Foto: Dr Bartolo (Alessandro Corbelli), Rosina (Hera Hyesang Park) und Count Almaviva (Levy Sekgapane) © Robert Workman
Gioachino Rossini, Il Barbiere di Siviglia
Glyndebourne Festival Opera, 19. Mai 2019
Regie: Annabel Arden
Bühne: Joanna Parker
Musikalische Leitung: Rafael Payare
Figaro: Andrey Zhilikhovsky
Graf Almaviva: Levy Sekgapane
Rosina: Hera Hyesang Park
Dr Bartolo: Alessandro Corbelli
Basilio: Adam Palka
London Philharmonic Orchestra
The Glyndebourne Chorus
von Charles E. Ritterband
Wenn den Engländern – vor allem den vornehmen – nachgesagt wird, sie seien reserviert: Hier waren sie es nicht. Ganz im Gegenteil. Was nach dieser Premiere des „Barbiere“ in Glyndebourne losbrach, war kein Begeisterungssturm – es war ein wahrer Orkan.
Und dies war keineswegs übertrieben: Der junge Südafrikaner Levy Sekgapane ist schlicht der großartigste Rossini-Interpret, ja: der zweifellos großartigste Belcanto-Tenor, den ich je auf einer Bühne bewundern durfte in den vielen Jahrzehnten meiner Opernbesuche in aller Welt.
Er ist, gewissermaßen, das männliche Gegenstück zur phänomenalen Sopranistin Pretty Yende. Auch sie aus Südafrika. Ein Zufall? Ob sich ihre Wege gekreuzt haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Levy Sekgapanes Bühnenlaufbahn ist erst kurz, immerhin und bezeichnenderweise hat sie ihn bereits ans hervorragende Rossini Festival in Pesaro geführt. Ich schaute mir einige Videos von früheren Auftritten bei Konzerten an – und war, ehrlich gesagt, nicht sehr beeindruckt. Oder vielmehr: doch. Denn in kürzester Zeit hat sich Sekgapane zum Weltstar hinaufkatapultiert, dessen Namen man sich unbedingt merken sollte.
Als Graf Almaviva alias Lindoro hielt er an dieser denkwürdigen Premiere der „Barbiere“-Wiederaufnahme nicht nur die bezaubernde Rosina, sondern das überaus anspruchsvolle Glyndebourne-Publikum dieses Abends in seinem Bann. Seine Stimme hat den hellen, heiteren Klang des allerbesten Belcanto; mit müheloser Leichtigkeit beherrscht Sekgapane dieses Instrument, das alles zu können scheint: Er schwingt sich mit präzisen, kühnen Koloraturen in höchste Höhen, hält dort die Töne in geradezu akrobatischer Länge, ja Überlänge, geht Wagnisse ein wie ein übermütiger Artist in der Zirkuskuppel – und genießt dort ganz augenscheinlich, ja fast prahlerisch, die atemlose Bewunderung des Auditoriums.
In die Cavatina „Ecco ridente in cielo“ gleich am Anfang des 1. Aktes legte Sekgapane alle Hingabe, den ganzen tenoralen Schmelz, den dieses Liebeswerben unter dem Balkon der heiß umworbenen Rosina erfordert. Und diese Rosina! Die entzückende Südkoreanerin Hera Hyesang Park steht diesem Lindoro-Almaviva in nichts nach. Auch sie ist ein kommender Belcanto-Star erster Güte: Ihre Koloraturen bewältigt sie mit vollendeter Schwerelosigkeit und Stärke. Wie ihr Partner erreicht auch sie beachtliche Höhen ohne dass ihre wunderschöne, reine Stimme an vollendeter Perfektion einbüßen würde, nur um dann wieder mit samtenen Wohlklang Tiefen auszuloten.
Das gemeinsame Meisterstück ist das überaus anspruchsvolle Duett „Contro un cor che accende amore“ aus dem 2. Akt – hier finden sich die beiden Liebenden, die unbestrittenen Stars dieser Produktion, in schwindelerregenden Koloraturen. Allerbester Belcanto, ein Hochgenuss.
Doch Hera Hyesang Park singt nicht nur phänomenal, sie ist auch eine großartige Schauspielerin: Sie mimt die scheinbar Naive, die ihren Vormund Dr. Bartolo trickreich an der Nase herumführt. Sie ist die hingebungsvolle junge Geliebte und dann wieder, wenn sie meint, dass sie an einen Grafen Almaviva verschachert wurde (der ja in Wirklichkeit niemand anderer als ihr gelieber Lindoro ist), wird sie zur fauchenden Tigerin.
Hera Hyesang Park singt nicht nur – sie tanzt mal temperamentvoll , mal graziös und bringt viel komödiantisches Talent auf die Bühne.
Komödiantisch – das sind vor allem der in Turin geborene Bariton Alessandro Corbelli und der großartige Bass Adam Palka, der seine gewaltige und doch stets harmonische Stimme souverän in tiefe Abgründe hinabführt. Der Figaro des moldauischen Baritons Andrey Zhilikhovsky bestach durch maskuline Stärke und virtuose Präsenz.
Temperamentvoll und präzis unter der Stabführung des venezolanischen Dirigenten Rafael Payare nahm sich das London Philharmonic Orchestra dieser durch und durch italienischen Musik an – ein weiter Weg von Britten und Elgar, den dieser weltberühmte Klangkörper (eines der beiden „resident orchestras“) von Glyndebourne mit professioneller Souveränität zurücklegt.
Humorvoll, originell und bunt die ausgezeichnete Inszenierung der Engländerin Annabel Arden, die in ihrer Inszenierung Theatralik, Verspieltheit, Licht und Bewegung hervorragend zum Ausdruck bringt – jene Elemente, die sie in Rossinis Musik vorfindet.
Man ist als Zuschauer hin- und hergerissen zwischen dem Schwelgen in diesem herrlichen Gesang und der Freude an dieser gelungenen Synthese aus englischem Humor und dem italienischen, der seine Heiterkeit aus der Tradition der Commedia dell’Arte bezieht.
Dr. Charles E. Ritterband, 21. Mai 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at