Foto: Thies Rätzke (c)
Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, 17. Oktober 2018
Nikolai Rimski-Korsakow, Suite in vier Bildern aus „Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch und der Jungfrau Fewronia“
Sergej Prokofjew, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 16
Piotr I. Tschaikowsky, Suite aus „Schwanensee“ op. 20
Yefim Bronfman, Klavier
Yuri Temirkanov, Dirigent
St. Petersburger Philharmoniker
von Leonie Bünsch
Die St. Petersburger Philharmoniker sind zu Gast in Hamburg und heizen der Elbphilharmonie mit ihrem Feuer ordentlich ein. Im Gepäck haben sie drei russische Meister: Rimski-Korsakow, Prokofjew und Tschaikowsky.
Der Abend beginnt mit Ausschnitten aus Nikolai Rimski-Korsakows Oper „Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch und der Jungfrau Fewronia“. Sperriger Titel, sperrige Musik? Keineswegs!
Rimski-Korsakows vorletzte Oper sollte ein typisch russisches Sujet haben, so ließ sich der Komponist von historischen Ereignissen und volkstümlichen Sagen inspirieren. Die Oper behandelt einerseits die Legende um die Stadt Kitesch, die in einem See versank, andererseits die Heiligenlegende vom Waldmädchen Fewronia. Beide Elemente finden sich in der Musik wieder: vom wilden Schlachtenlärm bis hin zu Imitationen von Vogelstimmen.
Rimski-Korsakows Schüler und Schwiegersohn Maximilian Steinberg stellte eine Konzertsuite mit der Opernmusik zusammen. Die ersten drei Sätze daraus spielen die St. Petersburger Philharmoniker heute Abend – allerdings überraschenderweise in veränderter Reihenfolge. Yuri Temirkanov, seit 1988 (!) Chefdirigent der St. Petersburger Philharmoniker, macht aus der Suite sein eigenes Stück. So stellt er die Schlacht der Tartaren an den Anfang und endet mit dem Vorspiel. Das hat einen eindrucksvollen Effekt.
So beginnt das Orchester den Konzertabend mit einem fulminanten Auftakt, bei dem einem alles geboten wird. Es erklingen verschiedene volkstümlich anmutende Melodiefragmente, gefolgt von einem düsteren Thema, das die Krieger ankündigt. Die wilde Schlacht wird mit Galopprhythmen unterlegt. Auffallend ist hier vor allem der Dirigierstil Temirkanovs. Der fast 80 Jahre alte Dirigent leitet sein Orchester mit minimalsten Bewegungen. Oft nutzt er nur die Finger einer Hand, während er sich mit der anderen am Dirigierpult abstützt. Einsätze gibt er offenbar nur sporadisch, zwischendurch scheint er immer wieder innezuhalten und zuzuhören. Dass die Einsätze aus dem Orchester (gerade bei den wilden Rhythmen und laufenden Pizzicati) dennoch punktgenau kommen, zeugt von großer Vertrautheit.
Durch die veränderte Reihenfolge endet die Suite mit märchenhaften, fast sphärischen Klängen. Über einem flirrenden Klangteppich aus Harfen und Streichern ertönt ein Oboen-Solo zum Dahinschmelzen! Das russische Orchester hat einen farbprächtigen Klang, der im Großen Saal der Elbphilharmonie voll zur Geltung kommt.
Nach einer kurzen Umbaupause geht es weiter mit Sergej Prokofjews 2. Klavierkonzert. Als der Komponist sein Werk 1913 selber am Klavier zur Uraufführung brachte, trat er einen regelrechten Skandal los. „Zum Teufel mit dieser Futuristenmusik!“, hieß es damals. Dabei scheint das avantgardistische Stück aus heutiger Sicht gar nicht so entrückt. Innerhalb der vier Sätze gibt es sogar immer wieder auch romantisch angehauchte Passagen.
An diesem Abend ist der Star am Klavier Yefim Bronfman und der bringt noch einmal eine gute Portion Leidenschaft mit auf die Bühne. Die Solokadenz am Ende des ersten Satzes ist zum Niederknien! Seine Finger fliegen über die Tasten als hätte er mindestens vier Hände. Diese Schnelligkeit, diese Leichtigkeit! Alles um ihn herum scheint plötzlich zu erstarren, die Welt scheint still zu stehen. Nur Bronfman ist da und er zieht einen in seinen Bann.
Dirigent und Pianist halten durch Augenkontakt immer mal wieder Rücksprache – beide scheinen zufrieden. Auch das Orchester macht seine Sache großartig und spielt auch bei rasanten Tempi exakt zusammen. Leider übertönt es hin und wieder den Solisten, der Prokofjew spielt, als habe er nie etwas anderes getan. Der Beifall ist entsprechend groß und so gibt es noch vor der Pause eine Zugabe.
Nach der Pause steht Tschaikowsky auf dem Programm. Der „Schwanensee“ bringt noch einmal alle zum Schwelgen. Die Suite zur Ballettmusik wollte Tschaikowsky eigentlich selber schreiben. Da er dieses Vorhaben jedoch nie umsetzte, steht es heute jedem Dirigenten frei, eine eigene Version aufzuführen. Und so erklingt auch hier die Version Temirkanovs, der natürlich nicht auf die bekanntesten Melodien verzichtet.
Nun wird das russische Feuer noch einmal neu entfacht und zum ersten Mal an diesem Abend sieht man auch die Spielfreude auf den Gesichtern der Musiker. Großartig, wie die einzelnen Stimmgruppen zusammenspielen als seien sie ein einziges Instrument. Einzelne Motive werden durch feinste Nuancierungen und genaues Ausbalancieren herausgearbeitet. Das filigrane Harfen-Solo beeindruckt, das Solo des Konzertmeisters enttäuscht dagegen ein bisschen. Zu unsauber und einen Hauch verstimmt. Doch das tut der Gesamtleistung keinen Abbruch. Das spektakuläre Finale sorgt für Gänsehaut und fordert den Schlussapplaus heraus.
Und der kommt mit einer Begeisterungswelle, wie sie lange nicht zu hören war. Der Nachhall des Schlussakkordes hat noch nicht einmal die hinterste Ecke des Saals erreicht, da sind schon die ersten Zuhörer von ihren Plätzen gesprungen. Es gibt Bravo-Rufe und Jubel-Schreie noch und nöcher. Orchester und Dirigent sind sichtlich beeindruckt von der starken Resonanz und da der Applaus gar kein Ende findet, beehren auch sie die Hamburger mit einer Zugabe.
„Danke!“, ruft man hinterher schlicht aus dem Publikum. Und in der Tat lässt sich zu diesem Konzert nur sagen: Danke!
Leonie Bünsch, 18.10.2018, für klassik-begeistert.de