„Titus" in Salzburg: Ein Gewaltakt des Feminismus

Wolfgang Amadeus Mozart, La clemenza di Tito   Großes Festspielhaus, Salzburg, 10. August 2024

Foto: © Marco Borrelli

Der Videobeweis lügt nicht. Sesto ist der Attentäter. Bei Robert Carsens Inszenierung von „La clemenza di Tito“ ist Widerstand auch sinnlos. Alexandra Marcellier verführt nicht nur mit ihren Koloraturen, auch das Outfit spiegelt ihre Dominanz wider. Da kann selbst Cecilia Bartoli nicht widerstehen. Nur das Ende gibt Rätsel auf: Titus, der Milde, segnet in Salzburg das Zeitliche – entgegen des Librettos.

Wolfgang Amadeus Mozart, „La clemenza di Tito“

Großes Festspielhaus, Salzburg, 10. August 2024

von Jürgen Pathy

„Ist alles gut ausgegangen?“ – Nein, Robert Carsen pfeift auf ein klassisches Ende, wie es im Libretto angedacht wäre. Gespräche im beliebten Café Bazar, Salzburger Innenstadt, kurz nach dem Ende der Vorstellung im Großen Festspielhaus. Titus, der Milde, fällt dort letztendlich doch einem Attentat zum Oper. Entgegen der ursprünglichen Intention von Mozart und dessen Librettisten Caterino Mazzolà. Die Strippenzieherin der Intrige: Vitellia, die Tochter des gestürzten Herrschers, die sich nun mit Gewalt auf den Thron hievt.

Frauen an die Macht

Die mögliche Message von der G’schicht: Wenn Frauen regieren wollen, müssen sie über Leichen gehen. Anders kann man’s fast nicht deuten, da in Mozarts Original die Güte des Kaisers letztendlich über alles erhaben ist. Der verzeiht und überlebt alles: Attentat, Verrat & andere Enttäuschungen. Eine Utopie, die einer humanistischen Wunschvorstellung gleicht. Die Realität sieht anders aus. Deshalb dreht Carsen den Spieß gleich um, und lässt ihn gewaltsam vom Thron stoßen. Die Genderbewegung wird’s freuen. Annio und Sesto dürfen jetzt auch endlich ihr wahres Wesen zeigen. Bei Mozart sind es noch Hosenrollen, Frauen verkleidet als Männer. Bei Carsen leben sie ihre gleichgeschlechtliche Liebe als Frauen aus.

Sesto verfällt dabei einer machthungrigen Business-Lady, die nicht nur ihre vokalen Qualitäten ins Gefecht führt. Alexandra Marcellier wird ihrer Rolle als Vitellia mehr als nur gerecht. Mit Koloraturen ist die französische Sopranistin per Du, dramatische Ausbrüche ringen ihr nur ein müdes Lächeln ab, und ihre Ausdauer hätte olympisches Gold verdient. Kostümtechnisch zieht sie ebenfalls alle Register. Hautenger Lederrock, Lederstiefel – alles klassisch schwarz. Männer verschlingende „Femme fatale“, nur, dass sie bei Carsens zeitgemäßer Aufbereitung eben Frauen küsst.

Die Bartoli kanns noch immer 

Cecilia Bartoli ist eine davon. Selbst sie, der Publikumsliebling in Salzburg, muss da gehörig aufpassen, um von der Dominanz dieser Intriganten nicht erdrückt zu werden. Attacken, wie bei „Parto, parto…“, sind nicht mehr die stärksten Waffen dieses Sesto. Alles in die Waagschale wirft die 58-jährige Römerin aber, wenn Mozart auf die emotionalen Tiefen ihrer Partie verweist. Mit „Deh, per questo…“ setzt DIE Bartoli hier ganz klar wieder ein Zeichen. Das wird zum musikalischen Höhepunkt der Vorstellung. Die Gnade des Herrschers, um die sie auf Knien ringend bittet. Auch, weil Gianluca Capuano dem Zeitmaß viel Raum schenkt.

Adagio, hat Mozart den Anfang dieser Arie notiert. Das gefühlte Larghissimo, mit dem der Italiener am Pult seines Orchesters (Les Musiciens du Prince – Monaco) dieses Flehen auswälzt, könnte auch ein subtiler Hinweis sein. Dass Capuano mit Carsen nicht d’accord ist. Nicht mit Gewalt, erringt man den Umsturz alter Ordnungen, Güte und Gnade sind der richtige Weg, wenn auch nicht immer zielführend.  Titus gewährt, fällt aber dennoch zum Opfer. Daniel Behles souveräner Auftritt als Regierungschef im Italien der Gegenwart hilft da auch nichts. Ildebrando D’Arcangelos autoritärer Bass als Publio ebenso wenig.

Gewaltsamer Umsturz

Die Botschaft, die am Ende im Raum stehen bleibt: Frauen an die Macht, wenn auch mit Gewalt? Eine Message, die durchaus dem Zeitgeist entsprechen könnte. Der Aufruf zum gewaltsamen Putsch kann allerdings nicht die Lösung sein. Darf man Carsen, der auch den „Jedermann“ inszeniert hat, auch nicht unterstellen. Vielleicht deutet er es anders. Milde und Güte könnten sinnlos sein, hat man den Mob erst einmal in Aufruhr versetzt. Washington 2021 hat es gezeigt. Die Lösung in diesem Fall: eine Frau womöglich…

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 11. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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