Hossein Pishkar © Susanne Diesner
Bremer Philharmoniker
»INSPIRATION«
6. Philharmonisches Konzert
Programm:
Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 70 D-Dur Hob. I: 70
Nikolai Kapustin: Violoncellokonzert Nr. 1 op. 85
Igor Strawinsky: »Petruschka« (revidierte Fassung 1947, Burleske in vier Bildern)
Eckart Runge Violoncello
Bremer Philharmoniker
Hossein Pishkar Dirigent
Die Glocke, Das Bremer Konzerthaus, 14. Januar 2024
von Gerd Klingeberg
Im umfangreichen Œuvre Joseph Haydns findet sich immer etwas Passendes. Auch für das erste Sinfoniekonzert der Bremer Philharmoniker im just begonnenen Jahr 2024. Mit ihrer Eingängigkeit und alpenländischem Charme sorgte dabei Haydns Symphonie Nr. 70 D-Dur gleich eingangs für eine gehörige Portion Optimismus.
Unter der ebenso prägnanten wie inspirierenden Stabführung des jungen iranischen Dirigenten Hossein Pishkar beließen es die Philharmoniker aber nicht allein bei unterhaltsam leichter Ausführung. Die pointierte, sorgfältig jedes Detail herausarbeitende Spielweise des Orchesters vermittelte gekonnt die überraschende kompositorische Komplexität, die sich hinter der eigentlich recht simpel anmutenden Musik verbirgt.
So ganz anders – und bislang eher noch eine Art Geheimtipp – dagegen das Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 op. 85 aus der Feder des russisch-jüdischen Komponisten Nikolai Kapustin. Er selbst hat sich zwar nie als ausgewiesener Jazzmusiker betrachtet, aber dieses Genre als reiche Inspirationsquelle genutzt. Bereits durchweg die stark betonte Rhythmik, aber auch die unzähligen jazztypischen Harmoniefolgen im Konzert deuten darauf hin.
Für den Solopart stand mit Eckart Runge, Gründer und langjähriges (bis 2019) Mitglied des Artemis-Quartetts, einer der renommiertesten und vielseitigsten deutschen Cellisten zur Verfügung. Ausnehmend gut gelang Runge der schwierige Spagat zwischen kammermusikalischer Akkuratesse und jazzigem Sound. Wunderschön geriet seine Darbietung im bluesig gefärbten, niemals drängenden Largo-Mittelsatz, in dem er unter einfühlsamer Orchesterbegleitung in sanften Harmonien gleichermaßen Ruhe und Beschaulichkeit, aber auch melancholisches Sinnieren anklingen ließ.
Stark kontrastierend schloss sich der überbordend schwungvolle Schlusssatz an. Die schier endlosen Figurationen in sportlich straffen Tempi stellen zweifellos enorme Herausforderungen an jeden Solisten, die indes allesamt von Runge bravourös gemeistert wurden. Dazu fügten die Bremer Philharmoniker mit ihrer ausgeprägten orchestralen Wandlungsfähigkeit die unterschiedlichen Elemente des Werkes – Sinfonisches, Jazz- und Bigband-Sound und manches mehr – in exzellentem Spiel zu einem packenden Konglomerat von rauschhafter Klangdichte zusammen.
Spätestens damit hatte das Ensemble die nötige Betriebstemperatur für die zweite Konzerthälfte erreicht. Igor Strawinskys vierteilige Burleske „Petruschka“ (Fassung von 1947) stand jetzt auf dem Programm: Ein überaus turbulentes, oftmals lautstarkes, mitunter jedoch auch stimmungsvolles Werk, das vom groß besetzten Orchester dauerhaft vollen Einsatz fordert.
Sämtliche Instrumentengruppen agierten in optimaler Ausgewogenheit; die solistischen Einschübe, darunter einige Klavierparts, kamen punktgenau und sorgfältig akzentuiert. Gut, wenn man sich als Hörer zuvor etwas näher über die zugrunde liegende Thematik der Komposition informiert hatte. Denn dann erst erschlossen sich die üppigfarbenen Klangbilder in ihrer genial umgesetzten Programmatik. Nämlich als die fatal endende Geschichte einer zum Leben erwachten Gliederpuppe, die, leider erfolglos, eine kokette Ballerina anhimmelt – welche ihrerseits jedoch längst einen anderen liebt.
Es machte einfach Freude, im kaleidoskopischen Trubel dieser mitreißenden Musik der Atmosphäre eines ausgelassenen Volksfestes nachzuspüren, etwa in Klängen unterschiedlicher Attraktionen: Leierkastenmusik, flötenden Gauklern, Spielmannszügen, Volkstänzen und vielem mehr.
Oder aber auch eifernde Leidenschaft und die Melodramen einer unglücklichen Beziehung bis hin zum brutalen Mord am Protagonisten Petruschka in faszinierend bildhafter orchestraler Ausgestaltung zu erleben.
Das ersterbende Ende mochte kurz irritieren. Doch nach Momenten der Stille setzte der verdiente, frenetische Beifallsjubel des begeisterten Auditoriums ein.
Gerd Klingeberg, 14. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at