Stanislav Kochanovsky © NDR Marco Borggreve
JOHN ADAMS (*1947)
The Wound-Dresser
für Bariton und Kammerorchester
JOHANN SEBASTIAN BACH (1685 – 1750)
Ich habe genug
Kantate zum Fest Mariae Reinigung BWV 82
RICHARD STRAUSS
Suite Rosenkavalier
Matthias Goerne Bariton
Dirigent Stanislav Kochanovsky
Elbphilharmonie, 9. Mai 2024
von Harald Nicolas Stazol
Gleich keelt er over (Hamburgisch für: es haut ihn gleich um), nach hinten, den Mann, den ich für seine Eleganz – und ich weiß nun wirklich, wovon ich spreche – nur bewundern kann, und dessen Brillant-Krawatten-Nadel zum Jabot und der silbergrauen Weste bis ins ganze Parkett und darüber hinaus funkelt, da dirigiert er die „Rosenkavalier-Suite“ ebenso brillant – und wen wunderts, sein NDR Symphonieorchester strahlt und funkelt und brilliert geradezu ebenso, im für mich mit Schönstem, unter allem seinem Schönen, dass Richard Strauss je komponiert hat: Und ihm unvergleichlich verwachsen – Stanislav Kochanovsky.
Und, denken Sie sich, er ist ja für Mikko Frank krankheitsbedingt in letzter Sekunde eingesprungen! Und klassik-begeistert.de wünscht selbstverständlich gute Besserung!
Ich habe das Konzept des Fantums eigentlich noch nie so recht begriffen, aber im Hinstreben und Hinhören und Hinsehen – nun ich bin an diesem Donnerstag so platt, dass mich eine tiefe Freude ergreift in der Südkurve der Elphi, dass ich an diesem Dandy am Pult nur meine Ehrerbietung zu seinen Lackschuh-Füßen legen kann – und das mache ich eigentlich bei niemandem!
Schon beim Béla-Bartók-Festival im Winter hat der Mann ja überzeugt, und ich streame, da ich dies schreibe, seine Interpretation der „Symphonischen Tänze“ des Sergej Rachmaninoff in Stavanger, of all places – aber des Meisters im besten Alter 1. Symphonie des Sergej höre ich schon lange (man mag mich der Liebhaberei bezichtigen) in Dauerschleife, und ich kann selbst auf YouTube keine bessere Einspielung als die des Netherlands Radio Symphonie Orchesters finden – und wahrlich, wahrlich, ich habe sie unter den verschiedensten Batons gehört, Kochanovskys aber ist mir die Liebste und Beste, wollen wir noch des Komponisten „Felsen“ unter Stanislav mit dem Orchestre National de Paris erwähnen? – aber gemach, gemach, wir sind ja heute in Hamburg, und zu den Rosen und ihren Kavalieren des heutigen Abends kommen wir noch!
Es ist schon etwas Ernüchterndes, wenn man sich den Weg zu unserer Philharmonie erst durch den Pöbel des Hafengeburtstags bahnen muss, da findet sich schon am Baumwall ein todesmutiges, elegantes Grüppchen zusammen, dessen Führung ich wie ein Eisbrecher gerne übernehme, und schon da sprechen wir über das Programm des Abends, dass ja dem Tode und der Todessehnsucht gewidmet ist.
Da rollt mir im Eingang schon eine Frau im Kopftuch entgegen, die keine Hände und keine Beine mehr hat. Ein Bombenopfer Afghanistans, oder eines anderen Krieges? Und man wird sich in einer Zehntelsekunde seines Privilegs unfasslich-tief gewahr! Denn da ist auch die sehr elegante Dame in grünem Kostüm auf Krücken, der ich, höflich, wie immer, mit einer einladenden Geste, selbstverständlich den Vortritt zum Aufzug überlasse, zu einem dankbaren Lächeln, das sich wiederholen wird, da sie doch nur eine Reihe vor mir Platznehmen wird, nochmals scheint ihr Lächeln auf, „so trifft man sich wieder! – „Ich hatte Sie schon vermisst, Madame!“
Und dann ist Stille. Und dann kommt John Adams, zu einem Gedicht Walt Whitmans – Oscar Wilde höchstselbst besuchte ihn noch, und empfing einen Kuss des größten Dichters der Neuen Welt außer Robert Frost – und man erfährt staunend aus dem Programm, dass Whitman zu Zeiten des Amerikanischen Bürgerkrieges im Sanitätskorps war, was ihn zu diesem Gedicht inspirierte, „The wound-dresser“, dem, „Der, der die Wunden verbindet“.
Und nun der Auftritt des meines Erachtens besten Baritons der Gegenwart, Matthias Goerne, der nach Aussage meines Anwalts Michael, den ich als Kenner eher zufällig treffe, und der sagt, „Er wird im Alter immer besser“ – und wahrlich, wahrlich, was für ein Timbre, was für ein Ausdruck, das Ganze auf Zehenspitzen und Hin- und Herschwingen, zu dem feingesponnenen Adams (wieder Kochanovsky!!!), zu den Worten:
„Bandagen, Wasser und Schwamm tragend,
gehe ich geradewegs und geschwind zu meinen Verwundeten,
wo diese, nach der Schlacht hereingetragen, am Boden liegen,
wo ihr kostbares Blut das Gras und den Boden rot färbt,
oder zu den Reihen der Feldlazarette oder unter das überdachte Krankenhaus.
An den langen Reihen von Feldbetten gehe ich immer wieder jede Seite auf und ab,
zu jedem einzelnen, auf einen nach dem anderen gehe ich zu und lasse nicht einen aus.
Ein Gehilfe folgt mir und hält ein Tablett, er trägt einen Eimer,
der bald wieder und wieder voll von verklebten Lumpen und Blut sein wird.“
Das Werk als Gespinst von Musik, fantastisch, einfach nur fantastisch umgesetzt von Orchester und Bariton und Kochanovsky, SO SEHR, DASS MAN DIE UNFASSBARKEIT DES KRIEGES, NEIN, ALLER KRIEGE, endlich, endlich, nun ewiglich begreift.
Mit „Ich habe genug“ geht es und traurigst weiter, BWV 82, also ein Frühwerk, und wieder scheint da Goerne auf mit seinem einzigartigen, vollreifen Timbre – und er wird die beiden Begleiterinnen, Marie-Luise Moderson an ihrem Rotgold funkelndem Instrumente, und dem ebenfalls funkelnden Englisch Horn, beim Applaus noch umarmen, und völlig zu Recht – von dem Mann werde ich, ich schwöre es NIE genug kriegen!!!
Und dann doch noch Lebensfreude, hat man doch das Programm dankenswerterweise umgestellt, denn nun eben der „Rosenkavalier“ statt „Tod und Verklärung“: Stanislav Kochanovsky samt Orchester unerreicht, und nun bin ich völligst Fan!
Nun noch zurück durch den Hafengeburtstag, aber dankbar –
Denn alle sind noch am Leben.
Harald Nicolas Stazol, 11. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at