Musikverein Wien: Leif Ove Andsnes brilliert mit Wiener Symphonikern

Wiener Symphoniker, Jakub Hrůša, Leif Ove Andsnes,  Musikverein Wien

Foto: Musikverein Wien / Müller (c)
Musikverein Wien, Goldener Saal, 
22. März 2018
Wiener Symphoniker
Jakub Hrůša, Dirigent
Leif Ove Andsnes, Klavier

Felix Mendelssohn-Bartholdy, Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“, op. 27
Benjamin Britten, Konzert für Klavier und Orchester D-Dur, op. 13
Johannes Brahms,
Symphonie Nr. 4 e-Moll, op. 98

von Julian Dworak

Ein Blick in die weite Ferne. Vieles erlebt und schon wieder vergangen. Das Ende einer langen Reise bezeichnet aber auch immer den Anfang von etwas Neuem. Sehr feinfühlig eröffneten die Wiener Symphoniker unter der Leitung des tschechischen Dirigenten Jakub Hrůša mit Mendelssohns Konzertouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“, die Vertonung zweier Gedichte über die See und das Ende einer Schiffsfahrt.

Diese Ouvertüre beruht unter anderem auf den Zeilen Johann Wolfgang von Goethes:

Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher. (aus „Meeresstille“)

Diese Worte vermochte Felix Mendelssohn-Bartholdy in unnachahmlicher Weise in Noten umzuformen. Die dezenten Akkorde der Streichergruppe, gepaart mit einem subtil bedrohlichen Bass, zogen die Besucher des Goldenen Saals im Wiener Musikverein in ihren Bann.

Doch ein kleiner Wermutstropfen muss leider angemerkt werden. Eine solch leise Einleitung erfordert tiefe Stille. Denn, um nochmals auf Goethes Gedicht zu kommen:

Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich! (aus „Meeresstille“)

…Und Husten des Publikums ist Luft – und von verschiedenen Seiten kam sie leider auch.

Das ewige Problem mit der hustenden Zuhörerschaft bei klassischen Konzerten, es scheint unlösbar. Wenn man gerade nicht den Reiz verspürt zu husten, ist es leicht sich über andere vom Husten befallenen Konzertgänger zu ärgern. Doch wie entscheiden, wenn man selbst betroffen ist? Zurückhaltend leiden und auf ein Stückchen Konzertgenuss verzichten oder den richtigen Moment abwarten und den Unmut der Sitznachbarn riskieren? Ein Vorschlag wäre: Hustenzuckerl vor Konzertbeginn verteilen!

Es waren keine übertriebenen Hustenanfälle, jedoch die Spannungsbögen dieser stimmungsvollen Musik wurden vor allem anfangs immer wieder gestört.

Der zweite Teil von Mendelssohn-Ouvertüre bezieht sich nun auf Goethes Gedicht „Glückliche Fahrt“. Es hellte auf. Die Vorfreude auf die Ankunft war spürbar, die Musik begann sich zu bewegen. Doch dann die Melancholie des Anfangs, ehe die Musik verebbte.

Dass Hrůša nicht nur im Stande war, Kapitän einer musikalischen Schiffsreise zu sein, bewies er anschließend gemeinsam mit dem Pianisten Leif Ove Andsnes. Der norwegische Pianist hatte eine technisch äußerst anspruchsvolle Aufgabe an diesem Abend: Benjamin Brittens einziges Klavierkonzert. Selten gespielt, zu Unrecht!

Ein rhythmisch holpriger Start war verzeihbar, denn Brittens Konzert begann mit virtuosen Oktavenpassagen, welche alle Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die Abstimmung zwischen Klavierpart und Orchester synchronisierte sich aber im Laufe des ersten Satzes.

Der aus Großbritannien stammende Britten vollendete sein viersätziges Klavierkonzert im Jahre 1938. Durchwegs virtuos veranschaulicht Britten die Möglichkeiten des Klaviers in Bezug auf Tonumfang und variantenreiche Spieltechniken. Die Gefahr einer halbstündigen pianistischen Selbstprofilierung war aber schnell aus dem Weg geräumt, Kreativität und Leichtigkeit regten immer wieder zum erneuten Hinhören an.

Die vorantreibende Rhythmik des ersten Satzes meisterte Andsnes beinahe spielerisch. Mit dem zweiten Satz war er ebenso in seinem Element. Auch aus spitzem Winkel sah man, wie er mit seinen Händen nur so über der Klaviatur schwebte. Das Werk schien Andsnes wie auf den Leib geschneidert.

Unromantisch, ein wenig oberflächlich, aber mit Geist, Witz und Hirn, so könnte man Brittens Klavierkonzert beschreiben. Denn die Periode der tiefen emotionalen Befangenheit, die Zeit der Romantik, war zu Brittens Lebzeiten bereits vorüber. An dessen Stelle trat das Instrumentale, die Freude an der Musik und am Handwerk des Komponierens.

Im dritten Satz übernahm nun auch das Orchester eine wichtigere Rolle – es präsentierte das Hauptthema, bestehend aus kleinen und übermäßigen Sekunden.

Stammten die hörbaren Einflüsse zuerst von Komponisten wie Sergei Prokofieff oder Dimitri Kabalevsky, durfte man nun Anklänge von Sergei Rachmaninow hören.

Der finale Satz fasste die musikalischen Grundgedanken des Werkes nochmals zusammen, das Ganze als Marsch verpackt. Mit dem Schlussakkord gewann Andsnes einen kräftigen Applaus für sich. Perfekte Beherrschung des Instruments gepaart mit einer nüchternen Bescheidenheit, Andsnes hatte die Sympathie auf seiner Seite, dies war unbestritten, aber auch verdient.

So begeistert viele Konzertgänger auch von Andsnes waren, das Klavierkonzert konnte nicht jeden überzeugen. Da sagte eine ältere Dame ein wenig erleichtert zu ihrer Begleitung: „So, jetzt haben wir uns aber den Brahms verdient.“

Die 4. Sinfonie von Brahms war wohl ein wenig zugänglicher, durch ihre romantischen Eigenschaften sowie ihr prägnantes Eingangsthema. Jenes Thema ist relativ simpel, es besteht aus absteigenden Terzen, jeweils gefolgt von steigenden Sexten. Bei der Interpretation sind ein passendes Tempo und ein gut gewähltes Maß an Dramatik ausschlaggebend, doch das Orchester spielte im ersten Satz häufig einen Tick zu treibend, zu intensiv.

Den zweiten Satz leitete ein ebenfalls einprägsames Motiv ein. Ein Pendel mit einem Ausgangston, es schwingt nach oben, dann nach unten und endet wieder beim Ausgangston, als ob sich jemanden nicht vom Fleck bewegen möchte und immer wieder an seinen alten Platz zurückstrebt.

Mit dem dritten Satz, einem Scherzo, bäumte sich die Musik auf und wurde turbulent. Hrůša trieb die Musiker zu mehr Enthusiasmus, zu starker Dynamik, es wurde dicht und lebendig.

Mit dem Finale rief der tschechische Dirigent zu Höchstleistungen auf. Sein Dirigat war nun das Gegenteil von dem, wie es zu den anfänglichen Klängen Mendelssohns war. Gegen Ende gab es keinen Halt mehr. Hrůša war mit vollem Körpereinsatz in der Musik, trotzdem schaffte er es ein gewisses Maß an Form zu behalten, wie ein Schauspieler, der es versteht Emotionen nachzuleben, aber sich nicht darin verliert. Die stürmische Musik fand ein schroffes Ende ohne einen Hauch abschließender Versöhnlichkeit.

Eine grundsolide Darbietung von Brahms letzter Sinfonie. Ein Abend mit einer wundervollen Ouvertüre und einem eindrucksvollen Britten endete. Angemessener Applaus war die logische Folge.

Julian Dworak, 24. März 2018, für
klassik-begeistert.de

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