Foto: Camille Schnoor, Mathias Hausmann© Thomas Dashuber
Staatstheater am Gärtnerplatz, München, 28.Oktober 2018
Wolfgang Amadeus Mozart,
Don Giovanni (Spielzeitpremiere)
von Barbara Hauter
Don Giovanni zählt neben Faust und Don Quijote zu den bedeutendsten Figuren der europäischen Kulturgeschichte: er ist der Mythos des Verführers, ein Sexbesessener mit über 1000 Eroberungen allein in Spanien. Traditionell wird er auf der Bühne dämonisiert, abgestraft und der Hölle übergeben. Was passiert mit Don Juan in säkularisierten Zeiten, in denen Sex allgegenwärtig ist und nackte Brüste keinen mehr aufregen? Das Gärtnerplatztheater inszeniert den Wüstling als von der Welt angeekelten Lebemann, den Partys langweilen und Nackte anöden. Selbst die Jagd auf Frauen gibt ihm keinen Thrill mehr. Konsequenterweise verschlingt ihn nicht der Höllenschlund, sondern er gibt sich selbst die Kugel.
Mathias Hausmann gibt diesen Don Giovanni glaubhaft, cool, desinteressiert an der Welt mit Fluppe im Mund. Seine Stimme klingt lässig und ist perfekt intoniert. Eine herausragende Leistung.
Schon während der Ouvertüre dreht sich das Bühnenbild und gibt Einblick in immer gleiche Straßenschluchten, die keinen Ausweg lassen. Eine zeigerlose Uhr deutet auf die unendliche Langeweile in Don Giovannis Seele. Ein Gewitter, die Häuser flankiert von Reliefs mit nackten Leibern wie auf einem Höllensturz-Gemälde von Rubens – der Untergang ist vorgezeichnet.
In dieser Oper werden Don Giovannis Opfer von sehr unterschiedlichen Sopranistinnen vorgeführt: Donna Anna, die vergewaltigte Unschuld, die den Mörder ihres Vaters aber leidenschaftlich küsst – obwohl sie genau weiß, wer er ist – gibt Jennifer O’Loughlin als Racheengel mit lyrischer Stimme. Donna Elvira, die erfolgreiche Businessfrau, die von Don Giovanni besessen ist, wird von Camille Schnoor herzzerreißend schmerzerfüllt gesungen – ihre Stimme hat in allen Registern eine unglaubliche Kraft und Ausstrahlung.
Publikumsliebling ist Levente Páll als Leporello. Er gibt den Diener Don Giovannis mit viel Spielfreude als Nerd mit Hoodie und Hornbrille. Er führt auf seinem Macbook Buch über die Eroberungen seines Herren, singt sogar die berühmte Registerarie vom Laptop. Sein voller, warmer Bass seufzt tief auf vor Verzweiflung über dessen Schandtaten und darüber, dass er nicht wegkommt von seinem Herrn.
Dass die Sympathien ihm gehören, liegt auch daran, dass er das fröhliche Element in der ganzen Melancholie auf der Bühne darstellt. Mozart hat sein Werk als Opera buffa – als komische Oper – geführt. Erstaunlich, denn Don Giovanni eröffnet in d-Moll und mit einem Mord, erzählt von Betrug und Vergewaltigung und endet im Selbstmord. Und am Ende steht jubelnde Musik – nach Mozarts Art mit wunderschönen, ineinander verwobenen Stimmen.
Regisseur Herbert Föttinger hat diese Zerrissenheit zwischen Stoff und Musik stimmig mit der Zerrissenheit des modernen Menschen in Verbindung gesetzt. Überdruss angesichts der Fülle der Möglichkeiten – das ist nicht nur Don Giovannis Problem. Unbedingt ansehen!
Barbara Hauter, 30. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung, Anthony Bramall
Regie, Herbert Föttinger
Bühne, Walter Vogelweider
Kostüme, Alfred Mayerhofer
Licht, Michael Heidinger
Video, Raphael Kurig / Thomas Mahnecke
Choreinstudierung, Karl Bernewitz
Dramaturgie, David Treffinger
Don Giovanni, Mathias Hausmann
Donna Anna, Jennifer O’Loughlin
Don Ottavio, Gyula Rab
Komtur, Christoph Seidl
Donna Elvira, Camille Schnoor
Leporello, Levente Páll
Masetto, Timos Sirlantzis
Zerlina, Jasmina Sakr
Chor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz