Prokofiew / Felix Mendelssohn Bartholdy / Nikolai Rimski-Korsakow
Laieszhalle, Hamburg
Dieser Abend in der Laeiszhalle im Herzen Hamburgs war so schön, dass er nicht hätte enden sollen. Da kommen 2000 Menschen in die ausverkaufte „Musikhalle“ und hören das 4. Philharmonische Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. Am Pult steht der hellwache Gustavo Gimeno und beim zweiten Stück, dem Herzensbrecherstück des Abends: dem Violinkonzert e-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy, bringt der Geiger Augustin Hadelich den Saal zur vollkommenen Ruhe, und nach dem letzten Ton versetzt er 2000 Menschen in dankbare Euphorie.
Das war eine Sternstunde in der guten alten Laeiszhalle. Ein Hanseat um die 75, am Rollator gehend, sagte nach drei bewegenden Werken zu seiner Frau, um die 70: „Gitta, es fällt mir schwer, nach einem so schönen Konzert nach Hause zu gehen!“
Ein wunderbarer, melodischer, erhebender Prokofiew zum Anfang, ein beglückender, begeisternder, stark umjubelter Rimski-Korsakow zum Schluss – und vor der Pause dann Göttliches: Jahrtausendmusik, die nie vergehen wird. Die sicher auch auf dem Mars gehört werden würde, so dort Kreaturen mit Ohren und Gefühl lebten: Mendelssohns Violinkonzert – das Violinkonzert des gebürtigen Hamburgers (1809 – 1847), komponiert von 1838 bis 1844 und am 13. März 1845 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt von einem Weltenbummler, der acht Jahre seines Lebens in Leipzig wirkte und dort auch starb.
Der Hamburger Medienanwalt Ulrich Poser, ein Klassikenthusiast und Bass des renommierten Symphonischen Chores Hamburgs, war mit seiner Ehefrau Gudrun so ergriffen von dem Werk, dass beide nach der phänomenalen Zugabe Hadelichs den Saal verließen, um die Klänge an der Abendluft und bei einem Grünkohlessen in der Gaststätte Thämer’s am Großneumarkt in der Hamburger Neustadt Revue passieren zu lassen.
„Nach so einem grandiosen Violinkonzert kann nichts mehr kommen“, sagte der 54-Jährige. „Das war Weltklasse. Ich hab mir in der Pause die CD von Augustin Hadelich gekauft und mich bei ihm für die außergewöhnliche Leistung bedankt.“
Ja, dieser Augustin Hadelich spielte 30 Minuten wirklich um sein Leben. Er lieferte butterweiche, samtene Töne ab, die nur die ganz großen Violinisten hervorzubringen vermögen. Er bezauberte die Ohren mit einer Präzision und einer Hingabe, die sehr viele der Zuhörer sprachlos machte. Da steckte Herzblut und grenzenlose Liebe im Vortrag. Die Musik ging direkt in das Herz und in die Seele. Hadelichs Virtuosität war unfassbar und sehr berührend. Mit seiner Darbietung des dritten Satzes möchte jedes Kind in den Schlaf gespielt werden.
Das Publikum, ein kleines Wunder für die Jahreszeit, war mucksmäuschenstill und verschmolz mit Mendelssohns Musik . „Mir kamen nach den ersten Tönen von Hadelich fast die Tränen“, sagte der Klassik-Begeisterte Ulrich Poser. Ja, die „vornehme Melancholie“ (Klaus Schweizer), die der Solist gleich in den ersten Takten mit dem Hauptthema anspielte, beherrschte weite Strecken des Kopfsatzes (Allegro molto appassionata).
„Das größte Kompliment, das man dieser unnachahmlichen Komposition machen kann, sind die Schwerelosigkeit und federnde Leichtigkeit, mit denen hier instrumentale und kompositorische Virtuosität miteinander verknüpft und verschmolzen werden und zugleich ein hochdramatisches Stimmungsbild beschwören“, resümiert der Musikkritiker Klaus Schweizer.
Diese „unnachahmliche Komposition“ brachte Augustin Hadelich unnachahmlich zu Werke. Er kann sich damit mit der Weltklassegeigerin Anne-Sophie Mutter messen, die am 11. November 2016 das selbe Werk Mendelssohns gespielt hatte. Klassik-begeistert schrieb: „Sinnlich, voll, weich bis sanft-rauh erklangen die Töne ihres kleinen Kindes im Saal. Die Wechsel vom piano zum forte: himmlisch. Die Bögen vom Pianissimo zum Expressivo: herzerwärmend. Da war eine Präsenz und Brillanz im Spiel, die elektrisierte. Die Pizzicati: einfach betörend.“
Dieses Prädikat darf sich auch der Italiener Augustin Hadelich zuschreiben. Die Süddeutsche Zeitung, neben der FAZ eine von zwei Qualitätstageszeitungen in Deutschland, hat das Leben Hadelichs wunderbar in einem Absatz verdichtet: „Hadelich wurde 1984 im toskanischen Cecina als Sohn deutscher Eltern geboren. Schon früh zeigte sich die musikalische Begabung, der Junge komponierte, spielte ausgezeichnet Klavier und geigte bewunderungswürdig. Uto Ughi, Christoph Poppen und andere unterrichteten Augustin. Alles schien den prognostizierten Verlauf zu nehmen. Dann geschah 1999 im Elternhaus eine Explosion mit Brand. Augustin Hadelich erlitt schwerste Verbrennungen am Oberkörper und an der rechten Hand, auch das Gesicht wurde in Mitleidenschaft gezogen. Doch vier Finger der linken Hand blieben verschont. Eine Unzahl von medizinischen Eingriffen musste Hadelich über sich ergehen lassen. Trotz allem überdauerte die Musik als seine Leidenschaft. Er überwand mit Berge versetzender Energie und außergewöhnlicher Willenskraft die Folgen des Unfalls und gewann 2006 den wichtigsten Violinwettbewerb der USA in Indianapolis mit Bravour. Seitdem ist Hadelich in den Vereinigten Staaten einer der erfolgreichsten Violinisten. Inzwischen wächst auch in Europa sein Ruf.“
Nun, auch die Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 25 von Sergej Prokofjew vermochten die Philharmoniker unter dem dynamischen wie eleganten Dirigat von Gustavo Gimeno wunderbar erhebend und einfühlsam darzubieten. Sie ist die bekannteste und kürzeste Symphonie aus der Feder des Russen. Die Symphonie entstand inmitten der Aufbruchstimmung der Russischen Revolution von 1916 bis 1917 in St. Petersburg. Laut dem amerikanischen Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein machen die unerwarteten rhythmischen und harmonischen Wendungen das Werk zu einem Paradebeispiel für „Humor in der Musik“.
Nach der betörenden Zugabe der Caprice Nr. 21 des italienischen „Teufelsgeigers“, Gitarristen und Komponisten Niccolò Paganini – die das Publikum wie Mendelssohns Violinkonzert mit tosendem Beifall, Fußgetrampel und lautstarkem Bravo quittierte – endeten die letzten 40 Minuten in der Musikhalle auch sehr beeindruckend. Orchester und Dirigent waren bei der Scheherazade op. 35 von Nikolai Rimski-Korsakow (1844 – 1908) voll und ganz bei der Sache – bei einer Sinfonischen Suite nach Erzählungen aus „Tausendundeiner Nacht“.
Es ist Rimski-Korsakows populärstes und farbenprächtigstes Werk, trägt zwar den Zusatz „Sinfonische Sinfonie“, ist aber eine Programmsinfonie in der Nachfolge Hector Berlioz’. Die vier Sätze der Suite hießen ursprünglich „Das Meer und Sindbads Schiff“, „Die Erzählung des Prinzen Kalender“, „Prinz und Prinzessin“ und „Fest in Bagdad“. Die Musiker ließen das Morgenland aufblitzen in der Laeiszhalle – vor allem Markus Wolf, der 1. Konzertmeister der Bayerischen Staatsoper, lief, wohl auch infiziert durch den hervorragenden Hadelich, zu Höchstform auf. Der Bruder des 2. Konzertmeisters des Philharmonischen Staatsorchesters, Thomas C. Wolf, spielte sinnlich, einfühlsam, betörend und packend – wie unfassbar phantastisch muss dieses „Märchenwunder“ bei der Uraufführung 1888 in St. Petersburg in den Ohren der russischen Zuhörer geklungen haben?
Die Rahmenhandlung von „1001 Nacht“ stand am Ende von Rimski-Korsakows Partitur. Die Zusammenfassung des Russen lautet: „Sultan Schahriar war von der Falschheit und Unbeständigkeit der Frauen so überzeugt, dass er einen Eid schwor, jeder seiner Frauen nach der Brautnacht den Tod zu geben. Scheherazade jedoch rettete ihr Leben, indem sie sein Interesse an den Geschichten erregte, die sie ihm während tausendundeiner Nacht erzählte. Von Tag zu Tag verschob der Sultan, neugierig auf die Fortsetzung der Geschichten, ihre Hinrichtung und gab schließlich seine blutige Absicht auf.“
Die Hamburgerin Ruth Sanio, 65, brachte den Abend auf den Punkt: „Alle drei Werke klingen live besser und intensiver als von der Konserve. Es ist phantastisch, diese großen Orchestermusiker und so einen Solisten live in der Laeiszhalle zu erleben. Die Zartheit und die Power in Mendelssohns Werk sind unbeschreiblich.“
Und Angelika Dobberstein, 64, Altistin im Symphonischen Chor Hamburg, bilanzierte: „Vor allem Mendelssohns Violinkonzert ging mir so richtig ins Blut. Die Spielfreude, Leichtigkeit, Beschwingtheit und grandiose Technik des Augustin Hadelich sind unvergesslich. Das ist ein wahrer Könner!“
Andreas Schmidt, 13. Dezember 2016
klassik-begeistert.de