Foto: © Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 13. Dezember 2021
Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni
von Jürgen Pathy
So viel Jordan hat man an der Wiener Staatsoper bislang kaum erlebt. Der Schweizer, der seit letzter Saison als Musikdirektor an der Wiener Staatsoper schaltet und waltet, entstaubt Mozarts „Don Giovanni“ vollkommen. Derart tragende Piani hat man bei Mozart schon lange nicht mehr gehört. Dabei schöpft Philippe Jordan aus dem Vollen. Obwohl einige Hundert Meter entfernt, die Wiener Philharmoniker zeitgleich im Musikverein unter Kirill Petrenko spielen, hat man sich im Graben der Wiener Staatsoper nicht lumpen lassen. Neben Konzertmeister Volkhard Steude, Ex-Vorstand Daniel Großbauer und Beau Daniel Ottensamer geben hier alle ordentlich Stoff.
Elan und Feuer aus dem Orchestergraben
Dass dabei möglicherweise zu wenig dynamisch differenziert wird, kann gut sein. Jordan versucht es zumindest. So tiefe Hocken ist man eigentlich nur von Thielemann gewohnt. Philippe Jordan kann es ebenfalls. Setzt dabei noch einiges drauf. Wer denkt, die rund zweieinhalb Stunden Mozart könnten langatmig werden, dem sei die Philippe-Jordan-Show empfohlen. Ganz klassisch gekleidet im schwarzen Frack samt Lackschuhwerk, biegt und wendet sich der schlanke Schweizer vor seinem Hammerklavier als gäb’s kein Morgen.
Sein Markenzeichen: Piani fordert er noch wie andere – tiefe Hocke, linke Handfläche nach unten, flatternde Finger. Atmosphärische Tutti-Klangwolken streicht er bereits ziemlich extravagant im Stile eines Shaolin-Meisters ausladend von links nach rechts. Wo er allerdings völlig aus der Reihe tanzt, sind seine Einsätze. Die gibt Jordan nicht nur, die sticht er regelrecht wie vom Blitz getroffen in das Orchester. Das fulminant-spielende Staatsopernorchester, aus dem sich die Wiener Philharmoniker rekrutieren, liefert. In Form von atemberaubenden Spannungsbögen und berauschenden „Piani“, die im klassischen Sinne allerdings nicht wirklich leise klingen.
Erstens habe Mozart gar nicht so viele Piani und überhaupt wenige Pianissimi vermerkt. Zweitens sei es so gewollt. Zumindest bekräftigt das einer der Musiker. Genauso wie beim Requiem dürften beim „Don Giovanni“ die Piani niemals nur auf einem Faden hängend aus den Geigen gekitzelt werden. Bei diesen Werken seien die Piani tragender Natur. Das habe bereits Nikolaus Harnoncourt gepredigt. Diesem Ansatz huldigt man auch Montagabend an der Wiener Staatsoper. Ob es auch rein Jordans Entscheidung war oder die Pferde ein wenig durchgegangen sind, wissen andere. Auf jeden Fall durchforstet Jordan jede Ecke und jeden Winkel, verbirgt auch kein einziges Forte und gewichtet einige Szenen völlig konträr zu vergangenen Spielzeiten.
Zerlina und Don Ottavio geben den Ton an
Während unter Dominique Meyers Patronanz teils ganz klassisch besetzt wurde, zeichnet das neue Team andere Charaktere. Zerlina und Don Ottavio könnten ebenso Mozarts Dramma Giocoso heißen, betrachtet man Barrie Koskys Inszenierung. Don Ottavio ist kein Weichei, dessen Charakterzug meistens durch lyrische Larmoyanz untermauert wird. Zerlina alles andere als ein unschuldiges Lamm, dem oft der soubrettenhafte Deckmantel übergestülpt wird. Ganz im Gegenteil.
Bei Barrie Kosky und Philippe Jordan treten beide Charaktere gestärkt auf. Don Ottavio, für den Jordan vehement nach einem Sänger gefordert hat, der auch Potenzial zum Helden hat, strotzt nur so vor Testosteron gemischt mit viel Gefühl. Mit Stanislas de Barbeyrac hat man diesbezüglich den Jackpot abgeschossen. Vor allem, weil der Franzose nicht nur mit samtweichen Piani beglückt, sondern auch ansatzweise ein jugendlich-heldenhaftes Statement setzt. Zerlinas Wind weht aus einer ähnlichen Richtung. Patricia Nolz, die am Ende den meisten Applaus empfängt, verführt mit ihrem Sopran, der fast schon strahlt und in allen Lagen tragfähig wirkt.
Jordans Handschrift
Auffallend auch andere Punkte. Fast schon wie ein Statement aus dem Graben wirkt Leporellos Registerarie. Über die lässt Jordan beinahe beiläufig und rasant hinwegfliegen, ohne markante Akzente zu setzen. Die mögliche Message dahinter: Messt dem ganzen Tohuwabohu, das Leporello hier abzieht, nicht so viel Tragkraft bei. #Metoo ist zwar Realität, aber im Theater ist alles erlaubt. Das hat Barrie Kosky schon bei der Einführungsmatinee bestätigt.
Besetzt hat man diese Charakterpartie mit dem jungen Philippe Sly. Im Spiel mit seinem Herren Don Giovanni, der bei Kosky eher wie sein Kumpel wirkt, erweist sich der junge Kanadier als knapper Sieger. Nicht nur, weil er über das schönere Material verfügt, sondern auch des Gesamteindrucks wegen. Der Amerikaner Kyle Ketelsen weiß aber auch zu punkten. Bis auf die „Champagner-Arie“, bei der er fast fällt, setzt er seinen edlen Bassbariton durchaus gewinnbringend ein.
Eine Kragenweite zu groß
Was sich bereits im Stream angedeutet hat, bestätigt die Realität noch mehr. Kate Lindsey hat sich mit der Donna Elvira zu weit aus dem Fenster gelehnt. Wirkte ihre Stimme bereits bei der Premiere beengt und gepresst, hatte sie mit den Höhen an diesem Abend noch mehr zu kämpfen. Ebenso Hanna-Elisabeth Müller als Donna Anna. Zwar konnten beide gewisse Akzente setzen, vor allem wenn es lyrisch und leicht klingen sollte, ab einer gewissen Lautstärke war jedoch Schluss mit lustig.
In Summe dennoch ein höchst erfreulicher Auftritt des möglicherweise neuen Mozartensembles, wie es manche nennen wollen. Wer auch immer die Entscheidungen getroffen hat, letztendlich ein Mozart mit viel Kraft und Elan. Erwähnenswert auch noch: Peter Kellner als Masetto, der wieder viel Spielfreude an den Tag gelegt hat.
Jürgen Pathy (klasssikpunk.de), 14. Dezember 2021, für klassik-begeistert.at und klassiik-begeistert.de
Wolfgang Amadeus Mozart, „Don Giovanni“, Großes Festspielhaus, Salzburg, 10. August 2021