Brahms umarmt Strauss – und ein Weltstar glänzt in Lübeck!

4. Symphoniekonzert, Brahms und Strauss  MUK, Lübeck,16.  Dezember 2024

Camilla Nylund und Stefan Vladar, Photo: Andreas Ströbl

Um gleich mit der Wahrheit herauszurücken – niemand wird leugnen, dass es vor allem der Name der weltberühmten Sopranistin Camilla Nylund war, der das Publikum am 15. und 16. Dezember 2024 in die Lübecker Musik- und Kongresshalle zog. Neben den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss gab es eben auch Brahms, na gut. Doch Obacht mit vorschnellen Urteilen, das war ein Brahms für musikalische Feinschmecker!

4. Symphoniekonzert
Musik- und Kongresshalle, Lübeck,
16. Dezember 2024

Johannes Brahms, Tragische Ouvertüre d-Moll op. 81

Richard Strauss, Vier letzte Lieder

Johannes Brahms, Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90

Stefan Vladar, Dirigent
Camilla Nylund, Sopran
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck


von Dr. Andreas Ströbl

Eine „weinende Ouvertüre“

„Die eine weint, die andre lacht“ – so Brahms’ Kurzcharakteristik seiner beiden Ouvertüren, der „Tragischen“ und der „Akademischen Festouvertüre“. GMD Stefan Vladar rekurrierte in der Konzerteinführung zusammen mit Dramaturg Jens Ponath auf diese knappe Einordnung, um aber vor allem das Melancholische als grundlegende Stimmung nahezu aller Brahms-Kompositionen herauszustellen. Ja, melancholisch ist auch Opus 81, aber zudem hat diese Ouvertüre etwas Heroisches, zuweilen mit Pathos angereichert; die rhythmisch vorandrängenden, energiegeladenen Themen schaffen sich mit großem Ernst entschieden Bahn durch den Klangraum.

In der Interpretation des Philharmonischen Orchesters der Hansestadt Lübeck unter Vladar ließe sich dieses Werk auch als „Die Facettenreiche“ betiteln, denn die Musikerinnen und Musiker arbeiten mit Finesse all die Stimmungsumschwünge, Abbrüche und Wendungen heraus, durch welche die unterschiedlichen Figuren strukturiert werden und gerade an diesem Abend eine sehr detailverliebte Würdigung erhalten. Und so dringt aus all der Aufgewühltheit und Düsternis immer wieder ein optimistischer Ton, wie Sonnenstrahlen am Himmel eines regnerischen Apriltages, wo sich durch die grauen Wolken zuweilen das Licht wagt, eingedenk der Ferne wirklich warmer Frühlingsstunden. Vladars Dirigat wechselt entsprechend von einem Moment zum anderen; mal tänzelt er, mal verfällt er in gestraffte Gespanntheit.

Mehr als nur „mal wieder die Dritte Brahms“

Entgegen der üblichen Gepflogenheiten wird an dieser Stelle das dritte Stück des Abends beschrieben, weil es inhaltlich stimmig ist und zudem man bei der adventlichen Einladung erst nach dem winterlichen Ofengemüse das zauberhafte Lebkuchen-Parfait reicht. Dies gibt es daher zum Schluss, mit einem seltenem goldgelben Walnusslikör.

Brahms’ Symphonie Nr. 3 muss man nicht mehr beschreiben, so oft hat man sie gehört; zudem gibt es vom Hauptthema des dritten Satzes reichlich Adaptionen in der Unterhaltungsmusik und im Film, die manchmal hart am Kitsch schrammen.

Umso erstaunlicher ist, dass dann doch immer wieder Interpretationen möglich sind, die den Staub auf der Leinwand wegpusten und den großväterlichen Bilderrahmen mal weglassen. Um in der Metapher zu bleiben: Vladar und die Lübecker spielen diese Symphonie so akzentuiert, sensibel und mit aufmerksamem Blick auf die Binnenstrukturen, dass das ganze wie ein restauriertes Gemälde wirkt, bei dem man zum ersten Mal all die Details erkennt, die bisher durch eine Patina mitunter eher verschwommen ahnbar waren. Ein souveränes Spiel mit Dynamik und Rhythmik lässt, fein austariert, die Federzeichnung unter dem Ölstrich erkennen.

Stefan Vladar und Orchester Photo Andreas Ströbl

Und nochmal zum „Bild vom Bild“: Haben Sie schon einmal erlebt, wie es ist, ein berühmtes Gemälde im Museum im Original zu sehen, nachdem Sie bislang nur die Reproduktionen im Bildband kannten? Genauso wirkt die „Dritte Brahms“ an diesem Abend und so sind die beiden Kompositionen des Hamburgers dann weit mehr als ein Rahmen für das Kernstück des Konzerts, das letzte Werk des großen Münchners.

Die „Kunst, dem Tod ins Antlitz zu blicken“

  • Man kann Vladar nur zustimmen, wenn er sagt, die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss gehörten zum Schönsten, was jemals für Frauenstimme und Orchester geschrieben wurde. Der Musikwissenschaftler Alex Ross bescheinigt dem „Abendrot“, das den Zyklus beschließt, „selbst Mahler in der Kunst, dem Tod ins Antlitz zu blicken“, zu übertreffen. Und um ein weiteres Zitat anzuführen, nämlich eines von Friedrich Nietzsche, so lässt sich dessen Bemerkung, „die Meister des ersten Ranges geben sich dadurch zu erkennen, dass sie, im Großen wie im Kleinen, auf eine vollkommene Weise das Ende zu finden wissen“, wunderbar auf Strauss’ Schwanengesang übertragen. Von der Tonsprache her zwar völlig aus der Zeit gefallen, haben diese Lieder aber eben dadurch etwas Zeitloses, Endgültiges und als Vermächtnis so ins Jenseitige Strahlendes, dass es gerade dem großen Erneuerer und frühen Skandalkomponisten Strauss gut anstand, einen warmen, spätromantischen Klang zu wählen, um der Welt sein klingendes Testament zu vermachen.
Camilla Nylund Photo Andreas Ströbl

Camilla Nylund ist, um es nüchtern auszudrücken, eine Offenbarung. Mit beispielloser Mühelosigkeit formt sie die einzelnen Töne, zieht elegant die feinen Linien und weiten Bögen, und all das tut sie nur ganz selten forte. Ihre sahnig-schmelzende Stimme erhebt sich ohne jede Anstrengung auch in den leiseren Passagen über das Orchester und schimmert heraus wie eine Goldader im glitzernden Gestein. All die lyrischen Feinheiten zaubert sie mit seelenvollem Ausdruck, behutsam streichelt sie wohlverständlich die Worte und macht das Innerste der Lieder erfahrbar. Gleich wie die Lerche ganz am Ende sich flötend in die Luft hebt, strahlt ihr goldener Sopran und schwebt über dem reichen Feld aus Klängen, lichtdurchflutet und hoffnungsfroh ins Überirdische grüßend.

Das angeführte Bild des Lebkuchen-Parfaits ist natürlich eine blanke Untertreibung; so eine tönende Speise lässt sich eben nur hören und nicht schmecken. Und die dabeigewesen sind, gehen beseelt in die trübe Lübecker Adventsnacht, die soeben ein Stück heller geworden ist.

Viele Ausrufe der Begeisterung und brandender Applaus gelten der Solistin, dem Dirigenten und dem insgesamt großartigen Orchester mit wunderbaren Einzelleistungen. Am liebsten aber hätte man noch eine „Marschallin“ oder einen „Liebestod“ von diesem Weltstar gehört, gerne auch beides. Was für ein Glück, dass man solche Größen in Lübeck erleben kann!

Dr. Andreas Ströbl, 17. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

P.S.: Einzig störend sind an diesem Abend die leider auch in Lübeck nicht immer vermeidbaren Revue-Nummern-Applaudierer, die sowohl nach dem ersten Strauss-Lied, als auch nach dem ersten Satz der Brahms-Symphonie die Stimmung zerklatschen. Sie begreifen es jeweils erst mit Verzögerung, können es aber auch ganz am Ende nicht abwarten, bis Vladar nach dem Verklingen des letzten Tons die Hände sinken lässt. Wer solche klaren Zeichen nicht erkennt, dem ist nicht zu helfen.

Dr. Andreas Ströbl, 17. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Auf den Punkt 38: Vier letzte Lieder MUK Lübeck, 15. Dezember 2024

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck, Takahiro Nagasaki Lübeck, MUK, 24. November 2024

1. Sinfoniekonzert Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck, Stefan Vladar, Dirigent, Bo Skovhus, Bariton MUK, Lübeck, 15. September 2024

https://klassik-begeistert.de/?s=MUK+L%C3%BCbeck

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