Giuseppe Verdi, "Die Räuber": Hass und Eifersucht zerstören die Wiener Volksopernbühne

Giuseppe Verdi, Die Räuber,  Volksoper Wien

Foto: B. Pálffy (c)
Giuseppe Verdi, Die Räuber
Volksoper Wien,
14. Oktober 2017
Jac van Steen
– Dirigent
Alexander Schulin – Regie
Bettina Meyer – Bühnenbild
Bettina Walter – Kostüme
Holger Kristen – Choreinstudierung
Kurt Rydl
– Maximilian
Vincent Schirrmacher – Karl
Boaz Daniel – Franz
Sofia Soloviy – Amalia
David Sitka – Hermann
Christian Drescher – Roller

von Mirjana Plath

Katastrophale Familienverhältnisse beherrschen die Volksoper Wien. Am Samstagabend feierte Giuseppe Verdis Oper „I masnadieri“ in deutscher Übersetzung ihre Premiere. Die Oper in vier Akten beruht auf Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“ und hatte 1847 in London ihre Uraufführung. Sie gehört damit zu Verdis frühen Werken.

Die Handlung zeigt zerrüttete Beziehungen zwischen den Figuren: Maximilian, der Graf von Moor, hat als Vater seiner beiden Söhne versagt. Der erstgeborene Karl rutscht als Räuber in die Kriminalität ab und der zweite Sohn Franz will intrigant die Macht an sich reißen. Er zerstört die Möglichkeit auf Versöhnung zwischen Maximilian und Karl. Als einzige Frauenrolle in der Oper tritt Amalia auf. Sie liebt Karl, doch wird auch von Franz begehrt. Die Katastrophe am Ende ist unausweichlich. Karl ist so tief in die Verbrechen der Räuber verstrickt, dass er sich auch für Amalia nicht von ihnen lossagen kann. Sie lässt sich von ihm erstechen – und hofft auf ein glücklicheres Wiedersehen in einer anderen Welt. Karl selbst sieht sein Lebensende auf dem Schafott, er wird seiner Geliebten bald in den Tod nachfolgen.

Diese fatale Handlung verpackt Verdi in eine mitreißende Oper. Die düsteren Töne haben ihren Platz, doch leuchten in dem Werk auch die beschwingten Melodien auf, für die Verdi so berühmt ist. Jac van Steen dirigiert die Musik an der Volksoper sehr energetisch. Er lässt sich von der Komposition mitreißen und feuert die Musiker zu einer bombastischen Spielweise an. Laut und reißerisch vom ersten Augenblick an interpretiert van Steen das Werk auf eine kraftvolle Weise. Gestochen scharf rufen die Blechbläser im Vorspiel ihre Töne in den lautstarken Streicherteppich hinein. Die Musiker spielen fokussiert und verschmelzen zu einer Masse. Hoffentlich weicht diese Konzentration des Orchesters in den Folgevorstellungen keiner routinierten Werkmüdigkeit, wie sie bei häufig gespielten Repertoirewerken leider oft zu bemerken ist. Liebes Orchester der Volksoper Wien, bitte erhaltet diesen freudigen Elan beim Musizieren aufrecht!

Verdi bedachte das Cello im Orchestervorspiel mit einer traumhaft schönen Solorolle. Diese Sonderstellung des Cellos nutzt Regisseur Alexander Schulin für seine Inszenierung aus. Er bietet dem Publikum bereits während der Einleitung eine Bühnenhandlung und richtet den Fokus auch bildlich auf die kantable Streicherstimme. Der Vorhang hebt sich – und auf der Bühne sitzt ein Cellist, der die Solostellen von dort aus interpretiert. Roland Lindenthal tritt mit seinem Cello in einen angeregten Dialog mit dem Orchester im Graben unter sich. Drei blutrot gekleidete Kinder umkreisen ihn dabei wie scheue Geistergestalten. Nach dem Orchestervorspiel verschwindet Lindenthal wieder von der Bühne. Diese Eröffnung ist ein Augenschmaus, der das Publikum von Beginn an in eine fremde Welt entführt. Die tiefere Bedeutung dieser Anfangssequenz gestaltet sich jedoch als Rätsel für die Zuschauer. Ihr dramaturgischer Sinn bleibt fragwürdig.

Die Volksoper zeigt Verdis „Räuber“ in einer deutschen Fassung von Hans Hartleb. Derartige Übersetzungen von italienischen Opern ins Deutsche machen skeptisch. Eine fremde Sprache setzt mit ihren eigenen Satzkonstruktionen andere Schwerpunkte im Textduktus. Dadurch betonen Melodieverläufe oft unterschiedliche Wörter und verfehlen die Intentionen der Werkschöpfer. Erstaunlicherweise macht sich die deutsche „Räuber“-Fassung an der Volksoper aber nicht so schlecht wie erwartet. Die Textverständlichkeit erleichtert es, der Handlung zu folgen.

Zudem artikulieren die Sänger ihre Partien sehr deutlich, allen voran der Tenor Vincent Schirrmacher als Karl. Mit seiner kraftvollen Stimme überzeugt er als tragischer Held. Nur an wenigen Stellen scheint ihm die Aussprache des Textes wichtiger zu sein als die Verbindung der einzelnen Töne zu einem fließenden Melodieverlauf.

Der Bariton Boaz Daniel verkörpert den jüngeren Bruder Franz. Er trägt seine Nummern brav vor, doch tut er sich dabei nicht weiter hervor.

Die Rolle der Amalia übernimmt die ukrainische Sopranistin Sofia Soloviy. Sie gibt mit dieser Inszenierung ein gelungenes Debut an der Volksoper. Ihre warme Stimme hat ein großes Volumen, mit dem sie ihre Partie gut ausfüllt.

Als Maximilian gibt sich der Bass Kurt Rydl die Ehre. Er besitzt eine enorme Bühnenpräsenz. Wunderbar verbittert zeigt er sich als gescheiterter Vater, der gegen die Machenschaften seines Sohnes machtlos ist.

Das Bühnenbild von Bettina Meyer ist ein Lichtblick für die Wiener Opernszene. Endlich eine Inszenierung ohne Rüschen und Kitsch! Meyer schafft eine reduzierte Schlichtheit, die dennoch nie leer wirkt. Sie ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass die österreichische Hauptstadt mehr als Tradition und Verstaubtheit zu bieten hat. Das Hauptelement der Bühnengestaltung macht ein riesiger, dunkler Kasten aus. Wie ein Schaukasten ist er an einer Seite offen und dient den Figuren als zweite Bühnenebene. Durch Türen an den Seiten- und Rückwänden gelangen die Sänger unvermittelt ins Sichtfeld der Zuschauer und können ebenso schnell wieder daraus verschwinden. Setzt sich die große Drehscheibe im Bühnenboden in Bewegung, wendet sie den Kasten auf die geschlossene Rückansicht. So tritt das markante Bühnenelement in den Hintergrund und lässt die Figurenhandlungen stärker in den Vordergrund treten.

Als Sinnbild für die Katastrophe dient der Kasten am Ende der Handlung. Die Räuber zerschlagen ihn im letzten Akt vollständig. Sie reißen die Seitenwände heraus, werfen Holzlatten übereinander und lassen nur ein zerstörtes Gerippe der Konstruktion zurück. So endet die Oper in totaler Verwüstung. Ein erschütternder Schlusspunkt für diese Inszenierung.

Regie und Bühnenbild gehen bei der „Räuber“-Version an der Volksoper Hand in Hand. Zusammen mit der mitreißenden Interpretation der Musik durch Jac van Steen ist diese Inszenierung eine tolle Produktion, die sicher auch viele Opernneulinge begeistern kann. Diese zweieinhalb Stunden Musik in der Volksoper Wien lohnen sich. Bitte mehr davon!

Mirjana Plath, 15. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.at

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