„Persönlich ist es mir noch nie passiert, dass mich eine Vorgabe eines Regisseurs daran gehindert hätte eine Top-Performance abzuliefern. Entscheidend ist glaube ich, dass ein Stück nicht seine Poesie verlieren darf. Solange die erhalten bleibt, kann man als Regisseur nichts grundsätzlich falsch machen.“
Die Rolle des Ochs auf Lerchenau („Der Rosenkavalier“) wurde in den vergangenen Saisonen für Wolfgang Bankl gleichsam zu einem zweiten Ich, denn er sang die Partie nicht nur in Wien, sondern auch in Straßburg, Dresden, Graz und Kopenhagen. Kammersänger Wolfgang Bankl ist einer der weltweit – von Wien, Zürich, München und der Mailänder Scala bis Tokyo und Paris, von Peking bis Tel Aviv – gefeierten Bassbaritone im Richard-Strauss-Repertoire und im Wagner-Fach. Er arbeitet mit den namhaftesten Dirigenten der großen Opernhäuser.
Interview: Charles E. Ritterband
Wolfgang Bankl ist einer der führenden Bassbaritone im Richard-Strauss und Richard Wagner Fach. 1993 trat er dem Ensemble der Wiener Staatsoper bei, wo er auch die Partien des Graf Waldner (»Arabella«), Rocco (»Fidelio«), Mathieu (»Andrea Chénier«) und Baron Ochs auf Lerchenau (»Der Rosenkavalier«) gesungen hat. Die letztgenannte Rolle wurde in den vergangenen Saisonen für Wolfgang Bankl fast zu einem zweiten Ich, denn er sang die Partie nicht nur in Wien, sondern auch in einer Neueinstudierung an der Opéra national du Rhin in Straßburg, an der Semperoper Dresden unter der Leitung von Christian Thielemann, an der Oper Graz und an der Royal Danish Opera in Kopenhagen. In der Spielzeit 2019/20 sang er die Partie des Duke in der Uraufführung von »Orlando« (Olga Neuwirth) an der Wiener Staatsoper. Zu seinem Repertoire zählen Rollen wie Boris Ismailow (»Lady Macbeth von Mzensk«), Doktor Bartolo (»Il barbiere di Siviglia«), Daland (»Der fliegende Holländer«) und Gurnemanz (»Parsifal«). Wolfgang Bankl stammt aus Wien und absolvierte ursprünglich eine Ausbildung zum Geiger. Danach studierte er Gesang, Oper sowie Lied und Oratorium am Konservatorium der Stadt Wien. Er ist zusammen mit dem Dirigenten Norbert Pfafflmeyer eines der Gründungsmitglieder des fahrenden Kammermusikfestivals Giro d’arte. Er arbeitet regelmäßig mit Dirigenten wie Bertrand de Billy, Zubin Mehta, Philippe Jordan, Simone Young, Ingo Metzmacher und Marco Armiliato zusammen. Seit 2007 ist er Dozent bei der internationalen Sommerakademie Allegro Vivo. Wolfgang Bankl ist seit 2014 Österreichischer Kammersänger.
klassik-begeistert.de: Wie und wo trifft Dich der Corona-Lockdown? Kann überhaupt schon geplant werden – Proben, Premieren? Welche Vorstellungen und Festivals, an denen Du beteiligt wärest, wurden annulliert?
Wolfgang Bankl: In der Wiener Staatsoper, meinem Stammhaus, stehen die Räder seit Mitte März still. Leider fallen hier für mich drei Vorstellungsserien aus, denen ich mit großer Freude entgegengeblickt habe: Rosenkavalier, Arabella und Cardillac. Daneben hatte ich zwei Serien von Liederabenden geplant. Alle mussten abgesagt werden. Besonders leid tut es mir, dass dadurch die Jedermannmonologe von Frank Martin jetzt nicht zur Aufführung gelangen – ein Werk, das viel zu selten gegeben wird. Lediglich für ein Konzert, das mir besonders am Herzen liegt, gibt es schon einen Ersatztermin in der nächsten Saison: Eine Hommage an Friedrich Gulda, wo ich die Ehre haben werde sowohl seine Lieder als Sänger zu interpretieren als auch in seinen Orchesterwerken den E-Bass zupfen zu dürfen.
Ist die Bilanz dieses Ausnahmezustands für Dich nur negativ – beruflich (Engagements, abgesagte Vorstellungen), privat (Dein großes Hobby ist ja das Radfahren über beeindruckend lange Strecken) – oder vielleicht auch ein wenig positiv (Du kommst zu Dingen, die Du bisher aus Zeitmangel beiseite geschoben hast und kommunizierst mehr mit Freunden und Kollegen)? In Großbritannien wollen nur 9 Prozent , dass das Leben zum status quo ante zurückkehrt! Dort werden in der Bevölkerung durchaus positive Aspekte festgestellt: Bessere Luftqualität, mehr Wildtiere sichtbar, verstärkte Gemeinschaften. 54 Prozent hoffen auf Lehren und Veränderungen als Konsequenz der Krise…
Ob die Bilanz auch positive Seiten hat, die nicht von den negativen überschattet werden, wird sich erst danach zeigen. Bislang kann ich nur von im Moment positiven Nebeneffekten berichten. Vieles, was in den letzten Jahren liegen geblieben ist, wird aufgearbeitet und die Erkenntnis, dass das Leben als Gärtner und Hauslehrer auch seine Reize hat, gehören etwa dazu. Für die Zeit danach erwarte ich, dass eine deutliche Reduktion des hektischen Reisens bleiben wird.
Welches Opernhaus empfindest Du als berufliche Heimat – die Wiener Staatsoper, die Dich ja 1993 als Ensemblemitglied aufgenommen und 20 Jahre danach zum Österreichischen Kammersänger geschlagen hat?
Ja natürlich. Die Wiener Staatsoper und ich sind uns in Treue und Fürsorge verbunden.
Ich habe Dich unter anderem als Ochs im Rosenkavalier an der Königlichen Oper (Operaen) in Kopenhagen erlebt – ein faszinierender, wenngleich umstrittener Bau, gewissermaßen das architektonische Gegenstück zur Wiener Staatsoper. An welchen Häusern hast Du sonst noch gesungen und welche sind Dir in besonderer Erinnerung geblieben?
Soviel mir bekannt ist, war das neue Königliche Opernhaus lediglich in seiner Planungsphase umstritten. Seitdem es steht und bespielt wird, ist mir nichts dergleichen bekannt. Es war jedenfalls für mich immer eine große Freude dort wirken zu dürfen. Ein Opernhaus mit einem Arbeitsklima, das man als vorbildlich beschreiben muss. Besonders gut sind mir die Opernhäuser von Kiel, wo ich meine Anfängerjahre verbrachte, sowie die Opera national du Rhin in Strasbourg in Erinnerung. Von den Festivals möchte ich drei nennen: Reinsberg, Aix und die Bregenzer Festspiele. Gesungen habe ich im Laufe der Jahre unter anderem an der Scala di Milano, in Zürich, München, Berlin, Dresden, Leipzig, Köln, Paris, Barcelona, Tel Aviv, Peking, Tokyo, Tallinn, Budapest …
Der Bass ist öfters – als Kontrast zum verliebten Tenor – der Bösewicht. Oder der komische Typ wie im Rosenkavalier, im Don Giovanni, Barbier und Don Pasquale. Was liegt Dir mehr: der Bösewicht oder der Spaßmacher? Und welches waren Deine Lieblingsrollen?
Diese Klassifizierung trifft nicht signifikant zu (zum Beispiel Herodes – Jochanaan, Orest – Aegist, Tannhäuser – Wolfram). Die Korrelation Charakter – Stimmfach ist nur bis Mitte des 18. Jahrhunderts an Regeln gebunden und obliegt danach meistens „nur“ dem Geschmack des Schöpfers oder dem Diktat des Zeitgeistes. Allerdings – und da hast Du recht – gibt es sehr viel mehr bekannte Bassbuffo- als Tenorbuffo-Rollen.
Aber zurück zu Deiner Frage, die ich gar nicht so leicht beantworten kann. Entgegen der landläufigen Meinung sind extreme Charaktere, also richtige Outlaws, im Ansatz sehr viel leichter zu interpretieren, als „stinknormale“. Wenn man zum Beispiel einen „Athlet“ in „Lulu“, einen „Boris“ in „Lady Macbeth von Mzensk“ oder einen „Klingsor“ zu singen imstande ist, kann man zwar noch sehr viel an der meisterlichen Interpretation arbeiten, aber wie die Figur auf die Bretter zu stellen wäre, ist fast selbsterklärend. Das ist bei komischen Rollen, Charakteren, die lustig über die Rampe kommen sollen, anders. Hier sind zusätzliche Überlegungen notwendig, die die komische, lustige Wirkung gewährleisten. Das wird besonders herausfordernd, wenn „lustige“ Rollen auch sehr negative Seiten haben. Ich nenne hier stellvertretend den Zsupan im Zigeunerbaron – ein Mann mit einer mehr als problematischen Vita, der stückgerecht trotzdem als Pointenschleuderer und Sympathieträger dastehen soll. Hier bedarf es der handwerklich kompetenten Führung eines Regisseurs um bei einem Rollendebutanten die Figur glaubhaft anzulegen.
Spielen tu ich beide gerne; die Lustigen, wie die Bösen, mit einer Spur mehr Sympathie für die Bösewichte, weil man da hin und wieder so richtig die „Sau rauslassen kann“. Meine Lieblingsrollen waren und sind: Leporello, Ochs auf Lerchenau, Graf Waldner, Tierbändiger/Athet, Schigolch und Doktor in Wozzeck.
Du hast mir einmal erzählt, dass der Ochs für Dich bereits vor dem Auftritt hinter der Bühne losgeht – wo Du statt dem vorgeschriebenen Gemurmel die Kollegen mit Witzen zum Lachen bringst. Ist es schon mal passiert (ich habe dies ausgerechnet im Ring des Nibelungen bei Fafner in Erl erlebt), dass ein Kollege wegen eines Lachanfalls nicht mehr singen konnte? Wenn Du eine Rolle schon x-Mal gesungen hast – sind Proben dennoch notwendig und bringen sie Dich weiter?
Das passiert zwar nicht oft, aber wenn, dann ist man unrettbar verloren. Ich erinnere mich, als ich noch im letzten Jahrtausend einmal in der Volksoper als Papageno einsprang. Dabei traf ich zum ersten Mal auf John Dickie als Tamino. Wir kannten und mochten einander schon lange, hatten beide die Inszenierung drauf und freuten uns endlich einmal gemeinsam zu singen. In der Maske trafen wir einander und sprachen, während wir verhübscht wurden, unsere Dialoge durch, wünschten uns danach Toi Toi, Toi und los gings. Meine Auftrittsarie war vorbei und unser erster Dialog begann. Alles hatten wir vorher besprochen, nur das Wichtigste nicht. Ich sollte ihm nämlich aus lauter Angst vor der Schlange von hinten wie ein Kind auf den Rücken springen und mich von ihm weiter tragen lassen. Ich nahm Anlauf und das Unglück nahm seinen Lauf. Als ich schon abgesprungen und in der Luft war, drehte sich John panisch um und das Manöver endete damit, dass wir beide bäuchlings am Bühnenrand lagen, die Nasenspitze bereits im Orchestergraben. Das Haus lachte, das Orchester brüllte und wir erstickten beinahe im Bemühen das Lachen zu vermeiden. Die Sprechszene sollte eigentlich weiter gehen indem die drei Damen auftraten. Das taten sie auch. Nur wir beide konnten nicht mehr. Jeder Versuch, ein Wort hervorzubrigen endete sofort in einer Lachsalve. So erging es uns bei jeder weiteren Begegnung bis zum Ende der Oper.
Ich probe grundsätzlich gerne und finde auch, dass man niemals so weit ist, dass sich nicht doch noch ein Detail finden ließe, das man verbessern könnte.
Du singst in den Stimmlagen Bass und Bassbariton. Ist das die übliche Bandbreite? Gehört da Bariton auch dazu? Welches ist die Rolle mit der tiefsten, welches die mit der höchsten Stimmlage, die Du gesungen hast?
Die Übergänge bei den tiefen Stimmfächern sind erstens fließend und zweitens nicht nur durch die Spitzentöne definiert. Die meisten Sänger decken mehrere Fächer ab. Oft ist es in der Besetzungspraxis nur eine Frage der Stimmfarbe und nicht des Stimmumfangs. So liegt zum Beispiel in „Le Nozze di Figaro“ der „Bartolo“ über dem „Figaro“. Trotzdem wird der „Bartolo“ meist dunkler und somit tiefer wirkend besetzt als der „Figaro“.
Ich selbst bin Bass und Bassbariton. An exklusive Baritonrollen würde ich mich nicht heranwagen. Die Rolle mit dem tiefsten aber auch höchsten Spitzenton, die ich je öffentlich gesungen habe, ist der „Baron Ochs auf Lerchenau“. Oben ein gis1 und unten ein großes C. Die beiden Rollen mit der höchsten Lage (was weit unangenehmer ist, als lediglich ein hoher Spitzenton) waren Heerrufer in Lohengrin und der Alberich im „Siegfried“.
Du bist mit Anna Netrebko aufgetreten. Schon öfters? In welcher Rolle? Und wie war das? Gibt es eine einschlägige Anekdote dazu, die Du uns erzählen möchtest?
Ich hatte zusammen mit Anna zwei Serien. Manon Lescaut, wo ich ihren Gatten Geronte de Ravoir gab, und Andrea Chénier, wo ich Mathieu sang. Es gibt eine besonders köstliche Anekdote. Leider ist sie nicht druckreif…
Was wäre Deine Traumrolle – und welches Opernhaus wäre für Dich der Olymp? Die Met? Bolschoi? Machst Du CDs oder ist das zu kostspielig?
Die meisten großen Rollen meines Faches habe ich bereits gesungen. Ich verfolge primär nicht das Ziel die Liste zu komplettieren, sondern eher interessamte Projekte und Rollen an Land zu ziehen. Am liebsten würde ich zur Zeit eine Neuproduktion als „Schigolch“ oder „Morosus“ bestreiten. Wo der Olymp ist, darüber streiten sich die Geister. Wie will man auch einen wertenden Unterschied zwischen Rosenkavalier unter Thielemann in Dresden, Rocco unter Adam Fischer in Wien oder Sachs in Bayreuth begründen?
Ich habe bei unzähligen CDs mitgewirkt. Selbst finanziert habe ich nur zwei. Und zwei Mal Winterreise. War einfach interessant, es 20 Jahre danach noch einmal zu machen und danach die Unterschiede zu erkennen. Aber wie du richtig vermutest: Man muss froh sein, wenn man nicht zu viel draufzahlt.
Wie gehst Du um mit dem Regietheater – mit Regisseuren, die sich selbst statt das Stück inszenieren? Kannst Du über allzu originelle und bisweilen verfehlte Regie-Konzepte hinwegsehen und Dich auf Deine Rolle konzentrieren oder lenken ausgefallene Ideen des Regisseurs bisweilen so sehr von Deiner Rolle ab, dass Du nicht die Top-Performance hinlegen kannst, auf die Du eigentlich abzielst? Wie hältst Du es mit neueren (beispielsweise Benjamin Britten) oder gar zeitgenössischen Komponisten?
Ich liebe die zeitgenössische Oper und reiße mich um jede Uraufführung. Es ist schon etwas ganz besonderes, ein neues Stück aus der Taufe zu heben. Das gilt für mich nicht nur für die Oper, sondern auch für mein Wirken als Konzert- und Lied-Sänger. Auch da schaue ich immer darauf, dass möglichst oft eine Uraufführung dabei ist, wenn es die Umstände erlauben.
Was deine, in eine Frage verpackte, Kritik am Regietheater betrifft: Es ist ein großer Unterschied, ob man eine Produktion zum ersten Mal sieht, oder ob man mitgewirkt hat. Als Mitwirkender ist man sehr viel mehr mit dem Zugang des Regisseurs zum Stoff vertraut und hatte in der Regel sechs Wochen davor Zeit, sich damit erstens auseinanderzusetzen und zweitens „Korrekturen“ einzubringen. Persönlich ist es mir noch nie passiert, dass mich eine Vorgabe eines Regisseurs daran gehindert hätte eine Top-Performance abzuliefern. Entscheidend ist glaube ich, dass ein Stück nicht seine Poesie verlieren darf. Solange die erhalten bleibt, kann man als Regisseur nichts grundsätzlich falsch machen.
Lieber Wolfgang, ich danke Dir herzlich für das Interview.
Interview: Dr. Charles E. Ritterband, 19. April 2020, für
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Der Publizist und Journalist Dr. Charles E. Ritterband, 67, geboren in Zürich / Schweiz, ist Verfasser mehrerer Bestseller („Dem Österreichischen auf der Spur, „Österreich – Stillstand im Dreivierteltakt“ sowie „Grant und Grandezza“) und hat als Auslandskorrespondent 37 Jahre aus London, Washington, Buenos Aires, Jerusalem und Wien für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet. Er studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Staatswissenschaften an den Universitäten Zürich und Harvard sowie am Institut d’études politiques de Paris und an der Hochschule St. Gallen. Seit Kindesbeinen schlägt Charles’ Herz für die Oper, für klassische Konzerte und für das Theater. Schon als Siebenjähriger nahm ihn seine Wiener Oma mit in die Johann-Strauß-Operette „Eine Nacht in Venedig“. Die Melodien hat er monatelang nachgesungen und das Stück in einem kleinen improvisierten Theater in Omas Esszimmer nachgespielt. Charles lebt im 4. Bezirk in Wien, auf der Isle of Wight und in Bellinzona, Tessin. Er schreibt seit 2017 für klassik-begeistert.de.
10 Fragen an die Sopranistin Eleonore Marguerre klassik-begeistert.de