Mozarts Figaro in München: Temporeiche Tollheiten – makellos präsentiert

Wolfgang Amadeus Mozart, Le nozze di Figaro,  Bayerische Staatsoper, München

Foto: Wilfried Hösl (c)
Bayerische Staatsoper
, 26. September 2018
Wolfgang Amadeus Mozart, Le nozze di Figaro
Opera buffa in vier Akten
Libretto von Lorenzo Da Ponte

von Barbara Hauter

Perfekte Stimmen und ein grandioses Orchester – die Bayerische Staatsoper in München hat auch bei „Figaros Hochzeit“ geliefert. Kein Wunder bei einem Opernhaus, das dieses Jahr den Oscar der Opernwelt und den Titel “Opernhaus des Jahres” gewonnen hat.

Vorhang auf noch während der Ouvertüre. Es enthüllt sich eine Miniaturversion der Münchner Opernbühne in Puppenformat. Die erste Szene spielen Marionetten. Figaro misst den Raum aus fürs Ehebett und küsst seine Susanna inniglich, als durch den Puppenbühnenboden der menschliche Figaro (Alex Esposito) bricht und mit den Puppen spielt. Das Publikum lacht und hat verstanden, um was es die nächsten dreieinhalb Stunden geht: um die Liebe und das verwirrende Spiel um die komplizierteste der menschlichen Emotionen.

Die Hochzeit des Figaro ist eine stürmische Posse mit Kleidertausch und Verwechslungsspielen und wird von manchen als beste Oper aller Zeiten angesehen. Auf jeden Fall ist sie eine der unterhaltsamsten und darum meist gespielten. Der große Tag, die geplante Hochzeit von Figaro, dem Bediensteten des Grafen Almaviva und Susanna, Kammerzofe der Gräfin, wird für alle Beteiligten zu einer emotionalen Achterbahnfahrt. Der Graf, ein echter Schürzenjäger, versucht die Hochzeit zu verhindern, weil er ein Auge auf Susanna geworfen hat.

Und auch Marcellina, Haushälterin des Arztes Bartolo, grätscht rein, sie will Figaro heiraten. Sie entpuppt sich dann aber als seine Mutter, was eine Hochzeit ausschließt. Ab dann wird es kompliziert. Ein liebestoller Page, Cherubino, wechselt in Frauenkleider, um Frauen nach zu stellen, die Hauptdarsteller schmieden Ränke um sich gegenseitig in wechselnden Allianzen der Untreue zu überführen und der Graf, eigentlich Herr über das Personal, geht in den Intrigen und Gegenintrigen völlig ohnmächtig verloren.

Johannes Leiacker (Bühne) spiegelt diesen Kontrollverlust genial in seinem Bühnenbild. Die Protagonisten agieren in einem klaren, weißen Raum, der aber wie in Alice im Wunderland seine Größe ändert. Im ersten Akt sind die Türen noch viel zu klein, wachsen von Akt zu Akt aber und sind im vierten Akt so riesenhaft, dass die Klinken unerreichbar sind. Die Sänger erscheinen winzig, dem Geschehen ausgeliefert, das sie selber angezettelt haben und ihnen nun hoffnungslos zu groß geworden ist. Außer diesem Hingucker ist die Ausstattung des Stücks eher karg. Die Kostüme im Wesentlichen zeitgenössisch. In der Pause findet eine Zuschauerin die Präsentation des Figaro ein wenig lasch, “die alte Inszenierung war spritziger.” Aber Christof Loy ging es in seiner Interpretation vermutlich weniger um noch mehr Unterhaltung als um psychologische Annäherung an die Figuren.

Im Mittelpunkt stehen die Frauen. Sie sind deutlich souveräner dargestellt als die männlichen Rollen. Susanna, warm und samten gesungen von Olga Kulchynska, ist wunderschönes Opfer und Täterin in einem. Ihre Chefin Gräfin Almaviva ist mit ihrem glockenhellen, runden Sopran die betörend sinnliche Federica Lombardi. Die beiden behalten noch am ehesten den Überblick und erreichen im Spiel der Liebe ihre Ziele.

Die Männer dagegen verirren sich. Figaro, Alex Esposito, ist elegant, lebhaft und testosteronhaltig in seinem Ausdruck, bekommt die Sache aber nicht mehr in den Griff. Und völlig verloren wirkt der großartige Ludovic Tézier als Graf. Er hat einen herrschaftlichen Bariton und doch kann der im Kampf der Geschlechter nicht punkten. Zuschauer wie Sänger verlieren den Überblick. Besonders sichtbar wird das an der Figur des Pagen Cherubino, meisterhaft gesungen und vor allem auch gespielt von der Sopranistin Rachael Wilson. Als Frau gibt sie einen lüsternen Mann in Frauenkleidern, der immer wieder reinplatzt, wenn sich vertraute Zweisamkeit einstellen könnte. Doch bevor sich jeder einzelne völlig verirrt, führt Mozart die Stimmen zusammen.  Am Ende vom zweiten Akt und vor allem im Finale singen alle Protagonisten gleichzeitig in einem vielstimmigen Ensemblegesang. Die Stimmen sind so komplex miteinander verwoben, wie die Figuren miteinander verstrickt sind. Und hier wird die Münchner Meisterschaft besonders deutlich: da alle Sänger auf Weltniveau sind, ist die Darbietung im Ensemble zum niederknien.

Eine kleine Verbeugung von Mozart mag die Instrumentierung des Orchesters sein. Musikalischer Leiter Ivor Bolton setzt zum Teil historische Instrumente ein, Barocktrompeten, ein Cembalo und ein Hammerklavier. Das Tempo ist dagegen sehr modern, schnell. Schön, dass das Orchester dabei nicht gänzlich im Graben verschwindet, sondern ein wenig erhöht sitzt. Durch die Sichtbarkeit von Dirigenten und Musikern entsteht eine noch engere Verbindung von Gehörtem und Gesehenem. Und das tut gut bei einem Stück, das dazu angelegt ist die Sinne zu verwirren. Dem Publikum jedenfalls gefällt es. Nach dem letzten Ensemblegesang “So werden wir nun alle glücklich” tosen Applaus und Bravo-Rufe und auch die Zuschauer werden glücklich entlassen.

Barbara Hauter, 27. September 2018, für
klassik-begeistert.de

Graf Almaviva: Ludovic Tézier
Gräfin Almaviva: Federica Lombardi
Susanna: Olga Kulchynska
Figaro: Alex Esposito
Cherubino: Rachael Wilson
Marcellina: Anne Sofie von Otter
Bartolo: Paolo Bordogna
Don Curzio: Dean Power
Barbarina: Anna El-Khashem
Antonio: Milan Siljanov
Bayerisches Staatsorchester
Musikalische Leitung: Ivor Bolton
Inszenierung: Christof Loy
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Klaus Bruns

Barbara Hauter, M.A. Germanistik, Psychologie und Biologie, schreibt seit sie die Tastatur bedienen kann, für Tagespresse, Zeitschriften und Internet. Als Redakteurin betreute sie viele Jahre Foto- und Tierzeitschriften. Als freie Journalistin sind ihre Themenschwerpunkte Menschen, Tiere und Medizin. Ihre Passion sind „Kritiken fürs Volk“, weil sie dafür brennt, mehr Menschen für Klassik und Ballett zu begeistern. Barbara Hauter lebt in der schönen Opernstadt München.

Ein Gedanke zu „Wolfgang Amadeus Mozart, Le nozze di Figaro,
Bayerische Staatsoper, München“

  1. „Ein liebestoller Page, Cherubino, wechselt in Frauenkleider, um Frauen nach zu stellen“

    Cherubino wechselt nicht in Frauenkleider, um Frauen nachzustellen. Er tritt lediglich im dritten Akt in weiblicher Verkleidung auf, und dort auch nur für kurze Zeit.

    „Doch bevor sich jeder einzelne völlig verirrt, führt Mozart die Stimmen zusammen. Am Ende vom zweiten Akt und vor allem im Finale singen alle Protagonisten gleichzeitig in einem vielstimmigen Ensemblegesang.“

    Auch wenn es hier als Tatsache hingestellt wird: diese Behauptung ist sehr fragwürdig, wenn man einen Blick in die Partitur wirft und ähnliche Stellen aus dieser oder anderen Opern Mozarts für einen Vergleich heranzieht.
    Auffällig ist nämlich, dass die Frauenstimmen im Finale der Oper teilweise andere Einsätze als die Männer haben, Frauen und Männer sich sozusagen gegenüberstehen, was in der Sekundärliteratur durchaus auch als Hinweis darauf verstanden wird, dass der Geschlechterkonflikt am Ende der Oper keineswegs behoben ist.
    Man könnte einwenden, dass diese Gegenüberstellung von Frauen- und Männerstimmen einzig aus chorsatztechnischen Gründen passiert, doch ein Vergleich mit ähnlichen Stellen zeigt, dass Mozart hier durchaus differenziert.

    Das „Son confusa“ aus Nr. 16 im zweiten Akt zeigt einen siebenstimmigen Chorsatz, in dem sich, passend zur Handlung, zwei Blöcke gegenüberstehen: Marcellina, Basilio, Bartolo und der Graf auf der einen sowie Susanna, Figaro und die Gräfin auf der anderen Seite gegenüberstehen.

    Auch im Finale des „Don Giovanni“ werden die Männer- und Frauenstimmen nicht so auffällig getrennt wie im Finale des „Figaro“; Don Ottavio etwa wechselt zwischen den beiden Blöcken hin und her.

    „Das Tempo ist dagegen sehr modern, schnell.“

    Diese Aussage verstehe ich nicht. Wie kann ein Tempo „modern“ oder, im Gegensatz dazu, „altmodisch“ sein?

    „Und das tut gut bei einem Stück, das dazu angelegt ist die Sinne zu verwirren.“

    Hier wird erneut eine Eigeninterpretation als gültige Wahrheit formuliert. Mir sind keine Quellen (Briefe, Tagebucheinträge, etc.) bekannt, in denen Da Ponte oder Mozart ihre Absicht geäußert haben, „die Sinne zu verwirren“.

    Merkatz

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