Wagners „Die Walküre“ verzaubert am Staatstheater Braunschweig

Zyklus „Ausweitung des Ringgebiets“, Richard Wagner, Die Walküre  Staatstheater Braunschweig, 20. März 2023

Ensemble mit vlnr: Jisang Ryu, Thomas Mohr, Anna Schuldt, Srba Dinić, Stéphanie Müther, Martina Welschenbach, Aris Argiris; Foto Patrik Klein

Eine hochkarätig besetzte konzertante Aufführung verzaubert in der Stadt des Löwen

Zyklus „Ausweitung des Ringgebiets“

Richard Wagner (1813 – 1883)
Die Walküre
Erster Tag des Bühnenfestspiels

„Der Ring des Nibelungen“ in drei Aufzügen WWV 86B
Auszüge

Wotan: Aris Argiris
Siegmund: Thomas Mohr
Sieglinde: Martina Welschenbach
Brünnhilde: Stéphanie Müther
Fricka: Anna Schuldt
Hunding: Jisang Ryu

Srba Dinić, Dirigent
Staatsorchester Braunschweig

Staatstheater Braunschweig, 20. März 2023

von Patrik Klein

Man darf mich getrost fragen, warum ich so etwas mache: 210 Kilometer über die Autobahn aus dem kulturauswahlstarken Hamburg nach Braunschweig zu fahren und um deutlich nach 3 Uhr morgens wieder in der Hansestadt anzukommen. Ganz einfach: Weil es wie ein Sog sein kann und weil es ein Sog gewesen ist. Diese Musik hat eine magische Anziehungskraft, der ich hoffnungslos ausgeliefert bin. Die SolistInnen waren in atemberaubender Verfassung und ließen Schauer des Musikgenusses über den Rücken laufen. Das gut spielende Orchester auf der Bühne entwickelte Wagners Klangwucht und Finesse in voller Pracht. Das Publikum im gut gefüllten Haus feierte das gesamte Ensemble mit großem, kaum enden wollenden Applaus.

Am Staatstheater Braunschweig widmet man sich seit Herbst letzten Jahres dem Ring des Nibelungen unter dem Motto „Ausweitung des Ringgebiets“ und verweist damit auf ein spartenübergreifendes Konzept, bei dem Musiktheater, Schauspiel und Tanz integriert werden und neue Sichtweisen entstehen sollen. Der erste Tag des Bühnenfestspiels, „Die Walküre“ fand nun im Rahmen eines Sinfoniekonzerts in konzertanter Form und einigen Strichen in einer knapp dreistündigen Doppelvorstellung im großen Haus statt.

Das mit vier Flöten, vier Oboen, drei Klarinetten, einer Bassklarinette, drei Fagotten, vier Hörnern, vier Wagnertuben, einem Stierhorn, vier Trompeten, vier Posaunen, drei Harfen und reichlich Schlagwerk und Streichern groß besetzte Staatsorchester Braunschweig nahm den gesamten Bühnenraum ein. Entsprechend präsent und satt war der Klang. Deutlich vor dem Orchester waren die SolistInnen positioniert, also im Rücken des Dirigenten, den sie lediglich über Monitore sehen konnten. Das spürte man eine Weile durch eine gewisse unterschwellige Unsicherheit bei den SängerInnen, die aber diesen kleinen organisatorischen Nachteil schnell vergessen ließen.

Das Dirigat des Generalmusikdirektors Srba Dinić war klar geführt, die Wucht des Instruments gezähmt und die leisen Passagen deutlich herausgearbeitet. Die Tempi gerieten meist moderat, die Spannungsbögen eher zart-verhalten und ein wenig auf Sicherheit bedacht. Dadurch klang das Orchester allerdings erfreulich fehlerarm und gefällig, die Sängerinnen und Sänger niemals überdeckend.

Es waren die Stunden des Gesangs, die dann kamen und den Abend zu Sternstunden gerieten ließen.

Sieglinde: Martina Welschenbach, Siegmund: Thomas Mohr, Fricka: Anna Schuldt; Foto Patrik Klein

Aus dem ersten Aufzug hörte man das Vorspiel und die dritte Szene. Siegmund und Sieglinde, das Zwillingsgeschwisterpaar gelangte zur verbotenen und folgenschweren Liebe mit blühendem Wälsungen Blut. Der ehemalige Bariton Thomas Mohr, der als Heldentenor seit vielen Jahren erfolgreich international unterwegs ist, diese Rolle bereits häufig verkörperte, gab eine Lehrstunde der Gesangstechnik vom Allerfeinsten. „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ oder „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ erklangen mit heldisch metallenem und formvollendetem Ausdruck in allen Registern. Bei seinem lange ausgesungen Ruf „Wälse! Wälse! Wo ist dein Schwert?“ überwältigte der strahlende Klang bis in höchste Höhen, die scheinbar mühelos aus seiner Kehle strömten.

Ebenbürtig stand ihm mit Martina Welschenbach, Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, eine Sopranistin als Sieglinde zu Seite, die ihr lyrisches Fundament mit dramatischen Phrasen berührend verband.

Der zweite Aufzug kam fast ohne Striche aus, denn es fehlte lediglich der Beginn der ersten und die dritte Szene. Die Stunde des Göttergattendramas nahm ihren folgenschweren Lauf. Die Mezzosopranistin Anna Schuldt, ehemaliges Ensemblemitglied am Staatstheater Braunschweig, wies ihren Wundergatten Wotan mit „So ist es denn aus mit den ewigen Göttern…“ mit keifendem Zorn in die Schranken und verlangte von ihm das Schrecklichste, von seinem Sohn Siegmund zu lassen. Ihre dunkel bis schwarz timbrierte Mittellage und ihre präzise, pointierte Ausdruckskraft ließ jeden Ehemann im Raume vor Respekt erzittern. Wotan konnte einem bereits jetzt leidtun.

In den folgenden Szenen des zweiten und dritten Aufzuges, der nach dem Walkürenritt die dritte und vierte Szene aneinanderreihte, kam die große Stunde des Göttervaters mit seiner Lieblingswalküre Brünnhilde.

Stéphanie Müther, halbfranzösische Mezzosopranistin aus der Schweiz, international auf europäischen Bühnen erfolgreich unterwegs und mir bekannt u.a. als Waltraute in Bayreuths aktuellem Ring des Nibelungen in der Regie von Valentin Schwarz,  trumpfte mit hochdramatischer, vollkonzentrierter und artikulationssicherer Stimme auf.  Als sie von der Befehlsempfängerin zur Befehlsverweigerin mit „O sag, künde, was soll nun dein Kind?“ und „War es so schmählich, was ich verbrach?“ mutierte, durfte man mitfühlend und mitleidend, eine Gänsehaut die nächste vertreibend, in ihrem phänomenalen Gesangsstrom baden.

Wotan: Aris Argiris, Brünnhilde: Stéphanie Müther; Foto Patrik Klein

Der Gott, Göttervater und verzweifelte Lenker, Ehemann und Hin- und Hergetriebene  zwischen Liebe und Macht ist die wohl tragischste Figur der Opernliteratur. Und Wagner komponierte dazu eine der dramatischsten und schwierigsten Rollen für diesen Wotan, der so kläglich dann scheitern muss. Der griechische Bass-Bariton Aris Argiris war die ideale Verkörperung dieses zerrissenen Typen. Seit einigen Jahren verfolge ich nun schon seine Stimme und seine Entwicklung sowohl im italienischen als auch im deutschen Fach. Den ungekürzten Wotan erlebte ich bei seinem Debut an der Oper in Chemnitz und durfte schon damals in überschwänglichen Worten von diesem Ereignis berichten. Seine für diese Rolle an sich schon ideale Stimme hat sich noch weiter entwickelt und gesteigert. Sie ist fokussierter, noch dynamischer und noch schwärzer geworden. Als er am Schluss der zweiten Szene des zweiten Aufzugs mit Brünnhilde „Auf geb ich mein Werk; nur eines will ich noch: das Ende, das Ende!“ in den Raum warf, so konnte einem schon der Atem stocken mit welcher Urgewalt und sofort anschließender Zartheit bei der leisen Wiederholung hier Töne scheinbar mühelos gestaltet wurden. Auch das Finale, wobei er Brünnhilde in ewigen Schlaf versetzte, bis ein furchtloser Held sie wieder erweckt, geriet zu einem Ereignis. „Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind!“ und „Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie!“ ließen das Publikum im gut gefüllten Großen Haus in Braunschweig in wahre Euphorie verfallen.

Patrik Klein, 22. März 2023, für
klassik-begeistert und klassik-begeistert.at

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