Foto: B. Stöß (c)
Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen – Die Walküre
Deutsche Oper Berlin, 2. April 2017
Musikalische Leitung – Donald Runnicles
Inszenierung – Götz Friedrich
Siegmund – Stuart Skelton
Hunding – Tobias Kehrer
Wotan – Iain Paterson
Sieglinde – Eva-Maria Westbroek
Fricka – Daniela Sindram
Brünnhilde – Evelyn Herlitzius
Von Sebastian Koik
„Das Unvergleichliche des Mythos ist, dass er jederzeit wahr, und sein Inhalt, bei dichtester Gedrängtheit, für alle Zeiten unerschöpflich ist.“ Dies schrieb Richard Wagner im Jahre 1851. In den Jahren 1869 bis 1876 kamen die vier Teile seines Ringes zur Uraufführung, und der Mythos dieses Zyklus‘ hat bis heute nichts an Strahlkraft und Attraktion verloren. Es ist wahrlich fast unerschöpflich, was an Philosophie und Phantasie, an Vision und Illusion, an Mythos und Wirklichkeit in den Texten und der Musik dieses Werkes enthalten ist. Die Götter auf der Bühne halten uns ewig den Spiegel vor in ihren Konflikten und Schwächen.
Eine kleine Ewigkeit, 33 Jahre lang, wurde der Ring von Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin gespielt. Dieser Ring zementierte 1985 Götz Friedrichs Ruf als einer der prägenden Opernregisseure der Nachkriegszeit und gilt in der Inszenierungsgeschichte des Werks als einer der letzten bedeutenden Gesamtentwürfe.
Geprägt wird diese Inszenierung durch einen mehr als 30 Meter langen Tunnel. Inspiriert dazu wurde Friedrich durch eine Postkarte mit dem Bild der Washingtoner Metro, die ihm ein Opernfreund schickte. Er entschied sich, das ursprünglich geplante Bühnenbild dafür aufzugeben. Zur Zeit der Entstehung der Inszenierung in den 1980er-Jahren befand sich die Welt im Kalten Krieg, und die Angst vor einer nuklearen Katastrophe war besonders in Deutschland sehr groß. Das Bewusstsein für die Zerstörung von Natur und Umwelt durch den Menschen wurde größer.
Die Ausgangslage des Ringes von Götz Friedrich ist eine zerstörte Welt, worauf sich die Götter und überlebenden Wesen in einen unterirdischen Tunnel zurückgezogen haben. Dieser lange Tunnel auf der Bühne der Deutschen Oper wird zu einem „Zeittunnel“ – einem Raum, in dem Vergangenes, Heutiges und Künftiges gleichzeitig existieren und sich überlagern. Dieser Rückzugsort unter der Erde, dieser Zeittunnel, ist die Bühne, in der die Götter sich und uns das große Spiel um Macht und Liebe vorspielen.
Die Walküren, die im Auftrag Wotans Helden sammeln und nach Walhall bringen, reiten in dieser Inszenierung keine Pferde, sondern Motorräder. Sie sehen in ihren schwarzen Lederkluften aus wie Motorradbräute und erinnern an die Figuren im Film „Mad Max“, der ebenfalls in einer postapokalyptischen Welt spielt und dessen Figuren sich in vergleichbaren Outfits motorisiert durch Szenarien der Verwüstung bewegen. Dieser Film entstand 1980, vier Jahre vor der Premiere des „Rheingolds“ und der „Walküre“. Götz Friedrich dürfte ihn gekannt haben.
Die Walküren, diese Motorradbräute, sind Callgirls für die gefallenen Helden. Die angeschafften Helden werden in dieser Inszenierung wie im Leichenschauhaus nackt auf Bahren ausgelegt, und die Walküren verlustieren sich an ihnen. Diese Szene führte bei der Premiere 1984 zu einem Buh- und Kreischrausch – die Vorstellung musste aufgrund der Tumulte mehrere Minuten lang unterbrochen werden.
Die Outfits der Walküren erinnern stark an die 1980er-Jahre, ansonsten wirkt die Inszenierung auch nach 33 Jahren noch zeitlos. Sie ist immer noch stimmig und begeistert. 33 Jahre lang war dieser Ring fast immer ausverkauft. Die beiden letzten Zyklen im April 2017 sind schon seit sehr langer Zeit ausverkauft und die Tickets weltweit sehr begehrt.
Dieser Ring wurde auch deshalb so lange nicht abgesetzt, weil die Verantwortlichen lange und gründlich überlegt haben, wer ihn überhaupt in dieser Qualität neu erzählen könne. Ein Nachfolger, der in die großen Fußstapfen Götz Friedrichs treten möge, ist inzwischen gefunden: 2020 soll der norwegische Regisseur Stefan Herheim einen neuen Ring beginnen.
Das Dirigat des Rings ist natürlich Chefsache. Der Generalmusikdirektor der Donald Runnicles führt das Orchester durch den Vorabend und die drei Tage des Bühnenfestspiels. Runnicles erhielt seinen Arbeitsplatz an der Deutschen Oper Berlin, nachdem er hier erstmals einen Ring musikalisch geleitet hatte und ihn das Orchester daraufhin unbedingt haben wollte. Eine hervorragende Wahl!
Runnicles nimmt sich nach eigener Aussage bei Wagner-Aufführungen zurück, interpretiert nicht, sondern lässt zu was in den Noten steht. Er verweist auf Wagner und die von ihm genannte Kunst des Übergangs: Alles soll wie eine große Linie klingen. Und diese große Linie gelingt Donald Runnicles bei dieser „Walküre“ ganz vorzüglich. Das große, komplexe Stück erscheint wie aus einem Guss, klingt so wie es soll. Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper Berlin leisten großartige Arbeit. Die wunderbare Musik Wagners kann man sich nicht besser gespielt wünschen.
Und Weltklasse gibt es an diesem Abend nicht nur im Orchestergraben, sondern ebenfalls auf der Bühne: Die Sänger und Darsteller sind großartig! Ob Tobias Kehrer als Hunding, Daniela Sindram als Fricka, Evelyn Herlitzius als Brünnhilde oder die Walküren: Jeder einzelne überzeugt in Gesangspartie und Rolle! Das einzige, was vielleicht leicht zu bemängeln wäre, ist der manchmal leicht ins Kreischende gehende und gelegentlich
unnatürlich angespannt klingende Gesang bei Fricka und Brünnhilde –
das ist aber Kritik auf sehr hohem Niveau.
Iain Paterson ist extrem überzeugend als Wotan – eine schauspielerische Glanztat! Man kann sich den Wotan darstellerisch nicht besser wünschen. Iain Paterson i s t an diesem Abend Wotan, alles an ihm: Wie er sich bewegt, wie er seinen Speer hält, seine Ausstrahlung. Seiner Stimme fehlt zwar ein klein wenig Volumen – er kommt in wenigen Momenten nicht über das Orchester –, und er hat nicht die ganz große sängerische Klasse. Allerdings ist seine Darstellung und seine Ausstrahlung als Wotan so absolut umwerfend, dass kleinere Mängel im Gesang dagegen verblassen. Sie stören kaum bei diesem darstellerischen Vorzeige-Wotan, einem angeschlagenen Gott, dem die etwas kleinere Stimme ähnlich gut steht wie sein herrlicher heller Mantel.
Stuart Skelton ersetzt den erkrankten Brandon Jovanovich als Siegmund. Er ist neben der ebenfalls sensationellen Eva-Maria Westbroek als Sieglinde der Höhepunkt des Abends. Bei beiden sind nicht nur das Spiel und die Verkörperung, sondern auch der Gesang in jeder Lage perfekt und begeisternd! Skelton singt in jedem Moment heldenhaft mit voluminöser und klangschöner Stimme. Eva-Maria Westbroek glänzt den ganzen langen Abend ebenfalls mit makellosem Gesang in allen Lagen, klingt in den Höhen wunderbar glockenhell und natürlich, ohne jede Nuance von Angespanntheit oder Schrillem.
Sie erbringen beide atemberaubende Leistungen und werden zum unvergesslichen Zwillingspaar. Ihre gegenseitige Anziehungskraft auf der Bühne wirkt magisch, wie eine Urgewalt. Eva-Maria Westbroek erschafft mir ihrem Gesang mehrere Gänsehautmomente.
Allem in allem leisten alle Aufführenden Großartiges und machen diese vorletzte Walküre-Aufführung zum unvergesslichen Ereignis.
Sebastian Koik, 4. April 2017
für klassik-begeistert.de