist – da mag das junge Liebespaar vor mir in Gouvernanten-Mutter-Begleitung schon mal den Kopf aneinanderlegen.
Die Apotheose der Apotheosen Melodien – keinen Plam, warum die Premiere am 23. September 2016 in Buh-Rufen unterging:
Alexandra Olczyk, hoch bis in die Stratosphäre, Sphärenklang, man ist allenthalben begeistert, das Staatsorchester unter Leo Hussain ohne Fehl und Tadel!
Aber lassen wir doch noch einmal in die bunte Zauberflötenfibel blicken?
„Kein System gewinnt hier. Die Inszenierung nutzt Mittel, die unsere Zeit erhellen (…)“, ebd.
Also ich kann Ihnen zur nächsten Vorstellung, Samstag, 28. Dezember 2024, nur raten: Sonnenbrille mit, den heller geht’s nicht!
Harald Nicolas Stazol, 27. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die Zauberflöte, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart Staatsoper Hamburg, 16. Dezember 2022
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte, Staatsoper Hamburg
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte, Hamburgische Staatsoper, 10. Mai 2018