Foto: © Ludwig Olah
Semperoper Dresden, 31. Oktober 2020
Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni (halbszenische Aufführung mit musikalischen Höhepunkten)
von Pauline Lehmann
In das Potpourri der verschiedenen musikalischen Stile, mit denen Mozart in seinem Dramma giocoso spielt, mischt sich an diesem letzten Abend im Oktober der bittere Beigeschmack der Wirklichkeit, die flammenlodernde Höllenfahrt des Don Giovanni ist umrahmt von einer abermaligen Schließung der Theater und Kultureinrichtungen.
Omer Meir Wellber dirigiert die Sächsische Staatskapelle Dresden vom Cembalo aus und die Mozartischen Raffinessen, die verschiedenen Affekte und Stimmungen, über welche Richard Wagner in seiner Schrift Oper und Drama philosophiert: „Wo hat je die Musik so unendlich reiche Individualität gewonnen, so sicher und bestimmt in reichster, überschwenglichster Fülle zu charakterisieren vermocht als hier?“, kommen lebendig, leichtfüßig und transparent aus dem Orchestergraben, dass es eine Freude ist.
Stöbert man in den Gründen der Aufführungsgeschichte, finden sich in der von Heike Maria Jenor eingerichteten Szene mit den turmartigen Gebilden, welche die Bühne von beiden Seiten flankieren, Anklänge an das legendäre Bühnenbild, welches Alfred Roller anlässlich der Neuinszenierung des Don Giovanni an der Wiener Hofoper vom 21. Dezember 1905 entworfen hatte. Am Pult stand damals Gustav Mahler.
Der Dresdner Don Giovanni ist in eine Aura der Dekadenz gehüllt, so übermittelt das Fest in den Gemächern Don Giovannis einen letzten, schwindenden Glanz. Minimalisiert wie eine Theaterprobe musste jedwede Üppigkeit des wüsten Lebens wegbleiben, sodass sich eine Aschermittwochsstimmung ausbreitet. Die dunkle, karge Bühnenwelt hellen nur zwei einsame Kandelaber, die Bühnenmusik im Prospekt und auf dem Proszenium sowie die Farben der Kostüme auf: rot für die sich im Eros labende Donna Elvira, blau, schwarz sowie nicht nur eine Zerlina im weißen Brautkleid, sondern als Paradoxon auch ein Don Giovanni im adretten weißen Anzug.
Die „Oper aller Opern“, wie E. T. A. Hoffmann den Zweiakter nannte, birgt an sich schon eine Maskerade, treten doch Donna Elvira, Donna Anna und ihr Verlobter Don Ottavio dem ruchlosen Totschläger und Frauenverführer Don Giovanni auf dem Fest im Finale des ersten Aktes maskiert entgegen. Die »Semper Essenz« macht aus der Not eine Tugend und gibt eine Maskerade für unterschiedliche Gesichtspartien, an der Schnittstelle zwischen Realität und Theater stehen auch die beiden Männer in den dunklen Arbeitsoveralls – Bühnenarbeiter oder Komparsen?
Auf 90 Minuten verkürzt, wartet die »Semper Essenz« mit den musikalischen Highlights auf. Mit Kurzkommentaren, die wie Spielkarten an die Bühnenrückwand projiziert werden, bringt der Dramaturg Kai Weßler die Handlung voran. Die Couleur auf der Bühne entsteht durch die Solisten, sie kosten die Komik und Tragik der Szenen aus. Mit Lawson Anderson ist die Rolle des Leporello perfekt besetzt. Die Figur des komödiantischen und teils närrischen Dieners lebt der US-amerikanische Bassbariton, der seit der letzten Spielzeit Mitglied im Ensemble der Semperoper Dresden ist, mit Verve aus.
Die russische Sopranistin Elena Gorshunova lässt die Erlebnisse der Donna Anna in der Arie Or sai, chi l’onore / Du kennst nun den Frevler emotional wallen, Liparit Avetisyan verleiht Don Ottavio sowohl emphatische als auch sanfte Züge und Anke Vondung lebt die buffonesken Szenen der Zerlina aus. Georg Zeppenfeld leiht dem Komtur seinen souveränen Bass. Als Don Giovanni gibt der polnische Bariton Andrzej Filończyk nicht nur sein Rollen-, sondern auch sein Hausdebüt an der Semperoper Dresden.
Ganz wie sein Pendant Faust gilt Don Juan als mythisches Faszinosum par excellence, wobei der aus Spanien stammende Stoff erstmals 1630 in der Komödie El burlador de Sevilla von Tirso de Molina (seit den 1980er Jahren gilt Andrés de Claramonte als gesicherter Autor) literarisch in Form gegossen wurde. Im Italien des ausgehenden 18. Jahrhunderts kursierten unzählige Vertonungen über den ruchlosen Verführer. Mozarts Librettist Lorenzo Da Ponte inspirierte sich oder folgte vielmehr Giovanni Bertatis Libretto für den Don Giovanni Giuseppe Gazzanigas. Seinen Don Giovanni führte Mozart am 29. Oktober 1787 in Prag im Gräflich Nostitzschen Nationaltheater, dem »Ständetheater«, erstmals auf. Wie der Komponist einem Freund in einem Brief mitteilte, wurde die Oper in der Goldenen Stadt an der Moldau „mit dem lautesten beyfall“ angenommen.
Das moralisierende Schluss-Sextett (Also stirbt, wer Böses tat) lässt die Dresdner Inszenierung weg, vielmehr arbeitet sie das transzendente Moment heraus. Don Giovanni wird von der kalkweißen Statue des Komturs heimgesucht. Nachdem diese (musikalisch unter einem Aufbrechen der Tonalität) die irdische Speise ablehnt und Don Giovanni vor dem Hintergrund einer übergroßen Schablone des Komturs – erst schwarz, dann weiß – dem Reuegebot entsagt, öffnet sich für den Schuldigen flammenlodernd der Höllenschlund.
Pauline Lehmann, 7. November 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giacomo Puccini, Tosca (konzertante Höhepunkte), Semperoper Dresden, 3. Oktober 2020
Musikalische Leitung Omer Meir Wellber
Szenisches Konzept und Einrichtung Heike Maria Jenor
Licht Marco Dietzel
Chor Cornelius Volke
Dramaturgie Kai Weßler
Don Giovanni Andrzej Filończyk
Il Commendatore Georg Zeppenfeld
Donna Anna Elena Gorshunova
Don Ottavio Liparit Avetisyan
Donna Elvira Elena Guseva
Leporello Lawson Anderson
Masetto Martin-Jan Nijhof
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
Damen und Herren der Komparserie