Salzburger Festspiele: Nur die Programmgestaltung steht einer fulminanten „Pathétique“ im Wege

Wiener Philharmoniker, Tschaikowsky – Liszt – Boito, Riccardo Muti, Salzburg, 14. August 2022

Foto: Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen © SF / Marco Borrelli

Großes Festspielhaus, Salzburg, 14. August 2022

Riccardo Muti, Dirigent
Wiener Philharmoniker
Ildar Abdrazakov,
Bass

von Jürgen Pathy

Zum Glück spreche ich kaum Italienisch. Sonst hätte ich verstanden, was Riccardo Muti so aufgeregt hat. Launisch hat er geklungen. Kurz nach dem Konzert, als sich der Italiener vor der Einfahrt des Großen Festspielhauses hat blicken lassen. „Irgendwas wegen seiner Frau“, hat eine Dame im süddeutschen Dialekt angemerkt. „Ein richtiger Italiener eben – feurig und aufbrausend!“ Vermutlich waren es die Autogrammjäger, die Riccardo Mutis Ehefrau den Weg versperrt haben, weshalb der gebürtige Neapolitaner so in Rage geraten war. Viele davon sind es gewesen an diesem sonnigen Sonntag. Immerhin ist Muti in Salzburg ein Garant für ausverkaufte Häuser. Seit 1971 tritt er hier auf. Regelmäßig.

Was die Dame dann vom Konzert gehalten hat, konnte ich leider nicht mehr eruieren. Genauso rasch wie Muti, war sie im Trubel des Salzburger Festpielgeländes verschwunden. Sie zu Fuß. Der Maestro und seine Gattin im dunkelblauen Audi-Kombi mit niederösterreichischem Kennzeichen. Oder war es doch ein schwarzer Audi – egal. Fest steht, dass die Programmgestaltung nicht ganz schlüssig verlaufen ist. Da hätte Muti durchaus ein glücklicheres Händchen beweisen können.

Unglückliche Reihung des Programms

Schade, dass sich dieser beeindruckende Nachmittag nur dadurch getrübt hat, weil Muti nach ereignisreichen 50 Minuten Tschaikowsky-Drama, noch etwas hinten dran hängen musste. Eine Art Anhängsel, nicht viel mehr: Franz Liszts sinfonische Dichtung „Von der Wiege bis zum Grabe“. Ein ziemlich belangloses Werk, ohne jegliche Art von eigener Tonsprache. Irgendetwas Nichtssagendes zwischen Wagner und Moderne. Es wird schon seinen Grund haben, dass bislang kaum jemand von diesem Werk gehört hat – nicht einmal einige Musiker selbst.

Auch Arrigo Boitos „Prolog im Himmel“ aus der Oper „Mefistofele“, ein erstaunlicher Auszug eigentlich, schien da irgendwie fehl am Platz. Obwohl Ildar Abdrazakov mit viriler Stimme des Teufels Wette mit Gott eindrucksvoll zur Schau gestellt hatte. Alleinstehend oder zu Beginn der Matinee, da hätte das vielleicht gepasst. Nach Tschaikowskys „Pathétique“, fast schon eine Totenmesse, die ehrfürchtig in h-Moll endet und auch so im Salzburger Festspielbezirk verhallen sollte, leider nicht.

Ein erhellendes Feuerwerk

Tschaikowskys Sechste hatte es dafür in sich. Die gestaltete Muti in einer Art bombastischem Feuerwerk. Zugespitzt auf den vierten und letzten Satz, einem Adagio, das laut Tschaikowsky eigentlich in völliger Düsternis und Trübseligkeit enden dürfte. Bei Muti und den Wiener Philharmonikern klang das anders. Da war kaum etwas zu spüren von der Trostlosigkeit, die Tschaikowsky ganz nach klassischer Sonatenhauptsatzform modelliert hat: Exposition, Reprise und kleine Coda hinten dran. Zwar ohne Durchführung, dafür aber mit zwei Themen, wovon das zweite dann in der Reprise ganz klassisch wie zu Mozarts Zeiten in Moll endet. Um die Verzweiflung Tschaikowskys zu betonen.

Der hatte aufgrund seiner Homosexualität in Russland nie wirklich zur Ruhe gefunden. Bei Muti und den Wiener Philharmonikern wirkte das Ende fast schon wie eine Erlösung – immer noch trüb, aber der Weg dahin auf hellen Farben gebettet. Wie eine Art von Katharsis, um dieses hochgestochene Wort zu bemühen, das Künstler und Kritiker gerne aus dem Köcher ziehen, wenn sie von der reinigenden Wirkung der Musik sprechen.

Den zweiten und den dritten Satz, eigentlich die Stellen, die Freude suggerieren sollten – zumindest oberflächliche, wie im dritten –, die verschwammen fast schon beiläufig. Ähnlich wie der erste Satz. Da hatte Muti allerdings das ganze Gewicht, das die Wiener Philharmoniker vor allem aus der grandiosen Streichersektion heben können, auf das kurze Lamento gelegt. Das Klagelied, das stark nach Mahler klingt –oder umgekehrt. Mahler soll Tschaikowsky ja extrem verehrt haben. Dass da selbst Rainer Honeck, Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, ins Schwitzen geriet, kein Wunder. So viel Spannung, die muss erstmal ein anderes Orchester da herausholen.

Ein philharmonischer Kraftakt

Überhaupt scheint Tschaikowskys Abschlusswerk – nur neun Tage nach der Uraufführung ist der russische Komponist verstorben –, den Musikern alles abzuverlangen.

Wie da am Ende alles glühte, vor allem die nicht mehr enden wollende Intensität in den Geigen. Oder die „Totenuhr“, wie man das Motiv in den Bässen zu Ende bezeichnen könnte, die Muti übrigens deutlich hervorgehoben hat, das riecht nach Schwerstarbeit. Da hätte dann nicht nur deswegen Schluss sein sollen, sondern auch der atmosphärischen Energie und der symbolischen Wirkung wegen. Für diesen Tag wäre damit einfach alles gesagt gewesen. Alles befragt und beantwortet.

Der Rest glich nur mehr beiläufigem Füllwerk. Vielleicht, um das zahlende Publikum nicht zu vergrämen. Vielleicht aber auch nur, weil es Riccardo Muti ist. Ein großer Dirigent, der Dinge eben auf seine Art und Weise löst.

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