Ravels ultimativer Ohrwurm begeistert in Bremen

8. Phil. Konzert: Joyeux Anniversaire, Monsieur Ravel  Bremer Konzerthaus, Die Glocke, 17. März 2025

Bremen, 8. Philharmonisches Konzert © Frenz Jordt

Da hätte die hochspannend dargebotene Schumann-Sinfonie Nr. 2 Ravels Klavierkonzert und Boléro doch beinahe zur Nebensache werden lassen…

8. Philharmonisches Konzert: Joyeux Anniversaire, Monsieur Ravel!

Robert Schumann Symphonie Nr. 2 C-Dur op. 61
Maurice Ravel  Klavierkonzert G-Dur
Boléro

Claire Huangci  Klavier
Markus Stenz  Dirigat
Die Bremer Philharmoniker

Bremer Konzerthaus Die Glocke,  17. März 2025

von Dr. Gerd Klingeberg

Die musikalische Geburtstagsparty für Monsieur Ravel hatte noch etwas Zeit. Denn vor der Konzertpause stand zunächst eine Art „Vorprogramm“ an – das sich indes als keinesfalls nur „vorprogrammatisch“ entpuppte.
Bereits mit der noch verhalten und bedächtig, aber sofort auffallend markant vorgetragenen Bläsereinleitung wurde deutlich, dass Dirigent Markus Stenz Schumanns Sinfonie Nr. 2 auch nicht ansatzweise als romantisch verbrämtes Säuseln interpretieren würde. Oder betonen wollte, wie die damaligen körperlichen und seelischen Leiden Schumanns in dieser Komposition vielleicht ihren Niederschlag gefunden hätten. Was er mit den Bremer Philharmoniker präsentierte, geriet durchweg thrillermässig spannend, mitunter beethovenesk aufwühlend und mit opernhaft dramatischer Färbung. Von Gleichförmigkeit keine Spur!

Mit seinem detailliert angelegten Dirigat forderte Stenz allerhöchste Aufmerksamkeit seitens des Orchesters. Nur so konnten die vielfältigen Wechsel von Dynamik und Tempo ihren ausgeprägten Effekt erzielen. Und das gelang ausnehmend gut und in stets präzisem Zusammenspiel. Da gab es, nicht nur in den schnellen Ecksätzen, kaum eine einzelne Phrase, in der nicht ein überraschendes Ritenuto, ein hammerharter Fortissimo-Donner oder eine unerwartet heftige Forcierung des Tempos die Spannungsintensität markant erhöht und die Zuhörer damit permanent in Atem gehalten hätten. Das galt auch für das anfangs noch eher leicht und graziös anmutende Scherzo, bei dem Stenz das Tempo zum Ende hin wahrlich auf die Spitze trieb.

Berührendes Schönklang-„Espressivo“ und triumphales Jubel-Finale

Ruhiger, melancholischer und voll von tiefinniger Sehnsucht erfolgte dagegen der wunderschöne 3. Satz, mit einer derart „espressivo“ ausgeführten Liedhaftigkeit, dass es fast zu Tränen rührte: ein von Holzbläsern und Streichern generierter, zutiefst ergreifender Schönklang, der schließlich morendo wie im Nichts verschwebte.

Dann, im Finalsatz, der triumphale Jubel, ein Beiseitefegen jeglicher Zweifel, eine mit allen ihren kompositorischen Raffinessen beifallsheischend grandios dargebotene Coda als Krönung. Da brauchte es tatsächlich erst einmal ein Pause, um als Zuhörer zumindest für kurze Zeit den Puls herunterfahren zu können.

Ging noch mehr? Gewiss doch: Ravels Klavierkonzert startet fetzig flirrend und ähnlich glitzernd wie das silberne Outfit der Pianistin. Sanfte Eleganz und engagierte Härte bestimmen wechselweise ihren exakten Anschlag, lyrische und ausgeprägt jazzige Partien bilden ein organisches, aufregend effektvolles Miteinander. Der Kontrast zum Adagio-Mittelsatz hätte dazu kaum größer ausfallen können. Vorsichtig zart und wie gänzlich in sich versunken intoniert Claire Huangci die dem Solo-Klavier zugedachte, anmutig simple Melodie, die wie aus dem Moment heraus entstanden scheint.

Bremen, Claire Huangci © Frenz Jordt

Das Orchester klinkt sich behutsam ein in diese wohlige Verträumtheit, die erst ganz allmählich kumuliert. Das Satzende erfolgt gleichermaßen berührend mit dem über flauschig weichem Streicherteppich schwebenden Eingangsmotiv, das warmtönig vom Englischhorn vorgetragen wird, sanft umrahmt und umgarnt von empfindsam ausgeführten Figurationen des Klaviers.

Ravels ultimativer Ohrwurm

Was soeben noch weitestgehend wie introvertiert daher kam, dreht sich ins pure Gegenteil beim Presto-Schlusssatz. Huangci legt sich mit vollem Körpereinsatz ins Zeug, die Finger wirbeln noch eine Spur rasanter als beim Kopfsatz über die gesamte Klaviatur. Orchester und Solistin sprühen vor Energie und demonstrieren unter dem mehr und noch mehr antreibenden Dirigat einen mitreißenden Lauf aufs Parkett, bis hin zum finalen vierfach-Rumms. Huangci krönt ihre fantastische Leistung mit einer optimal passenden nicht minder packend gespielten Zugabe: der Klavierversion von George Gershwins „The Man I love“.

Wenn schon Ravel, dann darf dessen ultimativer Ohrwurm keinesfalls fehlen. Aber was lässt sich Neues herausholen aus dem berühmten Boléro, der nach Ravels eigener, wohl eher ironisch gemeinter Aussage „überhaupt keine Musik enthält“? Unter Stenz und mit den spielfreudig agierenden Bremer Philharmonikern hörbar eine ganze Menge.

Bremen © Frenz Jordt

Der rhythmische Trommel-Einstieg erfolgt subtil, beinahe lautlos pianissimo. Das Tempo liegt nur wenig über Ruhepuls: Stenz hält sich präzise an die kompositorische Vorgabe (72 Schläge pro Minute). Die orchestrale Verdichtung der insgesamt 18-mal immer gleichen Melodie erfolgt sehr behutsam in einem ganz allmählich angegangenem Crescendo; die untermauernde Struktur wird erstellt durch den geradezu hypnotisch anmutenden, mit Uhrwerkpräzision unglaubliche 169 Male ausgeführten Trommelrhythmus, bei dem sich so manches Zuhörerknie, manche Hand wie fremdgesteuert mitbewegt.

Dass Schlagzeuger Pao Hsuan Tseng und Simon Herron nachher eigens dafür Blumensträuße überreicht werden, ist ein absolut verdientes Kompliment. Und zweifellos hätte dergleichen auch allen anderen Ausführenden zugestanden für eine überragende Gesamtleistung bei dieser rundum gelungenen Ravel-Geburtstagsfete, die vom begeisterten Publikum mit tosendem Beifall bejubelt wird.

Dr. Gerd Klingeberg, 18. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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